Exkurs 11:

Die Burg Weißensee und ihr Saal, ein Ort der Aufführung von Walthers Strophen


Exkurs 11: Die Burg Weißensee und ihr Saal, ein Ort der Aufführung von Walthers Strophen

Die Burg Weißensee, heute Runneburg genannt, liegt in der Stadt Weißensee in Thüringen. Sie erlebte mehrere Umbauphasen und steht heute größtenteils umgestaltet auf einem erhöhten Plateau[1]. Archäologisch und bauhistorisch wurde die Burg gut untersucht, ein exaktes Baudatum konnte jedoch nicht ermittelt werden. Schriftliche und archäologische Zeugnisse deuten auf eine Vollendung des Kernbaus noch zum Ende des 12. Jahrhunderts[2]. Ein Ausschnitt wird hier herausgenommen:

Die Nordseite als Rekonstruktion

Die Nordseite zeigt die Innenseite der Burg, d.h. was vom Burghof aus zu sehen war beim Blick auf Palas, Turm und Torkapellenturm[3]. Angrenzend verläuft die runde Burgmauer[4]. Die Nordseite zeigt als Baumaterial Travertinquader[5], vorherrschend war die Farbe Grau[6]. Alles wird zur Zeit Walthers rekonstruiert, d.h. es wird eine mögliche Rekonstruktion vorgenommen[7] ausgehend von den bauarchäologischen Untersuchungen und deren Datierung[8]. Der Blick fällt dann auf ein zentrales, mittiges Gebäude, den Palas mit mehreren Geschossen. Ganz unten befand sich der Keller mit den Schlitzfenstern[9] und dem Kellerportal[10], davor ein Vorbau[11]. Im Erdgeschoss waren dann die zwei Eingänge für die dortigen Räume mit aufwendiger gestalteten Fenstern[12]. Der Turm wies ebenfalls Fenster auf[13], genauso wie das Obergeschoss, wobei hier Triforien eingebaut wurden[14]. An der Nordseite im Obergeschoss befindet sich der Eingang zum Saal[15]. Für die Rekonstruktion wird von der Bauphase II ausgegangen[16], die zur Zeit Walthers wahrscheinlich schon zum größten Teil abgeschlossen war. Jedenfalls war die Burg ab dem Jahr 1204 schon in verteidigungsfähigem Zustand[17]. Die Kapitellornamentik der Runneburg erlaubt eine Datierung um 1180/90[18].

Das Obergeschoss wurde durch eine Außentreppe zugänglich gemacht[19], das zeigt der an der Außenmauer befindliche Eingang. Zur Zeit Walthers war jedoch noch kein separates Treppenhaus vorhanden, es musste also eine einfachere Lösung gegeben haben. Eine Holztreppe ist da wahrscheinlich, deren altanartiger Aufbau[20] ermöglichte höhere Eingänge[21]. Für die Rekonstruktion der Bauphase II nur angedeutet[22], hier weiter ausgeführt:

Rekonstruktion der Nordseite

Rekonstruktion der Nordseite der Burg Weißensee, der Eingang zum Saal im Obergeschoss

Fraglich ist ein weiterer Anbau direkt vor der Nordseite des Turmes, in der Forschung Haus 3 genannt[23]. Interessant ist hier der Nachweis einer Heizung[24], was in romanischen Burgen eine Seltenheit darstellt und das Haus somit der obersten Führungsschicht vorbehält. Die Funde sprechen für eine Datierung um 1200[25], in der Rekonstruktion aber nicht berücksichtigt.

Sehr schwierig ist in Weißensee, wie sonst auch immer, die Rekonstruktion des Daches. Zum Anfang des 13. Jahrhunderts existierte ein Dachwerk, die Frage ist nur welches?[26] Wahrscheinlich ist ein Giebeldach mit einer Neigung von 30 bis 45 Grad[27]. Das Giebel- oder Satteldach findet sich auch bei den anderen Bauten der Nordseite[28]. Das Gebiet Thüringen erlaubt eine Schieferdeckung, die auch bei anderen Saalbauten nachgewiesen werden konnte[29].

Burg Weißensee mit der vorgeschlagenen Außentreppe

Rekonstruktion der Nordseite der Burg Weißensee mit der vorgeschlagenen Außentreppe, die zum Eingang des Saales führt

 

 

Eine Rekonstruktion der Südwand des Festsaales

Weißensee galt als wichtiger Stützpunkt des Landgrafen. Das zeigt u.a. die Größe der Burg[30]. Er wollte dort seinem Hofleben nachgehen können, also mussten auch entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Dafür war der Saal in der Burg gedacht. Dort wurde zum Essen aufgespielt oder danach der Tanz eingeläutet.

Die heutige Runneburg in Weißensee/Thüringen wurde in den 1990er Jahre untersucht und zeigte einen Festsaal, der für diese Ansprüche zur Verfügung stand[31]. Der Festsaal befindet sich im Obergeschoss der Burg, an der Nordseite war der Eingang (siehe oben). Mit einer Größe von 25 m Länge, 10 m Breite[32] und einer Höhe von 4,2 m[33] hat er für 100 bis 200 Personen Platz und war damit für eine literarische Veranstaltung mehr als ausreichend. Dabei muss aber gesehen werden, dass es hier nur grobe Schätzungen der Personenanzahl geben kann, da sie meist aus den schriftlich fixierten Zeugen hochgerechnet wird[34]. An normalen Veranstaltungen (keine mittelalterlichen Megaevents) dürften so ca. 20-25 Personen teilgenommen haben – adlige Frauen und Männer, Geistliche, Truchsesse, Freiherren etc.[35]. Sie alle saßen zusammen oder gingen zum Tanz über[36].

Der Festsaal in Weißensee wurde mehrfach umgebaut, hochmittelalterliche bzw. spätromanische Elemente sind aber noch heute sichtbar. Dazu gehören die Fensterarkaden an der Südseite mit der inneren Fenstergestaltung[37], die jedoch wiederum rekonstruiert werden muss. Als größte Fenster des Bauwerks deuten mehrere Befunde auf Dreierarkaden mit Doppelsäulen hin. Sitzbänke in den Fenstern waren in Weißensee nicht vorhanden[38]. Gerade die Triforien sprechen für die Anwesenheit Herrmanns in Weißensee, da sie sich meist an hochherrschaftlichen Plätzen befanden[39]. Die Säulen der Fenster zeigen ebenfalls dieses Bild. Sie konnten aus Edelmaterial bestehen wie Buntmarmor[40] und schwarzem Kohlenkalk[41], wobei die Basen und Kapitelle steinfarben blieben[42]. Steinfarben ist auch das umgebende Mauerwerk ohne flächigen Verputz[43]. Grau beherrscht also die Umgebung[44] mit schwarzen bis rötlichen Säulen in den Fenstern der Südwand[45]. Die flächigen Partien hatten dabei einen grauen Farbüberzug als dünne Lasur[46], wodurch die Steine verdeckt waren. Die Fugen wurden sichtbar gemacht[47]. Dominierend war demnach ein mittlerer Farbton an den Wänden[48], ein "steinfarb"-Überzug[49].                                                                            Für Weißensee wird ein stützenloser Saal vermutet[50], eine mittlere Reihe von Holzstützen ist aber ebenfalls möglich[51] und ein Fußboden aus Holz wird angenommen[52]. Für die Rekonstruktion wird wieder von Bauphase II ausgegangen[53].

Rekonstruktion der Südwand des Festsaales

Rekonstruktion der Südwand des Festsaales



[1] Für die genaue Beschreibung (kreisförmig etc.) siehe: Meckseper 1998, 11f., Bangerter-Paetz 2007, 651f.

[2] Hauptbauzeit im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts: Meckseper 1998, 22.

[3] Kozok 1998, 152, Abb. 131.

[4] Grundriss siehe: Kirchschlager/Stolle 1993, 12.

[5] Kozok 1998, 153, Klaua 1998, 207; weitere verbaute Gesteinsarten (Schillkalk, Sandstein etc.) siehe Klaua 1998, 207f., 222f.

[6] Möller 1993, 180.

[7] Wie gesagt gab es mehrere Bauphasen; für die Datierung um Walther können einzelne Abschnitte nicht mehr exakt belegt werden. Sehr frei rekonstruiert ist die Außentreppe (wie in Klosterneuburg, siehe oben), da sie archäologisch nicht mehr nachgewiesen werden kann, siehe Rekonstruktion.

[8] Siehe Kozok 1998, 146f.

[9] Meckseper 1998, 20.

[10] Kozok 1998, 155.

[11] Kozok 1998, 176, 177, 198, 202.

[12] Meckseper 1998, 23; Rundbogenfriese wurden auch hier angelegt (siehe auch Magdeburg, Frankfurt): Kozok 1998, 155, 156, 182, 183; für die Eingänge und die Fenster siehe: Kozok 1998, 158, 159, 162, 177.

[13] Kozok 1998, 160; für die Triforien der Nordwand siehe Kozak 1998, 185.

[14] Kozok 1998, 162, siehe auch wieder Klosterneuburg.

[15] Kozok 1998, 162.

[16] In den Jahren 1204 bis 1212: Kozok 1998, 172, 173, 195.

[17] Kozok 1998, 201, 204, 205; Abschluss der Arbeiten unter Landgraf Hermann I. (1190 -1217): Kozok 1998, 206

[18] Lieb 1998, 298.

[19] Meckseper 1998, 20.

[20] Altan oder auch Söller. Austritt oder Plattform mit Brüstung im Obergeschoss, die mit einer oder mehreren seitlichen Treppen versehen sein konnte, siehe auch Bangerter-Paetz 2007, 100.

[21] Vergleich mit anderen Befunden: Meckseper 1998, 27, 28, Bangerter-Paetz 2007, 92f. , 96, 97.

[22] Kozok 1998, 195, 202.

[23] Lohmann/Stolle 1998, 104.

[24] Meckseper 1998, 21, Lohmann/Stolle 1998, 104, 105.

[25] Lohmann/Stolle 1998, 106, 145; alles Anzeichen, dass Landgraf Hermann diesen Sitz zu seinen bevorzugten Aufenthaltsorten gerechnet haben muss .

[26] Altwasser/Kühlborn 1993, 67f.

[27] Altwasser/Kühlborn 1993, 68, Bangerter-Paetz 2007, 273, 276, Binding 1991, 11.

[28] Altwasser/Kühlborn 1993, 79, 85.

[29] Bangerter-Paetz 2007, 280, Binding 1991, 12.

[30] Vergleich mit anderen Burgen: Meckseper 1998, 24. Die Runneburg gehört zu den größeren Burgen: Meckseper 1998, 26.

[31] Meckseper 1998, 22, 23.

[32] Wirth 1993, 204.

[33] Bangerter-Paetz 2007, 282.

[34] Zeugen, die in den Dokumenten auftauchten, waren nur Adlige oder Teile der angesehen Gesellschaft des Mittelalters. Deswegen taucht Walther auch fast nie in den Schriftquellen auf (Ehnert 1976, 410). Trotz seines Könnens war er eben nur ein Fahrender! Siehe für den Thüringer Hof: Bumke 2008, 702f. Spielleute werden nur sehr selten als Zeugen genannt: Schubert 1995, 157.

[35] Bumke 2008, 703f. Auch waren nicht alle Teile der Festgesellschaft an dem literarischen Vortrag interessiert, andere gingen zu den Tänzen, sportlichen Veranstaltungen etc.: Bumke 2008, 723.

[36] Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 356.

[37] Meckseper 1998, 20, Kozok 1998, 170, Möller 1993, 177f.

[38] Siehe Kozok 1998, 184, Anm. 112; für die Sitzbänke siehe oben Exkurs 4.

[39] Kozok 1998, 206, siehe dazu Klosterneuburg oben.

[40] Siehe Klaua 1998, 209f., 226.

[41] Meckseper 1998, 31, Kozok 1998, 153, Klaua 1998, 210, 226.

[42] Weil die Basen und Kapitelle überwiegend aus Sandstein und Muschelkalk bestehen: Klaua 1998, 219, 223; für die Ornamentik der 17 Kapitelle der Runneburg siehe: Lieb 1998, 280f.

[43] Nur steinfarben überzogen, die Fugen waren sichtbar: Meckseper 1998, 21, siehe auch Kozok 1998, 154. oder Klaua 1998, 210, Abb. 186, Klaua 1998, 219f.

[44] Möller/Berg 1998, 270, Abb. 230, Möller/Berg 1998, 272, Abb. 232.

[45] Klaua 1998, 219, siehe auch Möller/Berg 1998, 252-255, Abb. 214, 215, 218.

[46] Farblasur als Überzug: Möller/Berg 1998, 233, 243, 271f. ; Abb. 232.

[47] Ritzfugen und Scheinfugen: Möller/Berg 1998, 242, 243, 249, siehe auch Möller 1993, 166f., 174.

[48] Möller/Berg 1998, 244.

[49] Möller/Berg 1998, 267, Möller 1993, 169, 174.

[50] Anhand der Arbeiten und Vorschläge von Meckseper (Meckseper 1998, 27, Anm. 43), Kozok 1998, 184, zum Vergleich siehe Vianden/Luxemburg: Bangerter-Paetz 2007, 575f. , Kleinen Saalbau: Bangerter-Paetz 2007, 591, Abb. 662, 663.

[51] Siehe Exkurs 4.

[52] Bangerter-Paetz 2007, 155.

[53] Kozok 1998, 175.




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