Exkurs 10:

Das Aussehen eines Musikers


Exkurs 10: Walthers Leben auf der Straße

Immer wieder klingt bei Walther sein Leben auf der Straße durch. Er war Fahrender und dadurch ständig unterwegs. Er musste diesen Lebensstil notgedrungen annehmen, was er häufig in seiner Dichtung verarbeitete[1]. Für die Reise brauchte er eine gewisse Ausstattung, angefangen mit (mindestens) einem Pferd.


Das Pferd

 

Pferde waren zusammen mit den Kleidern die typische Entlohnung für den Spielmann[2], wodurch Walther sicherlich mindestens eins besaß[3]. Er hatte aber kein Streitross, eher ein gutes Reitpferd und eventuell zusätzlich ein Last- und Tragetier[4].

 

Die mittelalterliche Terminologie unterschied in der Funktion der Pferde[5]. Als Reittiere wurden die Zelter, die Paßgänger und die kleinen Pferde aus Ungarn bevorzugt[6]. Insgesamt waren die mittelalterlichen Pferde [7]deutlich kleiner als heute. Erst ab 1200 bis 1350 setzt die Vergrößerung ein mit Widerristhöhen von 1,60 m und mehr[8]. Bei der Rekonstruktion wird von ca. 1,45 m ausgegangen.

 Rekonstruktion vom Pferd

Rekonstruktion vom Pferd, Trense/Zügel[9]

 

Was konnte sich auf dem Pferd befinden?

 

Große Wasservorräte musste Walther nicht mit sich führen[10], doch der Tagesbedarf auf Reisen musste gedeckt sein. Auf Essen konnte auch einmal verzichtet werden, das tägliche Trinken aber war lebensnotwendig[11]. An Funden gibt es hier die sogenannte Pilger- oder Reiseflasche[12].

 Die Pilgerflasche

Die Pilgerflasche am Pferd befestigt

 

Auf dem Pferd waren dann noch zumindest eine Decke und vielleicht ein kleines Zelt verstaut. Am Körper trug er zusätzlich zur normalen Kleidung einen Mantel. Das Mittelalter kannte für diese Zwecke den Reisemantel oder die Kappe, die auch häufig in der Literatur genannt wird[13].  

Zum Transport der Instrumente bzw. zum Schutz vor dem Wetter müssen ebenfalls Behältnisse vorhanden gewesen sein. Da kannte das Mittelalter Lederbälge[14]. In der Epik zwar selten, aber doch erwähnt wird der Ledersack (Sarbalc)[15]:

 Der SarbalcSatteltaschen

Der Sarbalc für die Fidel, zusätzliche Satteltaschen auf dem Pferd, darauf zusammengerolltes Gepäck (Decke/Zelt)

Die Behältnisse konnten auf dem Pferd befestigt sein oder sich direkt am Mann befinden. Überliefert ist die Fidel auf dem Rücken[16]. Für seine Kompositionen musste Walther auch wasserdichte Taschen mit sich führen (siehe Schriftlichkeit im Mittelalter unten):

Rekonstruktion vom Pferd mit der Reiseausstattung

 Pferd mit der Reiseausstattung

Wegenetze/Wald im Mittelalter

 

Allgemein waren die Straßen im Mittelalter in einem schlechten Zustand, was für Fahrende ein besonderes Problem darstellte[17]. Es muss jedoch schon früh ein rudimentäres Straßennetz gegeben haben, da bereits in der Antike Handelsverbindungen bestanden[18]. Von den römischen Straßen haben einige bis ins Mittelalter überdauert[19] und waren somit noch von besserer Qualität. Der Rest war eher nach der Art der heutigen Feldwege, die anfällig für Regen oder starke Trockenheit waren. Schnell wurden sie unpassierbar[20]. Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde das alte Straßennetz umfänglich ausgebaut, da die wachsenden Städte ein auf sie ausgerichtetes Straßensystem benötigten[21]. Innerhalb dieses Wegenetzes gab es aber qualitative Unterschiede für verschiedene Anforderungen, angefangen bei der Breite. Eine königliche Straße sollte dabei etwa 4,8 m, ein Weg ca. 2,4 m und ein Fußweg etwa 0,9 m breit sein. Sehr schmal war noch der Rain (grasbewachsener Grenzstreifen), von dem einer noch heute im Thüringer Wald zu finden ist[22]. Gerade im Gebiet Walthers, z.B. in Thüringen, müssen zumindest Wege bestanden haben, da für den Burgenbau des Adels Transportmöglichkeiten vorhanden gewesen sein müssen[23].

Die Beschaffenheit der Wege war der Nutzung geschuldet: Sie waren "als Spurenstränge ausgebildet, das heißt, die bestanden aus mehreren parallel verlaufenden Geleisen und Pfaden."[24]. Die Menschen damals unterschieden dabei auch schon in Fußwege und Straßen[25] bzw. enge Waldwege und breitere Straßen[26].

 

Nächtliche Unterbringung

 

Über die Herbergen im Mittelalter lässt sich von archäologischer Seite bisher nur wenig Verlässliches sagen, da sie immer wieder überbaut wurden[27]. Die schriftlichen Quellen beginnen auch meist erst im Spätmittelalter, so mit Verordnungen über die Mindestausstattung der Küchen für die Herbergen[28]. Das kommerzielle Gasthausgewerbe muss es aber auch schon zu Zeiten Walthers gegeben haben, da schon früh auf die Wirkung von Wirtshausschildern gesetzt wurde, die Kunden anlocken sollten[29] und zur Absetzung von anderen Häusern dienten[30]. Auch wurde schon früh, ab dem 11./12. Jahrhundert, mit ihnen Geld verdient[31]. Anhand der Schriftquellen muss aber zur Zeit Walthers noch unterschieden werden in Unterbringung für die Nacht und Verpflegung, d.h. es gab Herbergen für den nächtlichen Schlaf und die Verpflegung gesondert auf dem Markt oder in der Taverne[32]. Herbergen existierten jedoch schon. Die Überlieferung berichtet ebenfalls von ihnen[33].

 

Bei der Erwähnung Walthers im Jahre 1203 befand sich Wolfger von Erla ebenfalls auf Reisen[34]. Er konnte zwar standesgemäß und häufig kostenlos übernachten, musste die Verpflegung aber auch unterwegs einkaufen[35]. Für Walther kommen da eher einfachere Behausungen infrage, außerhalb einer guten Lage[36].

 

Hausrekonstruktion aus dem 13. Jahrhundert

 

Wirts- oder Gasthäuser waren im 13. Jahrhundert, wie andere städtische Häuser auch, Funktionsbauten. Sie wurden ebenfalls in der herkömmlichen Art gebaut, d.h. als Fachwerkhaus[37]. Sicher gab es auch edlere Bauten aus Stein, doch auch für das normale fahrende Volk mussten nächtliche Unterbringungen geschaffen werden – dies vor allem in Städten mit Großveranstaltungen wie z.B. Messen. Von archäologischer Seite lassen sich Fachwerkhäuser aus dem 13. Jahrhundert zwar nachweisen, aber selten einem Gewerbe zuordnen[38]. Bei jüngeren Befunden ist da schon mehr möglich. Es gibt Hausbefunde, die in das 13. Jahrhundert datiert werden können, aber eine Zuordnung als Gasthaus ist fast unmöglich, da das Aufgehende nicht mehr vorhanden ist. Für die Rekonstruktion eines Wirts- oder Gasthauses müssen also zusätzlich zum archäologischen Befund:

1. die zeittypische Bauweise beachtet werden,     

2. Vergleiche zu jüngeren Befunden gemacht,

3. überkommende Quellen mit einbezogen und

4. die Bildquellen gesehen werden.

 

Die zeitgenössische schriftliche Überlieferung gibt da keine genaue Baubeschreibung[39], die anderen Quellen können jedoch etwas aussagen.

Die Bildquellen zeigen die Gasthäuser von außen als ausgeschildert mit Wirtshausschildern. Die Kenntlichmachung für den Reisenden gab es schon im 13. Jahrhundert[40]. Es sind die sogenannten Ausleger, die von den Häusern aus als hölzerne, metallene oder aus Stoff bestehende Schilder auf die Straße hinaus hingen[41]. Auf ihnen waren Symbole tierischer oder anderer Art abgebildet, die die Herberge auswiesen. Auch alltägliche Objekte konnten abgebildet sein, wie Krüge, Fässer etc.[42].

 

Die auf unsere Zeit überkommenden Quellen sind Häuser, die durch die Dendrochronologie bestätigt die Jahrhunderte überdauert haben bzw. von der Bausubstanz nicht stark verändert wurden. Da gibt es vereinzelte Beispiele, so in Frankfurt[43] oder in Erfurt. Das Haus Schellgasse 8 in Frankfurt eignet sich gut für die Rekonstruktion, da es ein zweistöckiger, traufständiger Fachwerkbau ist[44], der mit jüngeren, spätmittelalterlichen Gastwirtschaften vergleichbar ist[45]. Allerdings wird das Haus Schellgasse um 1292[46] datiert, was es näher an die Zeit Walthers rückt. Verglichen mit anderen Häusern zeigt das Haus in der Schellgasse 8 auch "eher altertümliche Merkmale"[47]. Schindeln können im städtischen Umfeld bei Wohnhäusern angenommen werden[48]. 

Herberge mit Ausleger

Rekonstruktion einer Herberge mit Ausleger am Eingang

 

 

 

 

Nächtliche Unterbringung im Freien

 

Im Mittelalter war die Übernachtung auf einer Wiese oder irgendwo im Freien gang und gäbe. Es gab Regelungen für Reisende, die beiderseits des Weges übernachten durften[49]. An die Verpflegung musste dann natürlich vorweg gedacht werden[50]. Für die Übernachtung draußen berichtet die Epik mehrfach von Zelten, meist aber in den Luxusausführungen des Adels, z.B. bei Großveranstaltungen im Freien[51]. Einfache Zelte, die für Walther infrage kommen, werden nicht ausführlich beschrieben. Es gab sie jedoch auch für die einfache Bevölkerung[52]. Das Mittelalter kannte schon eine Unterteilung der Zeltarten. So gab es bei den Prunkzelten auch "sîden hütten"[53], d.h. kleinere seidene Zelte, die sich von den großen Zelten abgrenzten[54]. Zudem unterschied man zu Walthers Zeiten bereits verschiedene Zeltformen, wie rund und viereckig[55]. Notfalls wurde auch unter freiem Himmel geschlafen, wenn kein Zelt oder keine Herberge zur Verfügung standen[56].



[1] Siehe Buch.

[2] Bumke 2008, 317, Salmen 1960, 144;  Wigalois: S. und U. Seelbach 2005, 40. Weiter Nennung von Pferdeschenkungen an Fahrende: Nibelungenlied: Grosse 2020,201.

[3] Schon lange vor Walther besaßen Spielleute Pferde: Schubert 1995, 153; er ist Besitzer mindestens eines Pferdes, was er in der Dichtung erwähnt (Buch: Fall Atze).

[4] Der Wert des Pferdes von Walther war mit drei Mark weit unter dem Wert einen Streitrosses. Es war somit eher ein Reit- oder Reisepferd: Wigalois, Kommentar: S. und U. Seelbach 2005, 301.

[5] Bumke 2008, 237.

[6] Bumke 2008, 240, Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2,588, Cremello Islandpferde (Hrsg.):  https://www.cremello-islandpferde.de/living-history/das-pferd-im-mittelalter/.

[7] Nussbaumer/Rehazek 2012, 58, 59.

[9] Hyland 1999, 66.

[10] Ohler 2004, 26.

[11] Notfalls müssen Nüsse den Tagesbedarf decken, die auch wiederum gut transportiert werden können: Ohler 2004, 30.

[12] Lohmann/Stolle 1998, 115, Abb. 90; aus dem 12./13. Jahrhundert: Funke/Kröll 2012, 199.

[13] Wigalois: S. und U. Seelbach 2005, 199, auch Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 326, 327, 522, 523, siehe oben Das Aussehen eines Musikers.

[14] Katalog, Die Zeit der Staufer, Abb. 131, 198 (Bodenfund: Lederbeutel).

[15] Wigalois: S. und U. Seelbach 2005, 139, 301; der Sarbalc war ein Ledersack zum Aufbewahren des Harnischs.

[16] Gülke 1998, 146.

[17] Schubert 1995, 68f., 73, Ohler 2004, 58.

[18] Ohler 2004, 38.

[19] Ohler 2004, 465, LeGoff 1970, 16f.

[20] Heger 1970, 149.

[21] Dies nennt sich städtezentriertes Fernverkehrsnetz, das jetzt sehr viel dichter wurde: Denecke 1986, 211.

[22] Rennsteig im Thüringer Wald: Ohler 2004, 57.

[23] Z.B. für den Bau/Erweiterung/Instandhaltung der Burg Weißensee, d.h. Walthers Auftrittsmöglichkeiten, dazu auch Ohler 2004, 58; Iwein, Krohn 2012, 20.

[24] Denecke 1986, 214.

[25] Eneasroman: Ettmüller/Kartschoke 1986, 496.

[27] Ohler 2004, 156, Wehner 2015a, 12.

[28] Ohler 2004, 163f.

[29] Ohler 2004, 164; schon im 13. Jahrhundert vorhanden: Handwerksmuseum Kehl-Kork (Hrsg.):  https://www.handwerksmuseum-kehl-kork.de/wirtshausschilder; jedoch meist erst für jüngere Zeiten nachweisbar: Wehner 2015b, 15, 16

[30] Autenrieth 2015a, 39, Frieser 1999, 172.

[31] Peyer 1982, 284.

[32] Wehner 2015a, 11; das war weit bis ins 12./13. Jahrhundert so (Peyer 1982, 268, 275, 276) oder jedenfalls noch in weiten Teilen Europas: Schmugge 1983, 53, 56; ab wann es dabei eine Zusammenlegung von Bewirtung und Schlafplatz gab, lässt sich nicht genau datieren. Es ist die Entstehung der kommerziellen Gastlichkeit, die nur allgemein ins Hochmittelalter datiert wird: Jürgens 2015, 19. Es deutet sich aber an, dass es erst vermehrt am Ende des 13. Jahrhunderts geschah, d.h. nach Walther; älteste Belege für Gasthäuser mit Verpflegung stammen vom Ende des 13. Jahrhunderts: Peyer 1982, 287, Peyer 1987, 58, 59, 84, 85.

[33] Nibelungenlied: Grosse 2020, 42.

[34] Siehe Buch.

[35] Peyer 1987, 190, 191.

[37] Fachwerkhäuser lassen sich dendrochronologisch im städtischen Umfeld schon im 12. Jahrhundert fassen, so z.B. in Lübeck, siehe: Erdmann 1985, 96f., Abb. 46, 47; ab 1173 werden in Lübeck die ersten Fachwerkbauten errichtet: Erdmann 1985, 103-105.

[38] Normalerweise ist die Bauweise zu unspezifisch, lässt sich nicht direkt als Herberge zuordnen: Wehner 2015b, 17, Vasiliadis 2015, 27, 28.

[39] Aus der Epik kann hier nichts entnommen werden, da Herbergen etc. zwar erwähnt werden, es jedoch keinerlei genaue Beschreibung gibt.

[40] Schon zur Zeit Karls des Großen: Autenrieth 2015a, 39, Peyer 1987, 14.

[41] Autenrieth 2015a, 39-41; archäologische Funde fehlen. Der Ursprung könnte das aufgepflanzte Banner des Ritters am Ort der Übernachtung sein. Fahnen waren weit verbreitet und zählten wahrscheinlich zu den Frühformen der Ausleger: Peyer 1987, 230-233.

[42] Autenrieth 2015a, 40, Peyer 1987, 234, Szabó 1983, 88, 89, siehe Miniatur in den hundert neuen Novellen aus dem 15. Jahrhundert: University of Glasgow (Hrsg.): https://www.gla.ac.uk/myglasgow/library/files/special/exhibns/treasures/nouvelles.html .

[43] Für Frankfurt: Das Haus in der Schellgasse 8 wird auf das Jahr 1291 datiert. Es war ein Rauchhaus (ohne Kamin) mit einem 10 m hohen Mittelständer (vom Fundament bis zum First). Das Erdgeschoß war als Halle konzipiert mit deckentragenden Stützen: Mack 1994, 226, 227. Eine Halle im Eingangsbereich lässt sich gut mit einem Wirtshaus vereinbaren (Aufenthaltsort/Speisesaal), wodurch es hier für die Rekonstruktion berücksichtigt wird.

[44] Klein 1985, 113-116; Gasthäuser waren meist mehrstöckig: Wehner 2015b, 17, Vasiliadis 2015, 28. Ab dem Spätmittelalter ist der Aufbau der Gasthäuser fassbar, das hieß häufig Lager und Ställe zu ebener Erde und die Wohnräume in den oberen Geschossen: Peyer 1987, 258, 259, Frieser 1999, 181.

[45] Z.B. mit dem Gasthaus in Ladenburg, Kirchenstraße 33. Dendrodatiert in das Jahr 1435: Vasiliadis 2015, 28, 29, 31.

[46] Klein 2012, 26-27.

[47] Klein 2012, 27.

[48] Binding 1991, 12.

[49] 20 m breiter Streifen beiderseits des Weges war als erlaubte Zone festgelegt. Es durfte Holz geschlagen werden, Feuer gemacht und die Pferde durften weiden: Peyer 1982, 268, 270.

[50] Peyer 1982, 273, Peyer 1987, 30.

[51] Nibelungenlied: Grosse 2020, 174, 175, Peyer 1982, 276.

[52] Schmugge 1983, 49.

[53] Nibelungenlied: Grosse 2020, 174, 175.

[54] Nibelungenlied, Kommentar: Grosse 2020, 750, siehe auch Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 474, 475, 476, 477, 500, 501. Eine weitere Bezeichnung für Zelt, die in der Epik auftaucht, ist pavelûne: Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 326, 327.

[55] Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 364, nochmalige Nennung der Zeltarten: Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 575- 577; Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 224; Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 270.

[56] Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 50.




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