Exkurs 7:

Walthers unliebsames Publikum


Exkurs 7: Walthers unliebsames Publikum

Walthers Zuhörerschaft konnte wohl auch aus der nichtadligen Schicht der Söldner stammen – für ihn nicht das beliebteste Publikum. Sie fanden sich jedoch im Umkreis des Adels. Als angeworbene Soldaten (bei Walther "kenpfe" oder Berufsfechter) konnte das Hochmittelalter nicht mehr auf sie verzichten. Die Epik verschweigt diese Art von Kombattanten fast völlig, denn sie versprühten nicht den Glanz, den die Epik den Kämpfenden zuschreiben wollte. Dagegen traf die Geistlichkeit die Realität sehr nahe, wenn sie vom heruntergekommenen Erscheinungsbild der Kriegsknechte berichtete[1]. Die Epik erwähnt dagegen fast ausschließlich Ritter, tapfere Schildknechte[2] oder allgemein Kämpfer, denen zumindest Tapferkeit zugeschrieben wird[3]. In Randnotizen werden jedenfalls zusätzlich zu den Rittern das Fußvolk und die Schützen genannt[4].

Walther könnte die Söldner bei seinen Aufenthalten in Thüringen gesehen haben, vor allem auf den Burgen bzw. den Stützpunkten des Landgrafen[5], auf denen sich ja auch der Saal des Sängers befand. Die Burg Weißensee ist da ein Beispiel (siehe unten), da diese mehrfach belagert wurde, diesen Belagerungen widerstand und sogar einen erfolgreichen Ausfall vorweisen kann. Auch wenn diese Art von Rittern nicht zu Walthers bevorzugtem Publikum gehörte, ihr Handwerk beherrschten sie[6], was sie in Verbindung mit der Runneburg bringt. Um einen erfolgreichen Ausfall zu bewerkstelligen, muss militärisch geschultes Personal anwesend gewesen sein.

Die Gesellschaft tolerierte die Söldner zwar, doch sie galten als verflucht[7], vor allem, wenn sie zu Banditen und Straßenräubern wurden[8]. Unsichere Straßen kennt auch Walther und sie kommen in seiner Dichtung vor. Die Kirche wurde etwas deutlicher und sprach von Landräubern und Dieben, die von den Herren unterhalten werden[9]. Sie sagte den Kriegsknechten voraus, was sie erwartete: ein rechtloser Tod[10].

Im Gegensatz zum ehrenvollen Ritter kämpften sie meist zu Fuß, in ihren Händen findet man auch eher die gescholtenen Waffen, wie Messer, Haken, Spitze[11]. Die Haken konnten den Ritter vom Pferd ziehen, das Messer war dann für den finalen Todesstoß durch den Helm zuständig[12].   

                                                

Das Messer[13] oder der Dolch?

 

Im Heiligen Römischen Reich hatte sich Anfang des 13. Jahrhunderts eine Art Messer im Kampf durchgesetzt, dass das Durchdringen des Helmes ermöglichte[14]. Laut Beschreibung solle es eine lange, schmale und dreischneidige Klinge gewesen sein[15]. Eine Abgrenzung zum Dolch lässt sich nicht immer vornehmen, da die Beschreibungen zu ungenau sind. Gerade die Bildquellen zeigen im Kampf doch eher den Dolch, wie z.B. in der Maciejowski-Bibel[16]. Messer und Dolch haben auf keinen Fall einen ehrenhaften Ruf wie das Schwert. Beide werden sie, wie der dazugehörige Stand, abgewertet. Auch die, die Messer herstellen, sind nicht besser (genau wie die Armbrusthersteller)[17].

Für die Rekonstruktion wird sich eher auf die Bildquellen verlassen, da sie Details zeigen. Meist wird ein Dolch gezeigt.

Der Dolch der Söldner

Der Dolch der Söldner

 

 

Der Bogen und die Armbrust

In den Quellen taucht als Waffe der Berufskämpfer gerne der Bogen auf. Sie konnten mit ihm große Fertigkeiten vorweisen und dies auch im Kampf einsetzen[18]. Eine andere bevorzugte Fernwaffe war die Armbrust[19]. Beide Gattungen wurden, wie ihre Träger, in der Literatur eher abwertend und nicht zum Adel zugehörig erwähnt[20].

Zum Einsatz kamen sie trotzdem, was ihre Effektivität zeigt[21]. Auch hatte der Adel seine Bereiche, die den Einsatz dieser Waffen rechtfertigten, z.B. die Jagd. Die Epik äußert sich dann auch nicht abwertend[22].

Armbrüste werden somit in der Epik häufiger genannt[23], leider aber nicht detailliert beschrieben[24]. Die Rekonstruktion verläuft also wieder über Bildquellen[25], aber auch über die Archäologie[26]. Am Gürtel trug der Söldner dann noch den Köcher mit den Armbrustbolzen[27].

Armbrust und Köcher

Armbrust und Köcher

 

Sonstige Ausrüstung

Was ihre sonstige Ausstattung betrifft, muss auch zwischen den Zeilen gelesen werden bzw. was ist nicht ritterlich? Die Epik geht mehr auf die Räuber ein, die im Kontrast zum Ritter stehen. Herman von Thüringen (Aufenthalt von Walther in Thüringen[28]) unterhielt sicher keinen Räuberhaufen, doch selbst die Räuber hatten eine rudimentäre Rüstung mit Eisenhaube und eventuell Panzer, sie waren jedoch ungeschützt an Armen und Beinen[29]. Die Eisenhaube oder der Eisenhut sind archäologisch[30] und durch Bildquellen gut belegt[31], bei dem genannten Panzer ist doch wohl eher an die typische leichte Schutzbekleidung der Söldner zu denken: den Gambeson[32] oder in der deutschen Bezeichnung den Sarroc[33].

Rekonstruktion mit Eisenhut

Körpergröße vom Söldner ca. 1,66 m[34], Rekonstruktion mit Eisenhut, Gambeson, Armbrust und Dolch., Gürtelschnalle mit vorgezogener, zugespitzter Dornrast[35], einfacher Schlupfschuh[36]



[1] Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 230; nochmal erwähnt Berthold die "Kriegsknechte des Adels" in einer anderen Predigt: Vier Predigten, Röcke 1983, 170- 173.

[2] Z.B. "schiltknehte" (Kriegsknechte): Eneasroman: Ettmüller/Kartschoke 1986,362, 363.

[3] Das Wort "kenpfe" (bei Walther) taucht somit auch nicht in der Epik auf, da wird von "gûte knehte" (tapfere Krieger), wîganden (Kämpfer), sarjante (Schildknappe) gesprochen: Eneasroman: Ettmüller/Kartschoke 1986,286, 287 388, 389, 412, 413. Dazu Eneasroman, Kommentar: Kartschoke 1986, 786, 788. Auch taucht noch das Wort Turkopel (Leichtbewaffnete) auf: Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 342, 343, oder nur volc (Kriegsvolk): Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 650, 651, oder soldier (Soldritter): Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 1, 314, 315.

[4] Eneasroman: Ettmüller/Kartschoke 1986, 496.

[5] Siehe hierfür Buch.

[6] Sie beherrschten Kriegslisten, hatten Kampfesmut und waren effektiv: Duby 1988, 88.

[7] Bei Gefangenschaft brachte man sie meist um: Duby 1988, 85, 90; siehe zusätzlich Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 230, 231.

[8] Le Goff 2004, 22; die Grenzen zwischen Militäreinsatz und Räuberei waren fließend: Geremek 2004, 387.

[9] Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 121.

[10] Vier Predigten, Röcke 1983, 172.

[11] Duby 1988, 20f.

[12] So geschildert in der Schlacht von Bouvines am 27. Juli 1214: Duby 1988, 50, in der Kaiser Otto die Schlacht und seine Reputation im Reich verlor.

[13] Die Hauptwaffe der unehrenhaften Berufskämpfer war das Messer: Duby 1988, 85.

[14] Duby 1988, 88.

[15] Duby 1988, 50, Bumke 2008, 235.

[16] Nicolle 1988, 310, 800.

[17] Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 562.

[18] Duby 1988, 84, 85.

[19] Duby 1988, 88.

[20] Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 522.

[21] Sie galten als unritterlich und heimtückisch: Bumke 2008, 234f.

[22] Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 2, 402; Nibelungenlied: Grosse 2020, 278; die Winde oder das antwerc (Nibelungenlied, Kommentar: Grosse 2020, 779) verrät hier wohl eher eine Armbrust. Der Bogen wurde mit Muskelkraft gezogen. Anders natürlich wieder Berthold von Regensburg, der aber dadurch Bogen und Armbrust für die Jagd bestätigt: Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 383.

[23] Z.B.: Eneasroman: Ettmüller/Kartschoke 1986,312, 313, 402, 403, Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 422, 423, Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 1, 308, 309, Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 232, 233, Band 2, 440, 441.

[24] Über die romanische Armbrust ist wenig bekannt: Thiele 2010, 9.

[25] Z.B. Nicolle 1988, 329, 807.

[26] U.a. die experimentelle Archäologie. Experimentelle Archäologie (Hrsg.): http://www.burginfo.de/exparch.htm. Einzelne Funde von Armbrüsten: z.B. Fund einer Nuss (Auslösemechanismus) aus Knochen, Höhe 2,3 cm, Durchmesser 2,4 cm: Breiding 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 424. Für die spätromanische Zeit: Thiele 2010, 10, 11.

[27] Aus dem 13. Jahrhundert gibt es Funde eiserner Armbrustbolzen von 6 cm Länge: Krapp 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 389, 390.

[28] Siehe Buch.

[29] Erec: Mertens 2008, 186.

[30] Breiding 2010, 132, 133, z.B. ein Fund vor 1233 mit einer Höhe von 20 cm und einem Durchmesser von ca. 30 cm: Breiding 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 427.

[31] Nicolle 1988, 310f., 800.

[32] Wattiertes Gewand.

[33] Kriegsrock, Feldmantel.

[34] Körpergröße: siehe dazu oben für Walther. Anthropologische Untersuchungen bei süddeutschen Männergräbern zeigten Größen ab 1,66 m, wobei die Datierung der Gräber aber weit gestreut war (11. Jahrhundert bis 1871/72): Wahl 2018, 162. Siehe dazu auch die Geschichte um Vizelin.

[35] Fingerlin 1971, 106f.; siehe die Funde bei Leenen S. 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 449, 450.

[36] Schnack 1992, 20, die Geschichte um Vizelin, Fund, Rueß 2009: https://www.spektrum.de/news/mittelalterlicher-schlupfschuh/998630  




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