Exkurs 14:

Andere Instrumente der Spielmänner, der andere Spielmann


Exkurs 14: Andere Instrumente der Spielmänner, der andere Spielmann

Aufgrund der dürftigen schriftlichen Überlieferung lassen sich den unteren Schichten zur Zeit des Hochmittelalters noch keine speziellen Instrumentengattungen zuschreiben[1], jedoch zeigen die europäischen Quellen eine Tendenz dazu, dass Bauern und Hirten Blas- und Schlaginstrumente bevorzugten[2]. Flöte und Trommel müssen somit auch bei den Bauern für Stimmung gesorgt haben, z.B. bei Bauernhochzeiten[3]. In den Händen von Adligen sind sie seltener zu finden[4]. Gerade die Flöte, ein archäologisch gut nachweisbares Instrument[5], kann zudem in allen Siedlungsformen gefunden werden. Sie fand also auch im bäuerlich, dörflichen Zusammenhang ihre Verwendung[6], jedoch nicht ausschließlich[7]. Die späteren Stadtfeste zeigen ebenfalls Flöte und Trommel[8]. Vom Status her steht diese Kombination weit unter den höfischen Ansprüchen: Eine einfache Flöte aus Knochen ist weniger wert als die angesehene Fidel[9], die Kirche rügt das reine Tanzvergnügen[10] und auch Walther sah keinen höfischen Gehalt in derartiger Unterhaltung. Trotzdem muss es auch außerhalb des Hofes Unterhaltung gegeben haben[11]. Spielmänner aller Schichten hatten eben nicht nur die Saiteninstrumente zur Auswahl, sondern auch die Einhandflöte, Trommel, Hörner etc.[12]. Eine Rangfolge der Instrumente ist schwer aufzustellen[13], da alle bei allen möglichen Anlässen zum Einsatz kamen: Trompeten bei Einzügen, die Fidel beim Abendprogramm etc.[14]. Man könnte hier nur ableiten, und dies auch nur, weil die Überlieferung häufig aus den Händen der Geistlichkeit kam, dass die Instrumentalmusik, wenngleich notwendig und geschätzt, doch als minderwertig galt[15]. Ohne Text und ohne göttliche Preisung war sie nur zum Vergnügen da, was sie schon dadurch in ein schlechtes Licht stellte[16]. Am Adelshof hatte Walther Vorteile, denn er konnte texten, den Herrscher preisen, was ihn vom umherziehenden Instrumentalisten unterschied[17]. Der Hof sah das nicht immer so, favorisierte aber einzelne Instrumente, jedenfalls kategorisierte die Epik gewisse Instrumente, wie z.B. die Trommel, eher als reine Lärmerzeugung[18]. Das höfische Abendprogramm war also nicht unbedingt aufgeschlossen für Blasinstrumente, Trommeln etc.[19]. Einheitlich ist dieses Bild jedoch nicht. Im Parzival kommen Tambur und Flöte auch in der höfischen Gesellschaft zum Einsatz[20].

Das Tabor[21] (Handtrommel), die Trommel des Mittelalters.

Die Handtrommel wurde mit einem Schlegel angeschlagen. Sie sollte für den Rhythmus sorgen, während ein anderes Instrument die Melodie vorgab. Dabei wurde die Handtrommel am Körper befestigt, z.B. über eine Bandaufhängung am linken Arm[22]. Von der modernen Spielweise unterschied sich die mittelalterliche Handtrommel soweit, als dass es bei ihr galt, eine Schnarrsaite mit dem Schlegel anzuschlagen[23]. Die Schnarrsaite befand sich somit auf dem Schlagfell. Sonst war die Trommel zylindrisch in der Form[24], der Korpus war aus Holz und die Fellbespannung konnte oben und unten angebracht sein[25] . Die Felle[26] wurden durch eine Schnurspannung gehalten[27], die in Zickzackform am Korpus entlanglief[28]. Die Vermutung liegt nahe, dieses Instrument mit den snarrenzære von Walther in Verbindung zu bringen.

Für die Rekonstruktion liegen keine Funde vor, womit auf die bildlichen Nachweise[29] und die experimentelle Archäologie zurückgegriffen werden muss. Belegt ist für die Zeit Walthers die flache Rahmentrommel[30], die von den Ausmaßen wie eine heutige Snare erscheint[31].

 

Der Schlegel

 

Die mittelalterlichen Trommeln wurden meist mit Schlegeln gespielt, erwähnt z.B. als "stykke" in der englisch, mittelalterlichen Überlieferung[32]. Da die zweifellige Rahmentrommel gerne von einer Person in Verbindung mit einem anderen Instrument gespielt wurde, blieb meist nur eine Hand für einen Schlegel frei. Formen gab es verschiedene, keulenförmig oder mit deutlich abgesetztem Kopf, die beide in die Zeit Walthers datiert werden können[33]. Der keulenförmige Schlegel existierte schon lange vor Walther[34], wodurch er hier als Vorlage für die Rekonstruktion genommen wird. Bei archäologischen Funden ist die Deutung als Schlegel durch den unspezifischen Aufbau nicht immer einfach. Vereinzelte Funde werden als Schlegel angesprochen, wobei die Holzfunde 38 cm lang und zylindrisch waren [35]. Sie entsprechen damit heutigen Sticks[36].

Das Tabor und der Schlegel

Das Tabor und der Schlegel

 

 

 

 

Die Einhandflöte

 

Sehr verbreitet war die Kombination Tabor und Einhandflöte[37], zusammen gespielt von einer Person. Die Flöte wurde dann von der linken Hand geführt, während die rechte den Rhythmus auf der Handtrommel schlug[38]. Von der Form her war sie eher lang und schlank, zylindrisch gebohrt mit einer minimalen Anzahl von Grifflöchern, nämlich drei[39], maximal vier mit einem weiteren Daumenloch[40]. Sie musste ja mit einer Hand bedient werden[41], wodurch die Grifflöcher tiefständig im unteren Drittel der Flöte eingebohrt waren[42]. Das verwendete Material war verschieden, so Knochen, Bambus, Buchsbaum, Ahorn, Nussbaum etc.[43]. Die Einhandflöte selbst gehört zur Gruppe der Kernspaltflöten, die einen Windkanal aufweisen, vorbei am Block[44] des Mundstücks[45]. Im Fundgut am meisten vertreten sind die Knochenflöten[46] mit Längen von 11-24 cm[47]. Der innere Durchmesser war meist etwa 1 cm[48]. Die Knochenflöten wiesen häufig kein Mundstück auf bzw. waren gerade abgeschnitten[49]. Der Durchmesser der Grifflöcher[50] bei den Knochenflöten reichte von 2 bis 6 mm, das untere Ende war gerade abgeschnitten[51]. Auf der Flöte konnten Verzierungen in Form von Kreisaugen etc. angebracht sein[52].

Die Einhandflöte

Die Einhandflöte

Der "andere" Spielmann/der untere Fahrende (in Walthers Augen)

In Exkurs 1 wurde schon versucht, Walther von den einfachen Fahrenden etwa durch seine Kleidung abzuheben[53]. Die Kleidung konnte im mittelalterlichen Bewusstsein bereits über den Rang einer Person entscheiden oder auf ihn hindeuten[54]. Die Spielleute der einfachen Ränge nutzen dies recht provokativ, indem sie sich auffallend gaben. Eher aus der Not geboren, machten sie es zur Tugend, in bunter, geflickter Kleidung aufzutreten. Ihre Gage, bereits getragene Kleidung[55], verkauften sie schnell oder fielen damit, falls sie sie doch trugen, eher als übertreibend auf [56]. Teure Kleidung dürften sie auf Dauer nicht besessen haben, da die mittelalterlichen Kleidungsvorschriften recht restriktiv waren und den Adel vom restlichen Volk abheben sollten[57]. Dadurch mussten sie sich, wie die Bauern, auf das Mögliche beschränken. Da wären die einfachen Schuhe[58] und ein Rock aus dickem Stoff (mit oder ohne bunte Flicken) zu nennen. Der Rock war kragenlos und knielang. Eine Gugel ist für das Mittelalter bekannt[59]. Wenn es um einfache Kleidung geht, ist die Epik zurückhaltend. Geschildert werden dann ärmliche Verhältnisse, die äußerlich sichtbar gemacht werden sollten[60]. Beinlinge können angenommen werden, weil es in einem knielangen Rock doch empfindlich kalt werden kann in der Herbst-/Winterzeit[61]. Zeitgenössische Abbildungen zeigen den einfachen Fahrenden in ähnlicher Kleidung. 

Spielmann mit Tabor und Einhandflöte

Der einfache Spielmann mit Tabor und Einhandflöte

 



[1] Eitschberger 1999, 162.

[2] Dies ist laut Bachmann bis ins 14. Jahrhundert aus den Quellen zu entnehmen: Bachmann 1964, 141, auch Lug 2001, 90, Rohr 2002, 63f., Taf. 44; die Blasinstrumente galten, im Gegensatz zu den Saiteninstrumenten, eher für die volkstümliche Musik geeignet: Diehr 2004, 37.

[3] "Den Spielmann mit Flöte und Trommel bei der Bauernhochzeit schildert beispielsweise der Autor des Meier Betz, danach Wittenweiler im Ring.": Žak 1979, 279, Anm. 7; Berthold von Regensburg erlaubt das Tanzen eigentlich nur auf den Hochzeiten. Er erkennt aber auch, dass er den Bauern das Tanzen nicht verbieten kann: "Bruoder Berhtolt, rede waz dû wellest! Wir mügen ungetanzet niht sîn": Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 269. Instrumentengattungen nennt Berthold nicht, nur indirekt kann auf Aerophone geschlossen werden: "[…] noch gumpelvolke niht geben, die dâ sind des tiuvels blâsbelge, […]": Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 319. Jedoch sieht Berthold auch die Fidel eher im negativen Zusammenhang, wie alles, was dem Tanzvergnügen dient.

[4] Eitschberger 1999, 161.

[5] Eitschberger 1999, 250.

[6] Eitschberger 1999, 262.

[7] Hof und Tafel nahmen sie auch an: Eitschberger 1999, 262f.

[8] Rohr 2002, 62, 63, Taf. 42.

[9] Streichinstrumente werden für die Dorfbevölkerung eher ab dem späten Mittelalter überliefert: Bachmann 1964, 171.

[10] Eitschberger 1999, 263.

[11] Erec: Mertens 2008, 458.

[12] Salmen 1983, 81f., 118f., 132.

[13] Erst ab 1260/70 kommt es langsam zu einer Festlegung der Instrumente, die für das einfache Volk oder für die vornehme Gesellschaft vorgesehen sind. Durch den vermehrten Zugang zur antiken Überlieferung änderte sich der Blickwinkel auf die einzelnen Instrumentengattungen, so z.B. auf die Blasinstrument: Žak 1979, 199f.

[14] Bumke 2008, 290f.; Salmen 1983, 132, Žak 1979, 257.

[15] Salmen 1983, 127; insgesamt ist das Bild der Kirche gegenüber der Musik äußerst ambivalent, nicht einheitlich und zeitlichen Veränderungen unterzogen: siehe dafür Žak 1979, 282f., 291, Eitschberger 1999, 162f.

[16] Es gibt jedoch auch vereinzelt positive Bewertungen von Musikern: Žak 1979, 283f. , 285. Der pfeifende Spielmann als Teufelsgehilfe ist jedoch auch negativ in Skulpturen verewigt. Mit seiner Pfeife kann er/sie den Teufel anlocken und zur Besessenheit führen: Lug 2001, 93. Für die Besessenheit siehe die Geschichte um Vizelin. Zeitweise wurden die Spielleute auch selbst als Teufel dargestellt, wobei die Einhandflöte und die Trommel dem Reigentanz vorbehalten blieb: Lug 2001, 95.

[17] Der snarrenzære ist ein umherziehender Musikant mit einsaitigem Saiteninstrument: Obermaier 1995, 160. Siehe dazu das Gedicht Walthers Bognerton, Bognermahnung (Schweikle 2009, 294, 295) im Buch. Fraglich ist, was ein einsaitiges Saiteninstrument ist? Siehe dazu weiter unten bzw. die mittelalterliche Trommel hatte eine Saite zum Anspielen.

[18] Eitschberger 1999, 157, 163.

[19] Sie waren eher für den Krieg geeignet: Žak 1979, 252, Eitschberger 1999, 159, 163. Flöten galten "als weniger edel": Lug 2001, 102, wurden jedoch auch bei Hof eingesetzt: Lug 2001, 95, 102.

[20] Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 138; Eitschberger 1999, 157, 162, 163f., siehe auch Diehr 2004, 37.

[21] Auch Tambûre, tambour, Namensursprung siehe: Eitschberger 1999, 142f.

[22] Munrow 1980, 23, Eitschberger 1999, 153.

[23] Siehe Munrow 1980, 24, Montagu 1981, 46; deswegen wird das volkssprachliche tambûre zeitweise auch als Saiteninstrument gesehen: Žak 1979, 253, Eitschberger 1999, 149f.; siehe oben der snarrenzære bei Walther.

[24] Munrow 1980, 53, es gab verschiedene Korpusformen: Eitschberger 1999, 145f.

[25] Einfellig war aber auch möglich: Eitschberger 1999, 145, 146.

[26] Aus Kalbs- oder Ziegenhäuten bzw. Pergament: Eitschberger 1999, 148.

[27] Montagu 1981, 46, 47, Abb. 39, Homo-Lechner 1996, 64.

[28] Eitschberger 1999, 148f.

[29] Eitschberger 1999, 144f., ein früher Beleg: Eitschberger 1999, Taf.40, Abb. 68.

[30] Erst ab dem 14. Jahrhundert werden die Trommeln immer höher: Eitschberger 1999, 145f.

[31] Sie, die Snare, ist ebenfalls beidseitig bespannt (zweifellige, runde Rahmentrommel: siehe Eitschberger 1999, 146, 147) und hat eine Saitenbespannung, heute Snareteppich genannt, der jedoch am unteren Fell angebracht ist und somit nicht angespielt wird (siehe Eitschberger 1999, 149). Er erbringt auch einen Schnarr-Effekt: Eitschberger 1999, 149. Die heutige Snare ist ein Bestandteil des Schlagzeuges, befindet sich direkt vor dem Spieler, meist zwischen den Beinen.

[32] Bei John Trevisa (1342-1402, mittelalterlicher Übersetzer lateinischer Schriften): Eitschberger 1999, 144, 151

[33] Eitschberger 1999, 151.

[34] Siehe Taf. 40, Abb. 68 bei Eitschberger 1999. Mit deutlich abgesetztem Kopf ist etwas nach Walther zu datieren: Taf. 44. Abb. 79 bei Eitschberger 1999.

[35] Fund von der Mary Rose: Eitschberger 1999.

[36] Länge von heutigen Sticks: 38,5 - 42,5 cm. Stick ist die heutige Bezeichnung für die Schlagzeugstöcke bei den Schlagzeugern.

[37] Eitschberger 1999, 146, 157, 158f. Funde von Einhandflöten lassen sich auch für Haithabu belegen: Salmen 1970, 14, 15, Taf. 5,2., Brade 1975, 74, Taf. 5a. Es gibt also frühe Zeugnisse für die Anwesenheit dieser Instrumente. Der Beginn ihrer Nutzung ist aber nicht mehr datierbar. Für Frankreich, England und die Steiermark lässt die bildliche Überlieferung die Nutzung der Einhandflöte zusammen mit der Trommel schon ab dem 13. Jahrhundert zu: Salmen 1960, 193, 195.

[38] Eitschberger 1999, 153.

[39] Zwei tiefständige Grifflöcher und ein Daumenloch: Eitschberger 1999, 250.

[40] Eitschberger 1999, 250, verschiedene Variationen waren möglich: Eitschberger 1999, 251.

[41] Munrow 1980, 23, Montagu 1981, 45, 46.

[42] Brade 1975, 38, 39, Eitschberger 1999, 251, die gleichzeitige Bedienung des Tabor ließ dann den Armen Platz

[43] Eitschberger 1999, 249; Knochen wurde meistens verwendet: Brade 1975, 31.

[44] Der Block kann archäologisch meist nicht nachgewiesen werden, denn er ist zu 97% verloren: Brade 1975, 35, Eitschberger 1999, 251.

[45] Siehe genaue Beschreibung bei Eitschberger: Eitschberger 1999, 249f.

[46] Vor allem Schafs- und Vogelknochen: Brade 1975, 31, Eitschberger 1999, 252.

[47] Brade 1975, 59, Eitschberger 1999, 250.

[48] Eitschberger 1999, 251, Bunte 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 302.

[49] Eitschberger 1999, 251, Brade 1975, 35, 36.

[50] Meist mit gleichem Abstand der Grifflöcher zueinander: Eitschberger 1999, 256.

[51] Eitschberger 1999, 252.

[52] Eitschberger 1999, 252.

[53] Eben den höfischen Dichter vom Wirtshaussänger zu trennen: Schubert 1995, 148, 149, siehe Exkurs 1

[54] Spechtler 2009, 225.

[55] Siehe Buch.

[56] Schubert 1995, 147, 148.

[57] Siehe Brüggen 1989, 141f., 144.

[58] Hier wieder als Schlupfschuh ausgeführt, siehe oben Exkurs 7, Walthers unliebsames Publikum.

[59] Kopfbedeckung als Schutz vor der Witterung, siehe z.B. Narmo 2009: https://www.vesteraalen.info/reportasje_andoy_skjoldeforedrag_09_english.htm, Thursfield 2015, 16, 196-197.

[60] Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 1, 218.

[61] Jedoch nicht als Scharlachstrümpfe oder in der Farbe Rot: Brüggen 1989, 147. Sie wären auch zu teuer gewesen bzw. für die Arbeit ungeeignet.




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