Zur bildlichen Überlieferung über Walther
Zu nennen ist vor allem die Große Heidelberger Liederhandschrift von ca. 1300 bis 1430. Walther wird da idealtypisch gezeigt[1], wobei die Darstellung des sitzenden, nachdenklichen Sängers antike Traditionen hat[2]. Es ist das Bild, das sich die Welt von Walther macht und machte. Die Dichtung Walthers und die Miniaturabbildung sind jedoch nicht zeitgleich; die charakteristische Abbildung mit dem sitzenden Walther taucht erst ab dem späten 13. Jahrhundert auf[3]. Walther war zu dem Zeitpunkt somit schon ca. 70 Jahre tot. Dass es einen noch lebenden Zeitzeugen gab, der Walther selbst gesehen hatte, kann dadurch ausgeschlossen werden. Es ist also keine korrekte Abbildung des Sängers, körperliche Merkmale können demnach vernachlässigt werden, sondern der Gestus zählt[4].
Zusätzlich wird in der Heidelberger Liederhandschrift ein Status suggeriert[5], der so nicht vorhanden war, da die Schwert/Helm-Kombination eine Ritterbürtigkeit vorspielt, die Walther aber nicht innehatte[6]. Die Miniatur versuchte Walther also einen Stand anzudichten[7] bzw. die Generationen nach Walther wollten ihn gern dem Adel zurechnen. Andere Informationen können der Abbildung jedoch durchaus entnommen werden.
Zur Rekonstruktion:
Für die Rekonstruktion weltlicher Kleidung ist man aufgrund der Erhaltungsbedingungen auf literarische und bildliche Quellen angewiesen[8]. Zusätzlich versuchte die Textilarchäologie, die bildlichen Quellen auf der Grundlage der damals möglichen Kleidungsverarbeitungstechniken zu untersuchen. Es konnte dadurch und durch anhaltende Funde von Geweberesten, Leder etc. ein gutes Bild der weltlichen Kleidung des Hochmittelalters geschaffen werden. Die Experimentalarchäologie fügte dann alles zu einem Bild zusammen und veröffentlichte es[9].
Für Walther muss hierbei bedacht werden: Da Walther für die höfische Gesellschaft spielte, musste er die mittelalterliche Kleiderordnung beachten, die schon viel über den Stand aussagte[10]. Der Adel verstand in Kleidungsfragen keinen Spaß, was er in vielen Erlassen streng durchsetzte. Die Verbote richteten sich aber meist gegen das Fehlverhalten der Bauern[11]. Diesbezüglich kann für die Spielleute keine Standestracht oder Kleidervorschrift angegeben werden[12]. Einige richteten sich nach der höfischen Mode[13]. Angefangen bei den Haaren der oberen Schicht: In Mode waren bei den Männern des Hochmittelalters lange Haare, die mit Brenneisen zu Locken verarbeitet wurden. Die Stirn ließ man offen oder sie war freirasiert[14]. Auch das Gesicht wurde rasiert oder nur ein kurzer Bart stehengelassen[15]. Die Miniatur zeigt dies auch noch für die spätere Zeit. Walther konnte sich da dem Hof anpassen, was auch schon andere Spielmänner vor ihm gemacht haben[16]. Bei der Kleidung musste Walther jedoch aufpassen, denn hier galt es, abzuwägen: der Gesellschaft würdig, jedoch nicht übertrieben protzig. Eine verhältnismäßig gute Grundkleidung gestand man ihm zu, doch Schmuck oder kostbare Seidenstoffe dürfte er nicht besessen haben[17]. Die Epik nennt kleinere Details für den Nichtadel, z.B. die Hosen aus Wolle oder das leinene Gewand[18].
Die Grundkleidung
Um am höfischen Leben teilzunehmen, muss Walther aber zumindest ein Kleidungsstück besessen haben, das sich vom bäuerlichen Graublau bis Schwarz[19] unterschied[20]. Da er sich aber immer von den normalen Fahrenden abheben wollte[21], kann auch deren Buntscheckigkeit nicht nach seinem Geschmack gewesen sein[22]. Er brauchte keine bunte Verkleidung, hinter der er sich verstecken konnte[23]. Verwechselt werden darf diese "verlotterte" Buntheit, die wohl mehr aus Flicken bestand, nicht mit der Farbenfreude des Adels (siehe unten: adlige Frau/Mann). Dieser zeigte, trotz seiner auffallenden Farbkombinationen[24], ein anderes Bild, allein schon durch die Stoffqualität. Auch da konnte und durfte Walther nicht mithalten. Das einheitliche Blau ist ein Kompromiss, der am Hof nicht negativ auffiel und vom Adel toleriert wurde[25] (siehe dafür Abbildung oben bzw. die Manessische Liederhandschrift[26]). Spielleute, in der Position eines Walthers, hielten sich da an die weltlichen Stände[27], nicht an das bunt Auffallende der unteren Fahrenden[28]. Diese erschienen häufig stark heruntergekommen (siehe Exkurs 6)[29]. Dies entsprach wohl nicht Walthers künstlerischem Niveau.
Für die Rekonstruktion werden für Walther eine blaue Tunika, Hose und Schuhe angenommen. Die Tunika der Männer war waden- bis knielang[30], dazu gehörten ein Gürtel[31] und Schuhe[32].
Rekonstruktion der Grundkleidung und der Haare für Walther von der Vogelweide. Körpergröße Walthers ca. 1,67 m[33].
Die Gürteltasche
Nützlich für einen Reisenden ist noch ein Behältnis am Körper für die tagtäglichen Dinge (Feuereisen, Löffel etc.). Das Mittelalter kannte da nur separat angebrachte Taschen oder Beutel[34]. Für den Mann ist da die Ledertasche am Gürtel obligat. Außer den bildlichen Quellen, die diese Taschen mehrfach zeigen, gibt es archäologisch nur einen Fund, der sie bestätigt: der Fund von Weißensee[35]. Er zeigte die Machart der Gürteltaschen im Detail[36], obwohl hier, wie überall im Mittelalter, auch eine Vielfalt herrschte.
Rekonstruktion der Gürteltasche nach dem Fund von Weißensee.
Das Messer
Ein Messer wird für Walther postuliert, da er in seiner Dichtung den fehlenden Landfrieden anprangert, z.B. im Reichston. Für ihn als fahrenden Sänger ist die Gefahr für Leib und Leben unmittelbar[37]. Die ständige Sorge vor Wegelagerern machte das Tragen von zumindest einer leichten Waffe lebensnotwendig[38]. Sicher ist er nicht stark bewaffnet gewesen – die Ritterbürtigkeit wird ihm ja abgesprochen –, doch muss er auf Reisen jedenfalls einen kleinen Schutz besessen haben, vor allem, da er ja meistens alleine unterwegs war[39]. Nützlich ist ein Messer oder Dolch allemal für einen Reisenden[40] und das war Walther während seines gesamten Lebens. Es kam zwar zu Verboten, die Spielleuten das Tragen von Messern und Schwertern untersagen sollten[41]. Abbildungen und Miniaturen beweisen aber, dass sie sich nicht daran gehalten haben[42]. Zur Zeit Walthers konnten Musikanten jedenfalls den kleinen Dolch tragen, was auf zeitgenössischen Abbildungen ebenfalls überliefert ist[43]. Schriftlich gibt uns Jansen Enikel einen Eindruck von diesen Umständen, in dessen Fürstenbuch Fürst Luitpolt dem Spielmann ein Schwert übergibt[44].
Für Walther wird eher ein Messer angenommen, da es sich auch bei der Tafel zum Essen einsetzen ließ. Nach dem Auftritt musste er ja an der Tafel sein Essen zubereiten können und Besteck für alle war nicht vorgesehen. Ein Messer trugen sowieso alle bei sich[45]. Messer konnten auch sehr groß sein, was Walther auf seinen Reisen zugutekam[46].
Rekonstruktion der Gürteltasche und des Messers
Der Mantel
Darüber hinaus braucht der Reisende dann noch einen entsprechenden Mantel, der als "Reisekappe"[47] bezeichnet wurde. Eher für die adlige Oberschicht in der Literatur erwähnt[48], kann er auch für Walther angenommen werden, für ihn aber dann wohl nicht aus Seide oder dem kostbaren Scharlach[49]. Aber ein einfacher, ärmelloser Umhang war auch für ihn im Bereich des Möglichen[50].
Rekonstruktion der Grundkleidung und des Mantels.
[1]Universitätsbibliothek Heidelberg (Hrsg.), Bibliotheca Palatina – digital: https://doi.org/10.11588/diglit.2222#0243
[2] Schweikle 2009, 340, Wenzel 1989, 136f.
[3] Wenzel 1989, 135, Bumke 2008, 758f.
[4] Wenzel 1989, 150f.
[5] Wenzel 1989, 149, Wenzel 1983, 4f.
[6] Kircher 1973, 57f., erst ab Mitte des 14. Jahrhunderts wird Walther "miles" [Soldat/Krieger] genannt: Kircher 1973, 59f. Auch darf man den Handschriften nicht trauen. So sind in der Manessischen Handschrift einige Details, z.B. das Wappen Walthers von der Vogelweide, reine Phantasiegebilde: Kircher 1973, 59, 138
[7] Wenzel 1989, 152.
[8] Brüggen 1988, 202, 203; die Epiker des späten 13. Jahrhunderts wurden immer genauer in ihren Kleidungsbeschreibungen: Brüggen 1988, 213, 214.
[9] Siehe z.B. Thursfield 2015.
[10] "[…]; war doch das Kleid auch ein Zeichen ständischer Schichtung und sozialer Ordnung.": Salmen 1960, 57.
[11] Brüggen 1988, 219-221.
[12] Schubert 1995, 146, 147.
[13] Salmen 1960, 56.
[14] Siehe z.B. die Naumburger Stifterfiguren: Sauerländer 1977b, 212.
[15] Bumke 2008, 109, 187, 201; es musste also gepflegt aussehen. Andere Beispiele mit langem Bart und Haaren nennt die Epik z.B. für Pilger: Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 164, 165. Das Gegenteil davon war Tristan, dessen Haare braungelockt und gekräuselt waren: Tristan, Ranke/Krohn 1993, Band 1, 206, 207. Die Kirche sah die langen Haare nicht gerne, so der Prediger Berthold von Regensburg (um 1210-1272, Franziskaner): "Sô tragent sumelîche man hâr sam die frouwen lanc. […] Pfî dich, Adelheit, mit dînem langen hâre, daz dû niht enweist wie übel ez dir stêt unde wie lesterlîchen!": Predigten, Berthold von Regensburg, Band 1, 114. Auch nochmal bei Berthold: Predigten, Berthold von Regensburg, Band 2, 119. Als Beispiel siehe die Naumburger Stifterfiguren. Fast alle Männer sind bartlos: Sauerländer 1977b, 208.
[16] Salmen 1983, 36, Abb. 136; für die Rekonstruktion wird Timo von den Naumburger Stifterfiguren als Vorbild genommen, d.h. "lange, ungekräuselte Strähnen, die glatt in die Stirn fallen und sich seitlich an Schläfen und Wangen legen": Sauerländer 1977b, 212, Abb. 108.
[17] Unbedachte Fahrende konnten auch Proteste bei allzu ausstaffierter Kleidung hervorrufen: Salmen 1960, 57
[18] Willehalm: Schröder/Brunner 2018, 362.
[19] Bumke 2008, 181, Brüggen 1989, 63, 64.
[20] "Achtung und Mißachtung hingen als "Ansehen" im Mittelalter in entscheidendem Maße von der Kleidung ab, […]": Schubert 1995, 11. Der graue Rock aus rauem, grobem Stoff war eher etwas für die enthaltsame Pilgerfahrt, siehe im Parzival: Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 2, 28, 29, und weniger für die Präsentation bei Hof am Abend. Schwarz war als Zeichen der Trauer (Rohr 2002, 32) auch ausgeschlossen. Walther wollte Freude verbreiten, siehe Buch.
[21] Salmen 1960, 56.
[22] Schubert 1995, 147.
[23] Schubert 1995, 147, 148; auch wollte Walther Maße, siehe Buch.
[24] Es waren eher "reine, ausdrucksstarke Farben": Brüggen 1988, 214, Anm. 28.
[25] Siehe Bumke 2008, 182, von den fahrenden Spielmännern wurde Rot bevorzugt, Grün und Blau waren seltener: Salmen 1983, 38. Walther war aber in der Selbsteinschätzung keiner dieser auffälligen, aufreizenden Straßenmusiker. Blau wird seltener in der Epik erwähnt und dann meist nicht in völlig edlem Zusammenhang, schon herausstellend, aber nicht im adligen Zusammenhang: "ein brûtlachen von Gent, noch blâwer denn ein lâsûr": Parzival: Lachmann/Spiewok 2008, Band 1, 530, 531.
[26] Die Manessische Liederhandschrift hielt sich an den Kleiderkodex des Hofes. Zwei Beispiele werden bei Brüggen 1989 genannt: Brüggen 1989, 64.
[27] Walther lehnte die getragene Kleidung anderer ab, allein schon um sich von den normalen Fahrenden abzusetzen: Salmen 1983, 36.
[28] Als Gegensatz zu einigen fahrenden Spielleuten, die dadurch negativ auffielen: Salmen 1983, 36, 37; das bunt Gescheckte ist auch eher Not, ist geflickte Kleidung: Schubert 1995, 148, auch Salmen 1960, 58.
[29] Schubert 1995, 11.
[30] Brüggen 1989, 104.
[31] Für die Rekonstruktion wurde eine einfache Gürtelschnalle gewählt, die so in der Art auch bei den Magdeburger Figuren (Törichte Jungfrau, Magdeburg Dom: Groll/Böttcher 2014, 46) vorkommt, aus Bronze mit rechteckigem Umriss. Datierung vor der Mitte des 13. Jahrhunderts: Fingerlin 1971, 63, 68, 380, 399, Funde: Katalog, Die Zeit der Staufer, Abb. 140, 215, 216 (Bronze, Längen von 6,8 und 7,1 cm).
[32] Für Walther, den Reisenden, werden hohe Schuhe in der Rekonstruktion postuliert. Seine Schuhe mussten den vielen Reisen entsprechen, zudem kommen hohe Schuhe ab 1200 auf: Schnack 1992, 20. Hohe Schuhe konnten vielfältig verschnürt werden, je nach Ösenanordnung (Schnack 1992, 106f., Verschnürung meist am Schienbein: Schnack 1992, 111, 114) und innen ist in der kalten Jahreszeit eine Ausfütterung mit Gras, Heu, Wolle etc. möglich, jedoch ist dies nicht mehr beweisbar (Schnack 1992, 107, 108). Walther klagte aber schon in seiner Dichtung über den Frost des Februars an den Zehen (König-Friedrichs-Ton, Lehensdank: Schweikle 2009, 128, 129), weswegen hier dieser Schuhtyp favorisiert wird, siehe Schnack 1992, Taf. 66, Taf. 76; Funde: Atzbach 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 330, 406.
[33] Durch das Nord-/Südgefälle wird für Walther eine etwas geringere Größe angegeben. Im Mittelalter setzte eine Verringerung der Körpergröße ein, die gerade in Süddeutschland sichtbar wurde: "Gegen Ende des Mittelalters betrugen die Körpergrößen der Männer in den nördlichen Gebieten des Reiches im Mittel nur noch knapp 170 cm oder um 170 cm, in Süddeutschland nur noch zwischen 165 und 170 cm.": Wurm 1986, 103. Walther und das Hochmittelalter standen aber noch am Beginn dieser Entwicklung, wodurch hier eine Körperhöhe von 1,67 m vorgeschlagen wird. Kurz davor bzw. in der Völkerwanderungszeit konnten nämlich noch größere Höhen erreicht werden, zudem geben die Quellen keinen Mangel in Walthers Wachstumsphase an. Weder hatte Walther Einschränkungen in der Ernährung noch musste er hart arbeiten (Ausbildung zum Musiker in Österreich): Wurm 1986, 105, 106. Anthropologische Untersuchungen bei süddeutschen Männergräbern zeigten Größen ab 1,66 m, wobei die Datierung der Gräber aber weit gestreut war (11. Jahrhundert bis 1871/72): Wahl 2018, 162. Siehe dazu auch Vizelin, Exkurs 8, d.
[34] Stolle 1993, 125.
[35] Stolle 1993, 106, 125f., Abb. 36, 48.
[36] Die Gürteltasche konnte rekonstruiert werden: Länge ca. 18 cm, Höhe 10 cm, aus Ziegenleder, Schnallen aus Bein: Stolle 2010, Kat. Aufruhr 1225!, 452, 453, siehe Abb. 67 in: Lohmann/Stolle 1998, 107, 108.
[37] Kircher 1973, 87.
[38] Salmen 1960, 87.
[39] Dazu mehr im Buch.
[40] Ohler 2004, 210.
[41] Žak 1979, 282.
[42] Die Waffeneinschränkungen für Fahrende waren höchstens lokal möglich. Die schriftlichen Quellen nennen sogar Schwertbehang bei Musikern und selbst bei Bettelmusikanten: Salmen 1960, 87.
[43] z.B. Eitschberger 1999, Taf. 41, Abb. 70.
[44] Strauch 1900, 604: https://www.dmgh.de/mgh_dt_chron_3/#page/604/mode/1up.
[45] Elias 1981, 70.
[46] Messer mit stabiler und großer Klinge finden sich immer wieder. Eine Unterscheidung zwischen Werkzeug und Waffe ist dadurch nicht immer möglich: Leenen S. 2010, Kat. Aufruhr 1225!,477, 508, Katalog, Die Zeit der Staufer, Abb. 129, 1/2, 197 (Eisen, Messerlänge: 22,5 und 17 cm).
[47] Brüggen 1989, 86, 239.
[48] Brüggen 1989, 86f.
[49] Brüggen 1989, 87.
[50] Natürlich aber nicht so lang, mit Pelzwerk etc., wie die Kappen der adligen Frauen: Brüggen 1989, 87.