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Vizelin, ein hochmittelalterlicher Lebensweg und seine Umgebung in Wort und Bild (3D-Grafiken):

 

Prolog:

Der vorliegende Text zeichnet den Lebensweg des hochmittelalterlichen Menschen Vizelin nach, der als Priester ab dem 12. Jahrhundert in Schleswig-Holstein wirkte. In diesem Prolog geht es aber weniger um die Person Vizelin, sondern vielmehr darum, Struktur und Aufbau der Arbeit zu veranschaulichen. Dieser Einschub vorab ist notwendig, damit deren Zielrichtung deutlich wird. Die Einführung des Menschen Vizelin mit seinen Lebensstationen beginnt im Hauptteil.

Die untenstehende Karte zeigt seine Lebensstationen in Schleswig-Holstein:

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Karte vom östlichen Schleswig-Holstein: Stationen der Aufenthalte von Vizelin.

Vizelin wirkte somit im Grenzgebiet zwischen Deutschen und Slawen, das im Hochmittelalter durch den Limes Saxoniae abgegrenzt wurde. Dabei handelte es sich eher um eine diffuse Grenze, die aus unbewohntem Waldgebiet bestand und keine feste, starre Grenze war:

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Karte vom östlichen Schleswig-Holstein: Im Westen liegt das deutsche und im Osten das slawische Gebiet, geteilt durch den Limes Saxoniae. Ein Teilstamm der slawischen Abodriten waren die Wagrier. Sie lebten auf der heutigen Wagrischen Halbinsel.

Später, bei der langsamen Auflösung des slawischen Stammesgebietes, drang Vizelin immer tiefer in slawisches Gebiet vor, was die erste Karte zeigt. Zu dieser Zeit war der Limes Saxoniae schon sehr durchlässig und deutsche Städte, wie Lübeck, waren gegründet worden und befanden sich in ihrer Entstehung.

Strukturelles zum Aufbau:

Diese Arbeit ist eine Kombination aus schriftlicher und dreidimensionaler Beschreibung des Menschen Vizelin, d.h. es wird ein Bild dieses mittelalterlichen Menschen in Form von Lebensbeschreibungen und 3D-Rekonstruktionen von ihm und seiner Umgebung entworfen. Grundlage sind alle dafür notwendigen Fachbereiche, die sich bisher mit den Themen Mittelalter-Mensch-Kleriker auseinandergesetzt haben.

Da Vizelin nicht im leeren Raum agierte, sondern Teil der mittelalterlichen Welt war, erscheinen im Text deutlich markierte Exkurse mit zusätzlichen Erklärungen, auch zur ihn beeinflussenden Umgebung, d.h. dem östlichen Schleswig-Holstein des 12. Jahrhunderts als Hauptwirkungsstätte des Apostels der Wagier (in Ausschnitten; dies soll in späteren Arbeiten noch erweitert werden). Dieses Mittel wurde gewählt, damit Leser und Leserinnen die zum Teil recht umfangreichen Abschnitte sofort als solche erkennen und sie ohne zeitaufwendige Suche einfach überspringen können, wenn sie sich lediglich einen Überblick verschaffen wollen. Für ein vollständiges Bild vom Menschen Vizelin sind diese Zusatzinformationen jedoch wichtig und unbedingt zur Lektüre empfohlen.

Innerhalb der Exkurse werden zudem auch die 3D-Rekonstruktionen entworfen.

 

Informationen zu den 3D-Rekonstruktionen:

Zu den 3D-Rekonstruktionen wird jeweils ein Jetztfoto gezeigt, das den aktuellen Zustand abbildet. Die Rekonstruktion geht dazu als dreidimensionales Drahtgittermodell auf, damit ein heutiger Besucher die Stelle mit der Rekonstruktion identifizieren kann. Später im Text wird dann die Rekonstruktion exakter abgebildet bzw. erweitert und texturiert. Die Drahtgittermodelle im Foto besitzen hierbei keine Flächentreue, da Referenzpunkte von der archäologischen Ausgrabung nicht zur Verfügung standen. Sie dienen nur als visuelle Anschauung innerhalb der heutigen Landschaft in Form eines „unscharfen Wissens“, wobei architektonische Hypothesen vorgestellt werden[1]. Dabei ist zu beachten, dass die Fotogrundlage immer den Besucherblick auf die Szene abbildet, d.h. die Besucherinnen und Besucher sollen im Gelände erkennen können, wo sie sich gerade befinden (Drohnenaufnahmen bringen zwar einen Überblick, erlauben aber keine Orientierung, da Geländemarkierungen fehlen). An diesen Blickwinkel wird das Drahtgittermodell angepasst[2]. Anschließend werden erst die eigentlichen Rekonstruktionen gezeigt, die mit Eingliederung von Funden oder/und Personen mehr ins Detail gehen. Schematische Rekonstruktionen (dann auch zum Teil aus der Vogelperspektive) werden nur eingefügt, um einen Überblick zu geben oder die Größenverhältnisse zu demonstrieren.

Die schriftliche Ausarbeitung innerhalb der Exkurse bildet die Grundlage für die 3D-Rekonstruktionen und ist daher sehr ausführlich. Die 3D-Rekonstruktionen sprechen zusammen mit der Geschichte Vizelins aber auch für sich.

Einzelne Beispiele von 3D-Rekonstruktionen aus dem Text:

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Literarische Grundlagen:

Als roter Faden für den Text und als Grundlage für den mittelalterlichen Menschen Vizelin dient dessen Biografie, verfasst von Helmold von Bosau, der in direktem Kontakt mit seinem Glaubensbruder stand. Dabei liegt der Schwerpunkt tatsächlich auf dem Menschen Vizelin, nicht auf dem Heiligen. Dass Helmold nicht nur einen Heiligen beschreibt, wird in vielen Details deutlich, manchmal klingt es auch nur zwischen den Zeilen durch. Seine Ausführungen unterscheiden sich von anderen Heiligenbeschreibungen auch dahingehend deutlich, dass sie nicht nur ein ausschließlich glanzvolles Licht auf die Person Vizelin werfen. Weniger vorteilhafte Charakterzüge lässt er nicht aus. Das unterstreicht die Echtheit dieser Biografie und sie kann demnach schon zur frühen Geschichtsschreibung gezählt werden, die auch profane Geschehnisse aufnimmt und eine gewisse Chronologie beachtet[3].

Wichtig ist an dieser Stelle, dass gerade für das Mittelalter Charakterisierungen des Einzelnen eher über das Gemeinsame beschrieben werden können, da die Gruppenzugehörigkeit den Charakter eines Menschen prägte[4]. Der Einzelne unterwarf sich dieser Gruppe, sodass für die Beschreibung Vizelins nicht nur historische und archäologische Literatur[5] herangezogen, sondern auch die Psychologie des Mittelalters beachtet wird[6].

Das Mittelalter kann hier als Musterbeispiel gelten für die Annahme einer Massenpsyche[7] mit ihren wiederkehrenden Archetypen/kollektiven Unbewussten[8], da die dort vorherrschende Gesellschaftsform ein bestimmtes gemeinsames psychisches Gerüst regelrecht erzwang[9]. Die einzelne Rolle/Gruppenzugehörigkeit musste vor allem nach außen repräsentiert werden, da Abweichungen nicht nur hart geahndet, sondern – schlimmer noch – verteufelt wurden. Dadurch muss die Biografie des Einzelnen immer auch in der Gruppe des jeweiligen Zeitalters verortet werden[10], sodass von einem Gruppen-Ich ausgegangen werden kann[11]. Was individuell und hinter verschlossenen Türen geschah, darüber kann wenig gesagt werden, wenn keine individuellen Abweichungen überliefert sind. Sind solche Überlieferungen bekannt, werden sie in dieser Arbeit herausgestellt[12] und gerade im Fall Vizelin je nach Lebensabschnitt psychologisch betrachtet. Ein psychologisches Profil ist somit hauptsächlich über die gesellschaftliche Rolle der Person und ihre mittelalterlichen Eigenheiten möglich, weil die geschichtliche Überlieferung meist nicht mehr zulässt. Allgemein kann damit wohl eher von der Rekonstruktion der Geisteshaltung oder der Mentalität gesprochen werden[13]. Diesen Prämissen folgt der Text entlang des Lebensfadens Vizelins, aufgezeichnet von Helmold von Bosau.

Der aus der Geologie stammende Leitspruch: „The present is the key to the past“, kann auch auf den Menschen bezogen werden und meint: „Homo Sapiens bleibt Homo Sapiens“, oder: ein Gehirn funktioniert „heute vermutlich noch in derselben Weise (…) wie bei den alten Germanen“[14].  Damit spannt sich im Hinblick auf die menschliche Psyche ein Bogen vom Jetzt zum Mittelalter. Auch wenn das Mittelalter „wesenhaft verschieden war“[15], können doch Gemeinsamkeiten erkannt werden, die bis in die neuere Geschichte überdauert haben[16] und daher Rückschlüsse auf das Mittelalter zulassen. Erleichtert wird dies durch den Beruf Vizelins (Kleriker), da das psychische Profil des Klerikers innerhalb der Institution Kirche sich vom Mittelalter bis heute nicht wesentlich verändert hat[17]. Um hier zu einer Interpretation zu gelangen, werden Forschungsergebnisse aus der Psychoanalyse herangezogen, die sich eingehend mit dem Thema Mensch und Kleriker bzw. allgemein der menschlichen Psyche befasst haben[18]. Dabei kann immer nur ein „Durchschnittscharakter“ angegeben werden[19], wobei von Bosaus Beobachtungen und Beschreibungen hier einfließen. Von einem Durchschnittscharakter kann man fast zwangsläufig ausgehen, weil die Überlieferung das davon Abweichende sonst häufiger erwähnt hätte aufgrund des – angenommenen – teuflischen Charakters jeder Andersartigkeit. Da die Überlieferungen keine tief in die Psyche Vizelins vordringenden Betrachtungen ermöglichen, bleiben viele dahingehende Fragen offen.                                                      

Insgesamt wird somit eine Rekonstruktion in zweifacher Hinsicht versucht:

 

1.     Eine schriftliche Charakterisierung des Menschen Vizelin innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft des 12. Jahrhunderts, sein Gedankengut und das seiner Mitmenschen, soweit es möglich ist. Gerade im Fall Vizelins wird die Entwicklung des Menschen vom Kind bis zum Tod berücksichtigt. Grundlage ist die historische Forschung und die allgemeine, aber auf das Mittelalter angewandte Psychologie.  

 

2.     Die grafische Rekonstruktion des Menschen Vizelin und seiner Umgebung als Vorschlag für das visuelle Lebensbild des 12. Jahrhunderts. Dies bezieht sich vor allem auf das östliche Schleswig-Holstein. Die Grundlage ist die archäologische und historische Forschung.

 

 

Hauptteil, Teil 1: Der mittelalterliche Mensch Vizelin und sein Lebensweg nach Schleswig-Holstein

Die Anfänge der Chronologie des Lebens Vizelins lassen sich anhand der literarischen mittelalterlichen Quellen nicht genau bestimmen. Helmold von Bosau (um 1120 bis um 1180) ist kein Chronist nach heutigen Maßstäben, wodurch sich die Lebensdaten vor allem des jungen Vizelins nur durch die bei Helmold häufig eher versteckt genannten Informationen ableiten lassen.

Die konkrete, historische Person wird somit erst in späteren Lebensjahren erkennbar. Helmold, Zeitzeuge Vizelins, bekam seine Informationen dabei von Vizelin selbst, was in der Formulierung, er habe ihn „oft sagen hören“ deutlich wird – beide standen demnach in direktem Kontakt [20]. Zudem wird Helmold in einer Zeugenreihe eines Schriftstücks von 1150 genannt, das von Vizelin selbst stammt[21]. Auch das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sich die beiden von Angesicht zu Angesicht kannten. Da die Chronica Slavorum[22] aber erst 1167/68 und 1171/72 verfasst wurde[23], lagen die Jugendjahre Vizelins lange vor Helmolds Schreibbeginn und er musste für einen Überblick über diese Zeit aus den Gesprächen mit Vizelin bzw. aus den ihm zugetragenen Quellen schöpfen. Allgemein finden in mittelalterlichen Chroniken die frühen Jahre eines Menschen kaum Beachtung, wodurch große Lücken besonders in der charakterlichen Darstellung entstehen und zum Nachvollziehen der psychologischen Entwicklung einzelner Personen nicht zur Verfügung stehen. Trotzdem ist die Chronica Slavorum für die mittelalterliche Geschichte des östlichen Schleswig-Holsteins die exakteste Quelle. Sie zeigt, wie der Mensch und Geistliche Vizelin hier wirkte.

Vizelins Lebensweg begann um 1090[24] in Hameln an der Weser mit der Geburt an einem „Königshofe“[25]. Der Geburtsort führt dabei etwas in die Irre, da Vizelin wohl eher der mittelalterlichen Mittelschicht entstammte und seine Eltern nicht dem Adel angehörten[26]. Mit dem modernen Begriff Mittelschicht wird hier ein Status angezeigt, der so im Mittelalter nicht existierte, aber zeigen soll, dass sie einer Schicht angehörten, die weder ganz unten (Bauern, etc.), noch ganz oben (Adel, Klerus) angesiedelt war. Jedenfalls erhielt er bereits in Hameln Unterricht von „Stiftsgeistlichen“, was der Unterschicht nicht zustand (im besten Fall bei Abgabe eines Kindes an ein Kloster[27])[28]. Die Eltern schickten den noch jungen Vizelin somit in das Bonifatiusstift zu Hameln[29], was eine gewisse Wohlhabenheit anzeigt. Unklar bleibt in Helmolds Schrift allerdings, was anfänglich für Vizelin als Lebensweg geplant war. So blieb er, in seinen Worten, fast „bis ins Mannesalter vernachlässigt“ und seine „Jünglingsjahre [verbrachte er] leichtfertig und haltlos“[30].

Innerhalb aller mittelalterlichen Gesellschaftsschichten, ob Bauer oder Adliger, wurde dieses Verhalten nur bis zum siebten Lebensjahr toleriert. Dann traten die Kinder in die Arbeitswelt ein oder wurden einer strikteren schulischen Ausbildung[31] zugeführt. Dieser Zeitpunkt markierte ebenfalls den Beginn der Ausbildung zum Priester[32]. Dabei wurde die Erziehung des Kindes in die Hände der Lehrer übergeben[33]. Für Vizelin hieß das, in die Elementarausbildung im Stift zu Hameln einzutreten. Helmold hätte bestimmt erwähnt, wenn für den kindlichen Vizelin eine kriegerische, geistliche oder andere Laufbahn geplant gewesen wäre. Die Eltern hätten dann sicherlich weitere Grundsteine für die Erziehung des Kindes gelegt und ihn nicht „leichtfertig und haltlos“ dahintreiben lassen. Die Angabe „bis ins Mannesalter“ ist hierbei wörtlich zu nehmen, da ab dem siebten Lebensjahr bereits von einem Erwachsenen gesprochen wurde. Kinder ab dem siebten Lebensjahr, also Erwachsene im mittelalterlichen Sinne, waren imstande, sich einem geregelten Stundenplan zu unterziehen, und Kommunikation und Kooperation soweit ausgeprägt, dass schulische Leistungen erbracht werden konnten[34]. Diese Erkenntnis gab es bereits in der Antike und auch die moderne Forschung hat sie bestätigt[35].

Wie im Mittelalter der Zeitpunkt des Lernbeginns und damit der Eintritt ins Erwachsenenalter bei einem Kind bestimmt wurden, bleibt unklar, denn gerade im Hochmittelalter existierte noch keine exakte Zeitmessung[36]. Der hochmittelalterliche Mensch hatte kein Empfinden für einen engen Zeittakt, sondern kannte eher die grobe Einteilung nach Jahreszeiten oder Ereignissen[37]. Dass also bei Vizelin in seinen „dahintreibenden“ Jahren ohne Führung auf den jährlichen Geburtstag geachtet wurde, lässt sich bezweifeln. Wahrscheinlich wurden die Kinder beobachtet und auf dieser Grundlage beurteilt, ob sie für den Schulbeginn bereit waren, was dann im Durchschnitt mit etwa sieben Jahren der Fall war[38]. Diese eher ungefähren Altersangaben gelten für die gesamte Kindheit und Jugend Vizelins. Sicher ist nur, dass Vizelin bis zum Schulbeginn in Hameln lebte, da er dort seine erste geistliche Früherziehung als Teil der Elementarausbildung erhielt (ab dem siebten Lebensjahr für ca. 2-3 Jahre[39]).

[Exkurs 1: Ein mögliches Bild des jungen Vizelin

a.      Die Statur

Für Vizelin wird hier das Alter zwischen 6-13 Jahren festgesetzt, das entspricht der anthropologischen Altersstufe Infans II[40]. Hierbei werden Größen von 109-126 cm bei sechsjährigen und 146-177 cm bei dreizehnjährigen Knaben angenommen. Diese Werte sind aber moderneren Ursprungs und müssen durch die säkulare Akzeleration[41] etwas relativiert werden[42]. Berücksichtigt man das Größerwerden der letzten industriellen Generationen und die ersten flächendeckenden Aufzeichnungen von Bevölkerungsgrößen, so ist um 1880 ein zehnjähriger Junge schon etwas über 125 cm groß geworden[43]. Da Vizelin auch in späteren Jahren als klein galt (Erwähnung von Vizelin bei einem Slawenfürsten), aber aus keiner verarmten Familie kam bzw. keine Hungerphasen durchmachte, könnte er mit zehn Jahren etwa 120 cm erreicht haben. Angleichend zum Gesamtkörpermaß werden archäologische und anthropologische Untersuchungen der einzelnen Skelettteile miteingerechnet, bei der für Zehnjährige etwa für Humerus (Oberarmknochen), Radius (Speiche) und Ulna (Elle) gewisse Variationslängen angegeben werden. Bei altslawischen Skelettserien wurden eher die unteren Variationsbreiten eines fiktiven Modells eines Zehnjährigen von 120 cm Größe gefunden[44]. Da bei Vizelin von der Statur eines eher kleinen Zehnjährigen ausgegangen wird, können somit die Werte von ca. 19 cm für den Humerus und ca. 27 cm für das Femur (Oberschenkelknochen) angenommen werden[45]: 

 

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Vermutete Körpergröße von Vizelin aufgrund mittelalterlicher Körpermaße und der bei Helmold genannten Größe als Erwachsener (eher klein). Rückrechnung von 1,60 m als Erwachsener zu hier 1,20 m als Zehnjähriger; Körperrekonstruktion als Drahtgerüst.

 

b.     Die Kleidung

Für eine mögliche Rekonstruktion der Kleidung des noch jungen Vizelin gibt es nur wenige Informationen. Da aber ab dem siebten Lebensjahr für alle Kinder des Mittelalters allmählich die Arbeitswelt begann[46], wurden sie ab diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nach der Sitte des Hochmittelalters wie ein Erwachsener eingekleidet, was für einen Jungen Beinlinge, Bruche und mindestens die Tunika bedeutete[47]. Es existieren hier für Vizelin keine spezifischen Beschreibungen, weil für Helmold (als Geistlichen) solche Informationen belanglos waren. Aufschlussreich ist hier die Kunst des 12. und 13. Jahrhunderts, da sie die Kinder genauso gekleidet wie die Erwachsenen zeigt[48]. Für Vizelin kam demnach vermutlich etwa zu seinem siebten Geburtstag mit den Pflichten der Erwachsenen auch ihre Alltagskleidung.

1.     Die Bruche und die Beinlinge

Beinlinge, im 10. bis 12. Jahrhundert schon bis zur Hüfte hochgehend, konnten als einzelne Röhren für jedes Bein an der Bruche befestigt werden[49] und hatten vereinzelt auch angebrachte Fußteile, so die Beinlinge des Raimond, Graf von Toulouse (Datierung vor 978)[50] oder die Funde aus dem Bocksten-Moor, Schweden (Datierung 14. Jahrhundert)[51]. Bei beiden wurde als Material Wolle verwendet. Auch bildliche Überlieferungen zeigen die Beinlinge, die größtenteils unterhalb der Tunika verliefen[52]. Ihre Farbpalette reichte von braun, grün, hellgelb bis rot[53].

 

Bruchen bestanden, im Gegensatz zu den Beinlingen, meist aus pflanzlichen Fasern, d.h. aus Leinen[54]. Sie konnten gerade im Hochmittelalter sehr falten- und stoffreich sein, doch zeigen zeitgenössische Abbildungen – wahrscheinlich aus Anstandsgründen – meist nur einen kleinen Teil des weißen Stoffes[55]. Befestigt wurde die Bruche durch ein Band oder einen Gürtel, an dem auch gleichzeitig die Bänder der hochgezogenen Beinlinge hingen[56]. Für die Rekonstruktion hier wird eine Schnur oder Kordel verwendet, da dies bei der Bestattung eines Fünfjährigen nachgewiesen werden konnte (Infant Alonso, bestattet 1291)[57]. Vizelin war ja zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Jahre alt und anscheinend war eine einfache Unterkleidung selbst bei Kindern in höheren Gesellschaftsschichten Usus:

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Rekonstruktion von Beinlingen und Bruche, keine Angabe von Nähten; Körperrekonstruktion als Drahtgerüst.

2.     Die Tunika und der Gürtel

Neben Beinlingen und Bruche zählte die Tunika zur Standard-Oberbekleidung des Mannes ab dem siebten Lebensjahr[58]. Ob Kinder dabei noch Hemden unter der Tunika trugen, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Selbst bei erwachsenen Männern war das „Unterhemd“ unter der Tunika nicht sichtbar[59]. Die Tunika als Oberbekleidung konnte über die Oberschenkel und bis zu den Füßen reichen, wobei ihre Form grob europaweit gleich war. Es gab zwar Variationen, der Grundschnitt war jedoch überall der gleiche[60].

 

Archäologische Vorbilder für die Rekonstruktion sind u.a. die Moselund-Tunika (Datierung 1050-1155), die ca. knielang war und eine bräunliche Farbe aufwies[61]. Bei Kindern wurde jedoch auf den vorderen Reitschlitz verzichtet, weil hier die Bewegungsfreiheit während des Reitens keine Rolle spielte. Es gab lediglich einen seitlichen Schlitz[62]. Als Material wird, wie bei der Tunika der Moorleiche von Peiting (Datierung etwa 1180), Wolle angenommen.[63]

 

Über alle gesellschaftlichen Schichten hinweg wurden Gürtel getragen, meist einfach gebunden und aus Stoff. Da sie auch ohne metallene Bestandteile auskamen, lassen sie sich im archäologischen Fundgut schwer nachweisen[64]. Bildliche Darstellungen zeigen aber den gebundenen einfachen Gürtel:

 

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Rekonstruktion von Tunika und Gürtel, keine Angabe von Nähten; Körperrekonstruktion als Drahtgerüst.

 

3.     Die Schuhe

Bei Grabungen wurden bereits zahlreiche Lederschuhe gefunden, unter anderem auch in Kindergrößen[65], wie z.B. bei der Ausgrabung Schild in Schleswig[66]. Um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert konnten hier u.a. halbhohe Schlupfschuhe rekonstruiert werden[67]. Diese waren weitverbreitet[68], sodass sie auch hier für die Rekonstruktion verwendet wurden:

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Rekonstruktion der Schuhe, Nähte sind angedeutet. 

 

 

4.     Zusammenfassung

 

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Rekonstruktion von Tunika, Gürtel, Beinlingen und Schuhen bei einer Größe von 120 cm. Haar- und Augenfarbe nur als Vorschlag, denn sie sind nicht überliefert, andere körperliche Merkmale wären ebenso möglich. Der Vorschlag basiert auf der Herkunft Vizelins aus Hameln. Er gehörte also zur niedersächsischen Bevölkerung (siehe dafür: Überlieferung des Tacitus über Aussehen der Germanen in seiner Germania).]

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 (Fortsetzung Hauptteil, Teil 1)

Der Tod von Vizelins Eltern in Hameln etwa um diese Zeit ist bei Helmold eher eine Randnotiz. Vizelin wechselte von einem Haushalt in den anderen: Die Mutter des Grafen Konrad (1078-1127) nahm sich seiner auf der Burg Everstein[69] an und kümmerte sich dort um ihn[70]. Vizelin muss daher in höheren Kreisen bekannt gewesen sein und kann nicht der Unterschicht angehört haben, sonst wäre er nicht in eine adelige Familie aufgenommen worden. Helmold erwähnt unter anderem auch Vizelins Onkel, den Priester Ludolf, der Pfarrer von Fuhlen war[71]. Im Hochmittelalter waren Pfarrer bereits angesehene Personen. Wäre Vizelin selbst adelig gewesen, hätte Helmold allerdings sicherlich den Titel seiner Eltern erwähnt, was nicht der Fall ist[72].

Undeutlich ist weiter, welchem Plan Vizelins Leben nun folgen sollte. Die Mutter des Grafen nahm „den verlassenen Jüngling“ zwar auf und „begünstigte“ ihn sogar, doch was aus ihm werden sollte, bleibt weiterhin ein Rätsel[73] bzw. es scheint, als hätte man mit dem Jüngling nichts anzufangen gewusst[74].

Zunächst erhielt er weiter die Elementarausbildung auf der Burg. Spätestens jetzt hätte die, wenn gewünschte, ritterliche Erziehung ihren Anfang nehmen müssen (wie sonst üblich auf einer Burg)[75]. Helmold hätte sie sicher auch erwähnt, es blieb jedoch nur beim Elementarunterricht, der nun intensiviert wurde. Wahrscheinlich ging er über in die ersten Schreibübungen, denn Vizelin hatte das Alter erreicht, in dem das Schreiben in lateinischer Sprache auf dem Stundenplan stand[76]. Dabei wurde vermutlich erst das Lesen und dann das Schreiben gelehrt, denn in der mittelalterlichen Schule legte man viel Wert auf Auswendiglernen[77]. Dass Vizelin schon die erste Stufe des Elementarunterrichts absolviert hatte – nämlich christliche Grundkenntnisse wie das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auswendig kannte und auch das Alphabet beherrschte[78]–, wird durch Helmolds Nennung des Lernstoffs Vizelins auf der Burg Everstein deutlich: Die „Achilleis“ von Publius Papinius Statius[79]. Literatur mit dem Schwierigkeitsgrad der Achilleis wurde bis zum zehnten Lebensjahr in die Bildung der Kinder eingeführt, da man auf diese Weise moralisch-ethische Lebensgrundregeln und gleichzeitig die lateinische Grammatik vermitteln konnte. Dabei wurden besonders antike Texte bevorzugt[80], also nicht-christlichen Ursprungs[81]. Festgeschrieben war die Altersgrenze mit zehn Jahren jedoch nicht, da mittelalterliche Ratgeber auch das zwölfte Lebensjahr als Einstiegsbeginn für Klassiker angeben[82].

Die lateinischen Klassiker hatten in dieser Frühphase natürlich den Hauptzweck, die lateinische Grammatik zu vermitteln, womit der eigentliche Lateinunterricht begann[83]. Grammatik als Teil des Triviums wurde später noch durch die anderen beiden Teile, Rhetorik und Dialektik, als sprachlicher Part der artes liberales ergänzt[84]. Vizelin muss sich demnach in einem Alter um die zehn Jahre befunden haben, da mittelalterliche Erzieher die Achilleis noch zur „Grundschule des Lateinunterrichts“ zählen. Ab etwa zehn Jahren griff man zur gehobeneren Literatur und begann die höhere Schulbildung[85]. Wie schon oben gesagt, ist aber die genaue Altersangabe in der Kindheit immer schwierig. So kann hier allgemein vom Jugendlichen Vizelin gesprochen werden, der das siebte Lebensjahr schon lange hinter sich gelassen, aber trotz seines von Konrads Mutter behüteten Lebens nicht viel älter als ca. 13 Jahre gewesen sein kann[86].

Nach wie vor erhielt der jugendliche Vizelin also eine schulische Ausbildung, die auch im Zentrum eines Eklats auf der Burg Everstein stand, der das Leben Vizelins nachhaltig beeinflussen sollte. Bei dieser wohl gut geplanten Intrige stellte der Burgkaplan Vizelin bloß, indem er ihn nach dem erlernten Schulwissen, nämlich dem Inhalt der Achilleis, befragte. Dieser konnte die Fragen jedoch nicht beantworten. Der auf den Günstling der Grafenmutter neidische Burgkaplan wollte den Jugendlichen vermutlich absichtlich demütigen, denn er führte die Befragung vor Zeugen durch. Der gekränkte und bis ins Mark getroffene Vizelin verließ daraufhin „heftig weinend“ die Burg, ohne sich zu verabschieden[87]. Dieses Ereignis markiert das Ende des ziellosen und den Anfang des geistlichen Lebens Vizelins[88].

Wenn man das weitere Leben Vizelins betrachtet, muss dieses Erlebnis auf der Burg Everstein einschneidend gewesen sein. Der Burgkaplan hatte nicht nur erreicht, dass Vizelin die Burg verließ, sondern auch einen vollständigen Wandel seiner Lebenseinstellung herbeigeführt. Auf eigene Faust ging der immer noch „junge Mann“ um das Jahr 1105 nach Paderborn, wo die Schule des Magister Hartmann einen ausgezeichneten Ruf genoss[89]. Er hatte den Entschluss gefasst, hier seine Studien fortzusetzen und zu intensivieren. Warum er sich für Paderborn entschied, bleibt unklar. Er hätte auch das näher gelegene Hildesheim oder Minden wählen können[90].

Über den inhaltlichen Lehrstoff gibt Helmold anfangs noch keine Auskunft, aber die Einstellung des im Geiste Gewandelten wird ersichtlich, der sich „hart“ abmüht, „wie auf der Kampfbahn“ und sogar mit sich selbst rang bzw. bei sich selbst „Herz und Sinne“ unterwerfen musste, um die „Kunst“ zu erlangen[91]. Sein vorheriges Leben schien vergessen, er zeigte sich nun als eine zur Lernbesessenheit neigende Person, die von sich selbst sagte, dass seine Anfangsjahre vergeudet gewesen seien, weil er die Bücher erst spät entdeckt habe. Diese Aufholjagd ging so weit, dass sein Lehrer einschreiten und den lernwütigen Vizelin bremsen musste[92].

Um nun die folgende psychologische Entwicklung Vizelins zu betrachten, muss man auf die Lebensbedingungen vor Ort, die Jugendphase und auf das mittelalterliche Schulwesen allgemein schauen. Hier ist nicht von einer modernen Schule im heutigen Sinn auszugehen, da es noch keine staatlichen Schulen gab und die Wissensvermittlung größtenteils der Kirche überlassen war[93]. Diese versuchte neben der reinen Lehrtätigkeit von Anfang an auch die Lebensform der Schüler zu bestimmen, also deren Lebenshaltung zu prägen[94]. In diesem Fall war Vizelin Angehöriger der Domschule zu Paderborn. Gemäß den kirchlichen Erziehungsstatuten lebte er unter einem Dach mit seinem Magister Hartmann. Das Zusammenleben wurde von der Kirche gefördert, auch wenn dies noch nicht mit einer klösterlichen Gemeinschaft vergleichbar war. Es sollten aber bis zum 18. Lebensjahr schon klosterähnliche Bedingungen geschaffen werden, da die psychische Empfänglichkeit der Jugendlichen und die starke Prägung durch Erziehungspersonen in diesem Lebensabschnitt der Kirche wohlbekannt waren und genutzt werden sollten. Besonders trifft dies auf Glaubensfragen zu[95], für die junge Menschen Orientierung bei Vorbildern aus ihrem Alltag suchten[96]. Die Kirche bot – zum Teil bis heute – ein in diesem Lebensabschnitt dringend benötigtes Weltbild an, eine fest gegliederte Struktur. Ein vorgegebenes Denksystem wird in dieser Lebensphase besonders begierig aufgenommen[97]. Es kann dabei in der späteren Jugend zur dauerhaften Identifizierung kommen, die ein Leben lang anhält[98].

Im Fall von Vizelin muss beachtet werden, dass ihm ein stabiles Umfeld fehlte, da es weder Eltern gab, noch feste Beziehungen zu anderen Erwachsenen bestanden. Die Kirche bot ihm die Sicherheit und Geborgenheit eines geregelten Beamtenlebens[99], eine Laufbahn, die zwar arbeitsintensiv ist, aber auch entlang klarer Ziele verlief – etwas, das Vizelin bislang nicht kannte und das ihm Orientierung gab[100]. Der Junge ohne Familie fand eine Institution, die für ihn einen Schutzraum mit klarer Ordnung und Stabilität darstellte[101].

Die Erziehung war streng, aber Vizelin hatte die Chance, sich zu beweisen. Das neue Leben gab ihm Ruhe und gleichzeitig eine Erziehung, die ihm zusätzlich zur Selbstdisziplin auch Selbstbewusstsein verlieh. Die Umstände seines Fortlaufens von der Burg Everstein hatten sein Selbstvertrauen beschädigt und er war bemüht, durch unermüdlichen Eifer diesen Makel zu beseitigen.[102] Sein Eifer brachte zunächst erstmal noch keinen Geistlichen, aber einen fleißigen Beamten in der Ausbildung hervor. Der Weg zum Geistlichen ergab sich bei ihm  eher zufällig über die Möglichkeit, in der Domschule eine strukturierte Beamtenlaufbahn zu beschreiten. Aus der Flucht von der Burg Everstein wurde eine Flucht in den Dienst, eine Flucht in die Arbeit[103]. Die Institution Kirche bot dem jugendlichen Alter, in dem Vizelin sich gerade befand, die Abwehrmechanismen, die er für ein asketisches, frommes Leben brauchte, mit dem Verzicht auf Musik und Tanz[104], auch das ein Ausdruck seines neuen Lebens[105], das auf der Burg Everstein noch ohne Ziel verlief. Dabei können „schockartig wirkende Vorfälle“[106] ein antreibendes Gewissen hervorbringen und so den Charakter in eine Richtung lenken. Der Schock bzw. das Erlebnis mit dem Burgkaplan müssen tiefe Spuren hinterlassen haben, denn Vizelin nahm dieses Leben auf der Kampfbahn freiwillig auf sich. 

Für den übereifrigen Vizelin mit seiner Lernbesessenheit wurde der Glaube schnell das bestimmende Thema[107], was seinen Charakter langsam formte[108]. Der Übergang vom Beamten zum geistlichen Auszubildenden geschah bei ihm fließend. Er konnte seine Intellektualität vor allem deswegen jetzt gut aufbauen, weil er sich gerade in der Phase der offenen Fragen befand[109]. Vorstellbar sind Gesprächsrunden mit Hartmann, der Vizelin seine Lebensanschauung vermittelte.

Das Zusammenleben mit dem Magister und der Verzicht auf Besitz waren stark prägend, denn durch das klosterähnliche Leben wurden andere Orientierungsoptionen obsolet[110]. Der Tag wurde vom christlichen Glauben strukturiert und inhaltlich bestimmt, was einer Indoktrinierung nahekommt[111]. Vizelin unterwarf sich dieser freiwillig. Ihm stand es jederzeit offen, den Magister auch wieder zu verlassen, da es sich (noch) nur um die Früherziehung handelte, die auch wieder aufgekündigt werden konnte[112]. Für Vizelin war die „Außenwelt“ jedoch nicht mehr verlockend und wer hätte ihn auch von seinem Weg ablenken sollen? Die Eltern waren gestorben und seine Realität spielte sich einzig in der Gemeinschaft mit dem Magister ab[113]. Auch ohne direkten familiären Bezug oder das familiäre Drängen in eine geistliche Laufbahn war er freiwillig ein Teil der christlichen Gemeinschaft geworden[114].

Im Mittelalter waren soziale Normen und sogar das Denken jedes Einzelnen von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt. Dabei definierte sich jeder Mensch über den Stand, dem er angehörte. Persönlichkeit war nicht individuell, sondern mit diesem Stand verbunden[115]. Hier herrschte ein gesellschaftlicher Einheitsgedanke vor, der mit dem Guten gleichgesetzt wurde. Abweichendes Denken wurde mit dem Bösen identifiziert, Einzelkämpfer waren mit der Sünde belastet[116]. Jedes mittelalterliche Kollektiv hatte hierfür seine eigenen Regeln, die das Verhalten entsprechend der Gruppe vorschrieben[117]. Das Denken des Einzelnen wurde immer in Richtung der Gruppe gelenkt, der Mensch dachte in und für die jeweilige Gemeinschaft und nicht für sich selbst. Die Gruppe und ihre Überlieferungen bestimmten sein Innenleben und seinen Geist. Alles, vor allem was wahr und falsch ist, wurde von der Gruppe festgelegt. Eine „persönliche Wahrheit kannte er nicht“[118].

Auch in modernen Zeiten kommt es vor, dass innerhalb von Gruppen die Herausbildung des Individuums verhindert wird[119]. Im Mittelalter wurde jedoch systematisch jegliche Reform unterdrückt und Abweichungen wurde meist zugeschrieben, dämonischen Ursprungs zu sein[120]. Heute erfolgt die Unterordnung in einer Gemeinschaft meist freiwillig (jedoch ist dies abhängig von der Gemeinschaft und der politischen Landschaft). Im Mittelalter kam es zur vollständigen Auflösung der Persönlichkeit in der Gruppe[121]; das Kollektivdenken verhinderte das Selbst und dessen Befreiung[122]. Nur wenige Intellektuelle entwickelten langsam ein Ich[123].

Für Vizelin brachte aber die christliche Lebensweise nicht nur Druck, sondern die Sicherheit einer Gemeinschaft mit sich, die er vorher nicht kannte. Er fand dort seinen Familienersatz[124], was im Christentum, unter Einhaltung gewisser Regeln, bis heute angeboten wird[125]. Noch dazu war es das mächtigste Kollektiv seiner Zeit. Die christlichen Vorschriften gaben ihm Halt. Im Vergleich mit anderen Kulturen zeigt auch die mittelalterliche, dass Institutionen anstelle von Familien treten können, wobei die Gruppe bzw. die Institution den Familienbezug ersetzt. Dabei übernimmt der Einzelne die Riten der jeweiligen Gruppe[126], deren Werte und Normen[127]. Vizelin zeigte seine Dankbarkeit dafür mit seiner Strebsamkeit. Er identifizierte sich schnell mit der christlichen Gemeinschaft und brachte einen hohen Einsatz[128], was auch hätte in Fanatismus münden können (oder jedenfalls einen starken Dogmatismus hervorbringen)[129]. Dies ist jedoch keine zwangsläufige Folge, es sind gerade die braven Bürger, die äußeren Mächten gut bis vorbildlich dienen, „um ihrem Ich vorerst Kraft zu geben“[130]. 

Zu jeder Anfangslektüre eines Geistlichen gehörte das Erlernen der Psalter, die u.a. im Chorgesang umgesetzt wurden[131]. Auch darin war Vizelin vorbildlich, er erledigte „den Chordienst auf das Fleißigste“. Dass er die Psalmen stark verinnerlichte, wird deutlich an seinem raschen Aufstieg zum Gehilfen seines Lehrers bei der Leitung der Schule[132]. Entscheidend ist hierbei nicht nur, dass die Psalmen ein Instrument zur Wissensvermittlung waren, sondern auch die pädagogische Wirkung, die sie erzielen sollten[133]. Sie sollten erziehen und belehren und zwar im christlichen Sinne, womit sie die Schützlinge lebenslang an die Kirche binden sollten. Damit die Inhalte der Psalmen vollständig in die geistige Lebenshaltung aufgenommen werden konnten, wurden sie ständig wiederholt und das in einer fest umschriebenen kirchlichen Gruppe. Das gesamte Leben konzentrierte sich auf christliche Inhalte, ein Ausbrechen aus der kirchlichen Lehre war so gut wie unmöglich. Die Psalmen boten dabei Handlungsanweisungen[134]. Sie sollten sich stark einprägen; dazu wurde die Lehre von einem Weltkundigen an einen unerfahrenen Lehrling weitergegeben[135]. Mahnend schildern sie sittliche und religiöse Erfahrungen[136] und können in fast jeder Lebenssituation Fragen beantworten bzw. Hilfestellung sein[137]. Hinterfragt wurden sie nicht, stattdessen lauerte überall der mögliche Vorwurf der Blasphemie[138]. Hier zeigt sich der Dogmatismus, was in vielen Schriften für das Mittelalter belegt ist[139].

Auf diesen eindimensionalen mittelalterlichen Erziehungsboden stieß nun der junge wissbegierige Vizelin, der von Anfang an bereit war, sein Gedächtnis zu trainieren, um alle 150 Psalmen auswendig zu lernen. Sie mussten immer abrufbar sein, egal zu welchem Anlass, besonders für den Chorgesang, für den sich Vizelin gleich ereiferte. Aber auch an ganz praktischen Lernzielen arbeitete er, denn nach Helmold wurde Vizelin im Laufe seiner klerikalen Ausbildung Akoluth (Messgehilfe, siehe die Jahre 1122/23). Dies setzte den Abschluss der Lateinschule voraus, was normalerweise um das 16. Lebensjahr herum geschah[140]. Da Vizelin aber aufgrund seiner Lebensumstände Zeitversäumnisse hatte, kann er auch schon etwas älter gewesen sein.

Sicher ist, dass die Zeit in Paderborn entscheidend für sein weiteres Leben war. Hier wurde der Grundstein gelegt für den Gottesmann Vizelin[141], denn hier „keimte [...] seine religiöse Empfindung [...] auf“[142]. Seine Entwicklung war natürlich noch nicht abgeschlossen. Wahrscheinlich hat Vizelin sich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht auf einer geistlichen Laufbahn gesehen. Jedenfalls erwähnt Helmold hier nichts von endgültigen Entscheidungen. Vizelin hatte aber eine Gemeinschaft gefunden, bei der er durch sein Bemühen als Beamter eine Daseinsberechtigung gefunden hatte, an der es ihm bislang mangelte. Noch war er kein Priester, aber seine Hingabebereitschaft war geweckt[143].

Das Beamtentum der Kirche bildete zunächst nur einen festen Rahmen für ihn, der auch ohne direkte Zielvorgaben Selbstbestätigung brachte. Die psychischen Eigenschaften des Jugendlichen, wie die aufkommende Intellektualität und das asketisch ausgerichtete Leben, wurden gesättigt[144]. Sie wirkten als Abwehrmaßnahmen gegen andere Triebe des Lebens. Vizelin fand im Arbeitseifer einen Gegenpol zu seinem bisherigen Leben. Selbst im Mittelalter hätte er aber mit Fleiß und Eifer noch andere Berufe wählen können und er war zu diesem Zeitpunkt unsicher, wohin es für ihn gehen sollte. Seine psychologische Entwicklung war nicht eindimensional, er hätte damit auch Religionslehrer oder Lektor werden können[145], was nun auch Vizelins nächster Schritt war (siehe das Jahr 1118).

Zu den oben beschrieben Charaktereigenschaften kam noch ein weiterer Faktor, der beim kirchlichen Beamtentum häufig zu finden ist und bei Vizelin auch später im Leben noch eine Rolle spielten sollte: ein Beamter ist weisungsabhängig, er ist ein Diener der Gemeinschaft[146] und tut, was man ihm aufträgt.

Zeit für die Verinnerlichung hatte er genug, denn laut Helmold war er eine lange Zeit in Paderborn. Erst um 1118 – nun auch nach heutigen Maßstäben ein Erwachsener – wurde er jetzt Leiter der Bremer Domschule[147]. Der voll ausgebildete Scholastiker[148] der Domschule wird von Helmold nicht weiter beschrieben, außer dass er mit harter Hand sein Amt ausführte und selbst mit Schlägen bei seinen Schülern „nicht Maß hielt“, wodurch er „als grausam verschrien“[149] war. Hier zeigt sich, welch große Bedeutung Disziplin für ihn hatte. Was früher während seiner eigenen strengen Lehrzeit in Paderborn in seinem Lerneifer Ausdruck fand, manifestierte sich nun bei der Erziehung der ihm anvertrauten Schüler. Möglicherweise ahndete er deren Fehlverhalten auch deswegen so streng, weil er vermeiden wollte, dass sie seine eigenen Fehler in seiner „ziellosen“ Kindheit wiederholten.

Wie vorher bei seiner eigenen Ausbildung in Paderborn nahmen auch in Bremen Gottesdienst und Chorgesang in der Anleitung seiner Schüler eine zentrale Stellung ein. Anscheinend hatte sich vor Vizelins Ankunft eine gewisse Nachlässigkeit in der Domschule breitgemacht, denn einige Schüler waren gewohnt „in Schenken zu zechen, in Häusern und Gassen sich rumzutreiben und Nichtigkeiten nachzugehen“[150]. Dass dies mit den Werten Vizelins unvereinbar war, zeigt seine bisherige Lebensgeschichte. Vielleicht wurde er sogar als jemand, der hier durchgreifen kann, nach Bremen gerufen. Jedenfalls genoss er zu diesem Zeitpunkt schon einen entsprechenden Ruf als Lehrer[151]. Dabei war ihm die geistliche „Zucht“, die mit der „Zuchtrute“ ausgeübt wurde, wichtig[152].

Seine eigenen Erfahrungen in Paderborn prägten nun seine Tätigkeit in Bremen. Er wollte nicht nur Lehrer sein, sondern etwas vorleben, zu dem gehörte, sich selbst ein unermüdliches Bemühen für den Glauben aufzuerlegen. Dies hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits jahrelang praktiziert und seine Schüler sollten es nun auch verinnerlichen. Helmold zeigte mit der Erwähnung dieser eher negativen Charaktereigenschaft Vizelins, dass dieser sich uneingeschränkt und ohne Kompromisse dem Glauben hingab und erwartete, dass seine Schüler ihr Leben entsprechend ausrichteten. Abweichungen von diesem Lebensstil rechtfertigten somit auch Schläge. Dabei konnte er sich auf die Bibel berufen, denn „wer die Rute spart, haßt seinen Sohn; wer ihn liebt, züchtigt ihn bald.“ (Bibel, Buch der Sprichwörter 13,24).

Er war mit dieser Ansicht über heute grausam erscheinende Erziehungsmethoden natürlich ein Kind seiner Zeit[153]. Auch andere Lebensgeschichten offenbaren ein hartes Durchgreifen der Erziehungspersonen[154]. Hier ist eher verwunderlich, dass Helmold diesen Punkt besonders hervorgebt. Es scheint, dass Helmolds Einstellung eine Ausnahme im Hochmittelalter war. Für den Charakter Vizelins ist sein Aufenthalt in Bremen nur soweit von Bedeutung, dass hier der gefestigte Beamte sichtbar wurde, der strikt und arbeitsam war. Wo er diese Tugenden bei ihm Unterstellten nicht antraf, wurde er hart und griff mit den üblichen Mitteln der Zeit durch. Sein Status als Lehrer verlangte dies von ihm. Noch als Lehrer in Bremen formierte sich aber bei ihm im Geiste eine neue Richtung, in die sein Leben gehen sollte. Er stand vor der Frage, ob er Lehrer bleiben oder Priester werden sollte[155].

Falls er seinen Glauben vertiefen wollte, musste er dorthin, wo sich die geistigen Zentren befanden. Um für sich eine Entscheidung treffen zu können, ging er um das Jahr 1122 nach Laon in Frankreich. Das Ziel war mit Bedacht gewählt, da andere Ausbildungsstätten auch möglich gewesen wären. Er wollte aber zu Vorlesungen über die Auslegung der Heiligen Schrift, was für Laon sprach. Besonders für die Psalmenauslegung war dort zu dieser Zeit der Magister Radulfus (gestorben 1131/33) bekannt, den auch Helmold erwähnt. Zum Unterrichtsstoff gehörte die Beschäftigung mit Glossen zu biblischen Schriften (Erklärungen/Kommentare zu Bibelstellen) und den Sentenzensammlungen (Kurze Lehrmeinungen/Zusammenstellung von Zitaten), die zur Klärung von biblischen Fragen herangezogen wurden[156]. Bezeichnend für Vizelin ist, dass er auch hier mit „Feuereifer studierte und untadelig lebte“[157]. Soweit setzte er seine Lebensweise fort.

Entscheidend ist jedoch, dass in Frankreich schon der Beginn einer neuen geistigen Strömung zu beobachten ist. Das 12. Jahrhundert kann als Wendepunkt angesehen werden, weg von dem rein dogmatischen Christentum zur hinterfragenden Wissenschaft[158], in der mithilfe der Dialektik und Disputatio die Starrheit des Christentums, anfangs sanft, aber kontinuierlich aufgeweicht wird[159]. Dabei konnte durch hartnäckige Anwendung der Logik mancher Hardliner ins Schwanken gebracht werden, was auch schon Zeitzeugen Vizelins zu spüren bekamen. Die Logik wurde langsam zur gefürchteten Waffe[160], was einem Studenten in Laon nicht verborgen geblieben sein kann. Vizelin musste sich anstrengen, dieser neuen Denkweise aus dem Weg zu gehen. Er tat dies, indem er „unnütze Fragen und Wortgefechte, die nicht bilden, sondern eher verwirren, mied“[161], was zeigt, dass Vizelin noch strikt im frühmittelalterlichen Denken verhaftet war, aber auch, dass die offenen Fragen schon in der Luft lagen.

Sein späteres Leben beweist, dass er „gänzlich“[162] taub war für die obige moderne Fragestellung. Welche Vorbilder für Vizelin in Betracht kamen, ist bei Helmold nicht überliefert. Vizelin kam entgegen, dass sogar führende französische Schulen, wie die in Laon, den aufrührerischen Hinterfragungen der Dialektik (noch) aus dem Weg gehen konnten[163], was Vizelin für seine Zeit dort eine Art Scheuklappenblick ermöglichte. Lernen bedeutete für ihn, ein rein auf theologischen Grundsätzen vollzogenes „Studium“[164] mit biblischen Inhalten[165].

Der im Frühmittelalter häufig beanspruchte Augustinus machte es vor, indem er sagte: „Gott und die Seele dies ist es, was ich zu kennen verlange und nichts anderes“[166]. Aber auch Laon musste sich mit den neuen Denkansätzen auseinandersetzen. Das zeigt sich darin, dass einer ihrer Lehrer, Anselm von Laon (gest. 1117), sich gegen die sogenannten Dialektiker und ihre Wortgefechte aussprach[167].

Die Grundhaltung des Klerikers entspricht heute noch Vizelins Denken, auch im Beamtentum. Bis heute beruft es sich auf historische, autoritäre Grundsätze, die unverändert auf die Wirklichkeit angewandt werden: „Beamtetes Denken ist wesentlich abhängiges, in sich verfestigtes Denken, das flexibel und kreativ nur in der Organisation seiner Beweismittel und in der Findigkeit seiner Anwendungsfälle sein kann“[168]. Damit ist es ein geschlossenes System mit Fragen aus dem eigenen Katalog ohne echte Neukenntnisse bzw. Neubewertung. Dies war auch die Einstellung der Kirche allgemein, da sie davon ausging, die Wahrheit schon gefunden zu haben, die natürlich bei ihr lag. Neues hatte da eher zerstörerische Kräfte[169] und das, obwohl die Ratio dagegen sprach. Der Beamte Vizelin zeigte da im Hochmittelalter das gleiche Denken: ein Festhalten an alten kirchlichen Autoritäten unter Ausschluss von Eigenständigkeit, übernommen aus dem Frühmittelalter. Und damit gehörte er zur großen Mehrheit[170].   

Vizelin war nicht aufgeschlossen gegenüber neuen Denkansätzen, im Gegenteil: Er hielt noch überzeugter an den alten Idealen des Christentums fest, wobei er „den Vorsatz fasste, Gott zuliebe sich strenger zu kasteien, […] aufhörte Fleisch zu essen, ein härenes Gewand auf bloßem Leibe trug und sich dem kirchlichen Dienste völlig hingab“[171]. Sein neuer Lebensabschnitt begann während seines Aufenthalts in Laon: Der Beamte nahm die Rolle der Selbstaufopferung des Priesters an[172].

Das Selbstverständnis des Priesters hat seinen Ursprung beim Erlöser selbst, es wird eine Leidensnachfolge für die Annährung an Christusangestrebt[173]. Selbstaufopferung ist dabei Bedingung für das Priesteramt[174]. Auch heute sind die drei evangelischen Räte – Keuschheit (Ehelosigkeit), Armut und Gehorsam[175] – die zu erbringenden Opfer auf dem Weg zum Priesteramt[176]. Vizelin vollzog diesen Schritt in Laon und hielt daran sein restliches Leben fest. Bezogen auf die Gehorsamspflicht sollte ihn das noch teuer zu stehen kommen (siehe das Jahr 1149).

Seine mentale Entwicklung, die mit der Beamtenlaufbahn begann, fand nun ihren Abschluss, er erreichte eine Stufe tiefen Glaubens. Laon hatte er vermutlich bewusst gewählt, um sich Klarheit über sein zukünftiges Leben zu verschaffen: Ein Nein zur Dialektik und ein Ja zum Priestertum. Die Selbstfindung manifestierte sich bei Vizelin in der Bereitschaft zum Selbstopfer, „denn nur was wir geben, das haben wir“[177]. 

Zu diesem Zeitpunkt war dies alles aber nur ein Zukunftsplan, denn noch war er Messner[178] und die Weihung zum Priester stand noch aus. Dieser letzte Schritt war jetzt beschlossene Sache, er musste aber in der Heimat vollzogen werden. Nach drei Jahren des Auslandsstudiums kehrte Vizelin daher nach Deutschland zurück[179].

Nach 1126 erhielt er die Priesterweihe in Magdeburg[180]. So wenig aufgeschlossen er sich für neue intellektuelle Sichtweisen zeigte, so eifrig setzte er die Ideale des Priesters in seinem Leben um[181]. Im Zentrum stand dabei im Mittelalter, sich wieder auf die ursprüngliche Lebensweise eines Priesters zu besinnen[182]. Vizelin, aus Frankreich kommend, strebte als Ordensregel-Schule den Ordo novus mit seiner strengen Besitzlosigkeit an[183]. Dafür standen damals die Augustiner-Chorherren, die zusammen mit den Prämonstratensern die neuen Regularkanoniker bildeten (die Augustiner-Chorherren von Saint-Viktor bei Paris nahmen ebenfalls den Ordo novus an, sowie in Prèmontrè ab 1121, der Gründungsabtei des Prämonstratenserordens, 14 km westlich von Laon gelegen[184])[185].

Sie alle verband der Glauben an eine neue, zu alter Strenge zurückgeführten Lebensform nach den evangelischen Räten, mit eingehender Seelsorge, Leben in der Gemeinschaft und Armutsgelübde, zusammengefasst unter dem Begriff vita apostolica[186]. Als Vorbild diente dabei das Leben der Apostel in der Urkirche in Jerusalem[187], das durch den Heiligen Augustinus in dieser Lebensform definiert wurde[188]. Einen Gleichgesinnten fand Vizelin z.B. in Abt Richer von Klosterrath (1112 – 1122), der wünschte, dass „auch seine Brüder, die bisher an drei Tagen der Woche nach früherer Sitte Fleisch aßen, Fortschritte im Herrn machten und vollkommener lebten. Nachdem er die Zustimmung aller erhalten hatte, setzte er fest, daß sie sich des Fleisches enthielten, […]“[189].

Völlig neu war dieser Ansatz nicht, doch kam bei den Augustiner-Chorherren ein neues Element hinzu, das im vorherigen zurückgezogenen Mönchsleben fehlte: das Ideal der Apostel zur Ausbreitung des Glaubens[190]. Vizelin war zwar auch bisher ein von der Bibel geleiteter Mensch, der aber nun – im Gegensatz zum einfachen Mönchsdasein – die aktive Form der Heilsbringung der Regularkanoniker übernehmen wollte[191]. Er war bereit, die Gefahren der Mission auf sich zu nehmen, ging später sogar ins heidnische Wagrien. Deswegen ist seine Entscheidung, Augustiner-Chorherr zu werden, richtungsweisend für sein weiteres Leben. Diese Weichenstellung vollzog sich sehr wahrscheinlich in Frankreich, da Helmold in seiner Schrift die Regularkanoniker bis zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt, Vizelin scheint also erst dort mit ihnen in Berührung gekommen zu sein.

Vizelin ging daher auch nicht zurück nach Bremen, sondern in eines der deutschen Zentren der Regularkanoniker, nach Sachsen, das im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts eine Hochburg der Reformierten war[192].


[Exkurs 2[193]: Vizelin, der Regularkanoniker im Orden der Augustiner-Chorherren]

Die Regularkanoniker übernahmen zwar Askese, Armut, Gehorsamspflicht, die Ernährung, das gemeinschaftliche Leben und die zeitweise innere Versenkung zu Gott von den Regeln des Augustinus, doch versuchten sie auch, auf die Menschen zuzugehen, indem sie u.a. seelsorgerischen Tätigkeiten nachgingen[194]. Spätestens jetzt kann bei Vizelin nicht mehr von einem geistlichen Beamten gesprochen werden, da bei Klerikern bis heute die totale Hingabe zu Gott und den Menschen gefordert wird. Das einfache, gewissenhafte Nachgehen eines Berufes reicht dabei nicht mehr aus, es kommt zum 24-stündigen Dauereinsatz für Gott und seinen Auftrag[195]. Manche Züge des Beamten bleiben jedoch erhalten, wie die Beachtung der Hierarchie.

Aber das Einswerden mit seiner Bestimmung als Kleriker verlangte von Vizelin mehr innere Bereitschaft, mehr Opferung. Er und seine Aufgabe mussten miteinander verschmelzen[196]. Dies war gerade in heidnischen Gebieten von Vorteil, da die Menschen ja erst mit dem Christentum bekannt gemacht werden mussten. Eine aktive Glaubensausbreitung war somit schon regelrecht Pflicht und auch Teil der vita apostolica. Für die Übernahme des neuen Glaubens unter den Slawen eignete sich dabei die Seelsorge der Chorherren als Regularkanoniker besonders, weil diese in großen Teilen aus Aneignung und Schulung des christlichen Kultes bestand. Dabei hatte die Aussendung Vizelins vermutlich den Hintergedanken, die Randgebiete Europas zu „verchristlichen“ und deren „Evangelisation“ voranzutreiben[197]. Tatsächlich wurde die Seelsorge schon früh von päpstlicher Seite unterstützt, auch bei Stiftsgründungen in oder an Rodungsgebieten (auch Schleswig-Holstein musste in weiten Teilen noch urbar gemacht werden, siehe Exkurs 4)[198].

Aber nicht nur die Slawen sollten missioniert werden, auch die Neusiedler brauchten charismatische, christliche Unterstützung – Missionare, die beherzt agierten, wenn die Christianisierung nicht lief, wie erwünscht. Klöster mit in sich gekehrten Mönchen, die der Welt entrückt sind, wären da am falschen Ort gewesen[199]. Die Seelsorge konnte somit diese neuen Bevölkerungsströme begleiten und die Mission der Slawen betreiben – und damit die Präsenz der Kirche dauerhaft gewährleisten. Für solche Unternehmungen waren Personen wie Vizelin, d.h. Regularkanoniker, notwendig, die wie die Apostel alle irdischen Güter hinter den Glauben stellten und eifrig für den Glauben kämpften[200]. Vizelin bewies mehrmals, auch u.a. durch ständige Visitationen, dass er sich die Lebensform der Regularkanoniker zu eigen gemacht hatte.

Die Augustiner-Chorherren (als Orden der Regularkanoniker neben den Prämonstratensern)[201], schafften Seelsorgezentren und bauten von da aus eine pastorale und administrative Infrastruktur auf[202]. Sie konnten dadurch flexibel auf eine immer mobiler werdende Gesellschaft[203] reagieren und sich im christlichen Niemandsland Schleswig-Holstein Stück für Stück ausbreiten.

Voraussetzung hierfür war aber die Bereitschaft (vor allem in Wagrien), auch ungünstige Lebensumstände für den Glauben in Kauf zu nehmen –  für Vizelin kein Hindernis. Das war in Verbindung mit der Seelsorge besonders entscheidend, weil die europaweit agierenden Regularkanoniker dadurch auch für die Menschen an den großen Fernstraßen oder in den Hospitälern zur Verfügung stehen konnten[204]. Sie stellten einen Gegenentwurf zum zurückgezogenen Leben der Mönche im Kloster dar, was sie im 12. Jahrhundert als Gemeinschaft schnell sehr attraktiv machte. Ab dem 13. Jahrhundert existierten schon über 300 Augustiner-Chorherrenstifte, vor allem in Italien, Deutschland und Frankreich[205]. Ihre Ausbreitung wurde auch durch päpstliche Unterstützung gefördert. In Rom hatte man erkannt, dass eine neue Zeit angebrochen war, in der die Menschen geistig wie körperlich in Bewegung geraten waren[206]. Bestrebungen, wie die von Vizelin, waren dort gern gesehen, da durch das demografische Anwachsen und die neuen geistigen Fragestellungen Begleitpriester für den christlichen Glauben dringend benötigt wurden. Sie sollten diese Gesellschaft im Aufbruch begleiten und ihre Stifte an den Neusiedlungen gründen[207].

Seelsorge und Predigt, als Werkzeuge der Regularkanoniker, wurden gerade in den Wirkungsjahren Vizelins besonders gefördert[208]. Die christliche Begleitung war quer durch sämtliche Bevölkerungsschichten erwünscht; das Armutsideal der Augustiner-Chorherren suggerierte dabei weiten Teilen der Bevölkerung eine Begegnung auf Augenhöhe[209], obwohl Regularkanoniker natürlich geweihte Priester waren[210], die allein aufgrund ihrer Bildung deutlich über dem gemeinen Volk standen.

Angegliedert an die Augustiner-Chorherrenstifte waren häufig, wie auch unter Vizelin, Hospitäler[211], was sich später während der Kämpfe in Schleswig-Holstein als vorteilhaft herausstellen sollte. Das Hospitalwesen kann hierbei eher als ein Part der Seelsorge gewertet werden[212], hier fanden unterschiedlichste Menschen Aufnahme, die am Rande der mittelalterlichen Gesellschaft standen und Hilfe benötigten. Die Hospitäler bildeten ein Auffangbecken für alle Arten von Betreuung: Sie fungierten als Herbergen für Pilger, Pflegeheime für Alte, Krankenhäuser, Armenhospize etc.[213]. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen boten sie der Bevölkerung und Vertriebenen letzte Rückzugsorte, um sich in Sicherheit zu bringen. Aufgenommen wurde jeder, der als arm galt[214].

Die Augustiner-Chorherren und ihre Hospitäler wurden daher besonders in der Nähe kriegerischer „Brennpunkte“ erbaut[215]. Als solcher Brennpunkt galt auch Wagrien, wo Vizelins Missionstätigkeit von Anfang an als Kreuzzug wahrgenommen (siehe Exkurs 5) und später auch so bezeichnet wurde (siehe das Jahr 1147).]

[Exkurs 3: Ein mögliches Bild des Priesters Vizelin:

a.      Die Statur

Wie weiter oben erläutert (siehe Exkurs 1/Die Statur) dürfen heutige Verhältnisse nicht vollständig auf mittelalterliche übertragen werden. Allgemein können dabei von archäologisch/anthropologischer Seite nur Schätzungen der Körpergrößen auf Grundlage der Gräber der Erwachsenen ermittelt werden, die aber ein breites Spektrum abbilden. Ein Männer- oder Frauengrab ist dabei mindestens 140 cm und höchstens 190 cm lang, wobei die Untergrenze für Erwachsene bei 150 cm liegt[216]. Da Vizelin als relativ klein galt, aber wohl keine körperliche Arbeit verrichten musste und ausreichend ernährt wurde[217], müssen für ihn die unteren Durchschnittswerte im Erwachsenenalter gelten. Die hochmittelalterlichen Verhältnisse sind hierbei in der Oberschicht deckungsgleich zu vorherigen frühgeschichtlichen Körpergrößen: Die erwachsenen Männer waren im Mittel zwischen 170 - 174 cm groß[218]. Die stetige Abnahme der Körpergröße im Mittelalter wurde erst im Spätmittelalter deutlich und betraf weniger den adligen Klerus[219].

 

Seine Entwicklung war somit normal, aber eher am unteren Rand des Durchschnitts (siehe das Jahr 1134). Körperhöhenprognosen, die von den kindlichen Körperhöhen ausgehen, erlauben Berechnungen, die die künftige Erwachsengröße vorhersagen. Danach erreichte Vizelin (bei 120 cm als Zehnjähriger, siehe Exkurs 1) eine Körperhöhe von 153,1 cm ± 2,5 cm[220]. Andere Längsschnittuntersuchungen zeigten bei einer Größe von 121 cm als Zehnjähriger eine Größe im Erwachsenenalter von 161,6 cm[221]. Eine Höhe von 155 - 160 cm ist auch für das Hochmittelalter klein und zeigt einen unteren Wert. Aus Sicht eines normal großen Slawen von 170 cm (siehe Exkurs 8) wirkte er klein. Für die Rekonstruktion wird von einem Wert von 160 cm ausgegangen:

 

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Rekonstruktion der Körpergröße. Körperrekonstruktion als Drahtgerüst und normale Statur.

    

b.     Die Kleidung

Archäologisch kann über die Kleidung Vizelins nichts gesagt werden, nur, dass er bei der Graböffnung von 1614 „rock undt gurtel“ trug, was „ist unverletzt in der Sacristey nachmals aufgehenket“[222]. Seine letzte Ausstattung scheint ein einfaches Priestergewand gewesen zu sein[223]. Dies war nicht unbedingt gängige Praxis, da Bischofsgräber erheblich umfangreicher ausgestattet sein konnten, mit Beigaben, die auf den Stand hindeuten[224]. Vizelin zeigte sich selbst im Tod enthaltsam und trat seine letzte Reise als Büßer an. Dabei wurde wohl auf die Ausstattung zurückgegriffen, die er meist trug: die einfache Priestergewandung. Nach seinem Tod (siehe das Jahr 1154 unten) erschien er den Menschen in priesterlichem, schneeweißem Gewand[225].

 

1.     Leinen oder Wolle?

Was das äußere Erscheinungsbild des Augustiner-Chorherren Vizelin betrifft, so kann man annehmen, dass er, obwohl er sich auf den Ordo novus der Regularkanoniker berief, doch nicht in allen Bereichen der neuen Ordnung folgte[226]. Eine exakte Überlieferung zur Kleidung für ihn gibt es nicht, nur seinen Vorsatz „ein härenes Gewand auf bloßem Leibe“[227] zu tragen, was wohl nicht wörtlich ausgelegt werden darf. Leider wird weder bei Helmold noch bei den augustinischen Regeln eine genaue Vorschrift über die Farbe oder Stoffqualität der Kanoniker-Kleidung überliefert[228]. Hinzu kommt, dass die Kleidungsvorschriften je nach Anlass wechseln konnten. So beschwerte sich Hugo Metellus (um 1150 als Chorherr von St. Leon in Toul verstorben) über die Prämonstratenser, die im Alltag die Wolltunika einsetzten und Leinen nur für die Liturgie trugen[229]. Die Prämonstratenser konnten sich hierbei auf die Bibel berufen, denn

„Wenn sie durch die Tore des Innenhofs hineingehen, sollen sie Leinengewänder tragen. Sie dürfen nichts Wollenes tragen, wenn sie in den Toren des Innenhofs und im Tempel Dienst tun“ (Ezechiel 44,17).

„Wenn sie in den Vorhof zum Volk hinausgehen, sollen sie die Leinengewänder ausziehen, in denen sie Dienst getan haben; sie sollen sie in die heiligen Räume legen und andere Kleider anziehen, damit sie das Volk nicht durch ihre Leinengewänder heilig machen“ (Ezechiel 44, 19).

2.     Das weiße Superpelliceum

Augustinus bevorzugte für die Geistlichen das Leinen[230], was in Verbindung mit dem obigen Bibelzitat vermutlich für Vizelin ausschlaggebend war. Spätestens bei der Liturgie griff Vizelin wohl zum Leinen, da er die alten Sitten repräsentieren wollte. Auch andere namenhafte Kanoniker können hier unterstützend gewirkt haben, die sich ebenfalls für den weißen Leinenhabit aussprachen[231]. So lehnte Gerhoch von Reichersberg die Wolltunika ab und wollte für die Prämonstratenser in Magdeburg eine Rückkehr zum Leinen[232]. Auch sein Bruder Arno von Reichersberg wollte eine Rückkehr zum weißen Leinenobergewand. Es reichte bis auf die Füße hinab und ist vorne mit einem Kreuz versehen. Zur Kleidung gehörte auch eine Wollcappa. Arno spricht zudem eindeutig von „superpellicium“[233]. Man sieht, dass die Kleidungsfrage selbst unter den Regularkanonikern für Meinungsverschiedenheiten sorgte[234]. Gelegentlich mussten sogar höhere Instanzen regulierend eingreifen, da z.B. Papst Hadrian IV. in einem Mandat zur Rückkehr zu Superpelliceum und schwarzem Mantel ermahnen musste[235].

Das Superpelliceum wird ein weiteres Mal in der Annales Rodenses erwähnt und zwar im Jahr 1141: „Und keinem Kleriker war es nach Ablegen des Superpellicium, d.h. der für ihn geweihten Kleidung, erlaubt, ein einziges Wort zu sagen.“[236] Die Farbe Weiß hatte dabei besondere Bedeutung, da sie das Erkennungszeichen des apostolischen Lebens war und die Kanoniker als blendend weiße Nazarener darstellte. Sie konnten dadurch ihren Reformwillen unterstreichen und sich von anderen geistlichen Orden unterscheiden. Die Farbsymbolik ist hierbei sehr bedeutend, weil das weiße Linnen, unabhängig von der Priesterschaft, sinnbildlich wie das himmlische Licht erstrahlen konnte und sogar die Engel in strahlend weißen Gewändern erschienen[237]. Die Überlieferung spricht also eher für diese spezielle weiße Oberbekleidung der Chorherren, weshalb sie auch für die Rekonstruktion verwendet wird:

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Rekonstruktion von Superpelliceum, keine Angabe von Nähten. Körperrekonstruktion als Drahtgerüst.

 

3.     Die Wollcappa

Der schwarze Mantel wird als Standardbekleidung zum Superpelliceum gerechnet:

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Rekonstruktion von Superpelliceum und Cappa, keine Angabe von Nähten. Körperrekonstruktion als Drahtgerüst.

 

4.     Die Schuhe

Ebenfalls zur Standardausstattung gehörte – spätestens beim Gottesdienst – ein, wenn auch einfaches Paar Schuhe. Dies befolgten sogar barfußlaufende, eremitische Regularkanoniker, die sich sonst, wie Vizelin, einer strengen Kasteiung unterzogen[238]. Die archäologische Forschung konnte eine Halbschuhform bzw. einen geschnürten Halbschuh für das 11. und 12. Jahrhundert bestätigen, der sich wohl vor allem beim Klerus und der Oberschicht fand[239]:

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Rekonstruktion der Schuhe, Nähte sind angedeutet.


5.  Zusammenfassende Rekonstruktion

    Wird berücksichtigt, welche große Bedeutung die Bekleidung im mittelalterlichen Denken einnahm, muss man Vizelin unterstellen, dass auch er sein Gewand bewusst wählte und damit ein bestimmtes Bild zu erzeugen suchte. Vizelin machte in seinem bisherigen Leben nicht den Eindruck eines Erneuerers. Seine Entscheidung für die vita apostolica und den Ordo novus waren eher ein Zurück zu den Wurzeln des Glaubens und kein Wandeln auf neuen Wegen. Ein Statement in Kleidungsfragen konnte sein Festhalten an alten Tugenden unterstreichen (auch in Laon zeigte Vizelin ja eher eine Orientierung an den Maximen des frühen Mittelalters[240]).

Zusammenfassend muss wohl davon ausgegangen werden, dass Vizelin, jedenfalls zur Liturgie, das weiße Leinengewand der ursprünglichen Regularkanoniker anlegte[241]. Auch wenn ihn vielleicht der Ordo novus zu einem härenen Gewand inspirierte, ist dies nicht priesterlicher Usus und Helmold wollte mit diesem Begriff vielleicht nur Vizelins endgültigen Entschluss zur Priesterweihe unterstreichen, die ja mit Entsagung verbunden war. Vizelin kannte aber die Bibel gut und das Wort Gottes war für ihn ausschlaggebend. Zudem lehnte er Produkte tierischen Ursprungs ab und nahm auch kein Fleisch zu sich (siehe das Jahr 1122/23 in Laon). Leinen mit seinem pflanzlichen Ursprung war da dem (Schaf-) Wollhemd vorzuziehen[242].]

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Rekonstruktion von Superpelliceum, Cappa und Schuhen bei einer Körpergröße von 1,60 m. Rekonstruktion vom vorherigen Kindermodell ausgehend, dann aufgerechnet zur erwachsenen Größe. Haar- und Augenfarbe nur als Vorschlag, denn sie sind nicht überliefert, andere körperliche Merkmale wären ebenso möglich. Der Vorschlag basiert auf der Herkunft Vizelins aus Hameln. Er gehörte also zur niedersächsischen Bevölkerung (siehe dafür: Überlieferung des Tacitus über Aussehen der Germanen in seiner Germania).]

 

                                                 

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[Exkurs 4: Die Situation der Bevölkerung im 12. Jahrhundert und Vizelins Begleitung der Neusiedler

Das Anwachsen der Bevölkerung im 11. und 12. Jahrhundert in allen gesellschaftlichen Schichten (Bauern, Rittern etc.)[243] brachte praktische Gründe für das Ausgreifen ins slawische Gebiet mit sich[244]. Bevor allzu große gesellschaftliche Spannungen durch die Überbevölkerung in den alten deutschen Stammesgebieten aufkommen konnten, mussten ein Ventil und neuer Raum gefunden werden. Und die fanden sich auch, nämlich direkt vor der Tür im Slawenland, das weniger dicht besiedelt war[245].

Angelockt wurden die Neusiedler zusätzlich durch Privilegien[246], wodurch im Laufe des 12. Jahrhunderts mehr als 200.000 deutsche Kolonisten Richtung Osten zogen, u.a. auch über die Elbe, in slawisches Gebiet. Hier konnten sie, weil sie über bessere Anbautechnologien als ihre Nachbarn verfügten[247], die Böden bearbeiten, die von den Slawen brach gelassen wurden[248]. Boden war gerade in der Naturalwirtschaft des frühen und hohen Mittelalters der wertvollste Besitz. Um an ihn zu gelangen, wurden erhebliche Strapazen auf sich genommen[249].

Dabei waren große Flächen nötig, weil aufgrund noch fehlender Kenntnisse über Düngung etc. ausreichender Ertrag nur darüber erbracht werden konnte. Diese Flächen wurden im Stammland knapp, besonders als die Bevölkerung anstieg[250]. Schleswig-Holstein wurde nun zum Rodungsgebiet, um neue Flächen für die Ackernutzung zu erhalten. Damit wurde es notwendig, Beil und Axt einzusetzen[251]. In der Landwirtschaft konnte der westliche Nachbar modernere Methoden aufbieten, was sich etwa bei der Nutzung des eisernen Wendepflugs gegenüber dem slawischen Hakenpflug zeigte. Letzterer konnte den Boden nur oberflächlich anritzen, während der Wendepflug den Boden tief umwendete[252]. Die neuen Rodungsgebiete boten den Angehörigen der unteren Schichten zusätzlich die Hoffnung auf eine Lockerung der bisherigen Lehnsherrschaft[253], da das Neuland noch nicht in die mittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen integriert war (dies geschah erst später[254]).

Für Schleswig-Holstein bedeutete dies die Aussendung eines Lokators, eines adligen oder geistlichen Unternehmers, der im Auftrag eines höheren Herren die neuen Gebiete einnahm und deren Ausbau vorantrieb[255]. Die Lokatoren waren die Speerspitze der Eroberung des neuen Bodens[256] (siehe Exkurs 13), ausgestattet auch mit der Erlaubnis, Neusiedler anzuwerben[257], die wiederum christlich versorgt werden mussten. Dies erkannte die Kirche. Sie versuchte von Anfang an lenkend einzugreifen[258], indem sie Geistliche wie Vizelin förderte. Vizelin selbst hatte dabei keine ökonomischen Hintergedanken, doch war er eingebunden in die Politik, die im Gegensatz zu ihm nicht nur christliche Absichten hegte[259].]




 (Fortsetzung Hauptteil, Teil 1)

Gerade das Vorbild der Apostel wird dann auch für Schleswig-Holstein bedeutsam, weil Vizelin ab diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einem Wirkungskreis war, zu dem er ausziehen und vor Ort für die Kirche tätig sein konnte. Als frisch geweihter Priester „hörte er vom Slawenfürsten Heinrich, und wie dieser nach Bezwingung der Barbarenvölker willens und geneigt sei, den Dienst am Hause des Herrn auszubreiten.“[260] Für Vizelin war dies wie ein Wink des Schicksals bzw. die Vorsehung, die für ihn bestimmt war[261], denn er war „überzeugt, daß er von Gott gerufen werde, das Evangelium zu predigen“[262]. Der göttliche Ruf oder die Vorsehung war in den mittelalterlichen Köpfen eine Tatsache, die jedes Leben beeinflusste und lenkte[263]. Der göttliche Zukunftsplan war für den Einzelnen nicht durchschaubar, aber stets präsent. Der Mensch galt dabei nur als ein Rädchen im Getriebe dieses Plans, was die vielen mittelalterlichen Abbildungen vom Rad der Fortuna bildlich verdeutlichen[264]. Fortuna ist dabei zwar heidnischen Ursprungs, das Sinnbild wurde aber christianisiert und Gott untergeordnet[265].

Jeder Mensch hatte seine Bestimmung im großen Ganzen und musste seine Rolle spielen, die von Anfang an festgelegt und unabänderlich war[266]. Die himmlische Wirkung auf das Leben war und ist dabei ein Thema, das durch die Jahrhunderte in den klerikalen Kreisen immer wieder diskutiert wurde und wird. Trotz menschlichen Willens ist das Zutun Gottes immer Voraussetzung für alle Lebensentscheidungen[267] und kann Schicksalsfügungen sogar noch unterstreichen. Dabei ist der Mensch ein Diener, der den für ihn bestimmten göttlichen Auftrag nur ausführt. Der Kleriker hat auch hier Gehorsam gegenüber Gott zu leisten[268]. Vizelin war somit fest überzeugt, dass er als Werkzeug Gottes dessen Befehl Folge zu leisten hatte und hier im Gebiet der Slawen sein Lebensziel erreichen konnte. Hierhin hatte ihn sein bisheriger Weg geführt. Man kann fast von einer Offenbarung sprechen, denn der Erzbischof Adalbero von Hamburg (1123-1148) „gab ihm das Sendamt zur Predigt unter den Slawenvölkern an seiner Statt zur Ausrottung des Heidentums“[269].

[Exkurs 5: Der Kreuzzugsgedanke bei Vizelin und seinen Zeitgenossen  

Insgesamt muss hierbei der Rettungsgedanke des christlichen Mittelalters bedacht werden, denn die Ausrottung des Heidentums war in der mittelalterlichen Logik gleichbedeutend mit der Rettung der Person. Das ist heute so nicht mehr nachvollziehbar, aber zur damaligen Zeit galten die Slawen als Teufel in Person (Exkurs 7 und 10). Ihre Ausrottung war demnach gleichsam die Befreiung vom Teufel. Auch Vizelin sah in der heidnischen Lebensweise der Slawen den Teufel am Werk, dessen Vormacht gebrochen werden musste. Der Krieg richtete sich daher im Prinzip nicht gegen die Slawen als Individuen, sondern gegen den über die Slawen dämonische Kontrolle ausübenden Teufel. Gewaltanwendung war dadurch legitimiert[270].

Die Slawen konnten für ihre Befreiung auch gegen ihren Willen missioniert werden, da sie aus Sicht der mittelalterlichen, christlichen Gesellschaft die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht erkannt hatten und den bösen Mächten regelrecht entrissen werden mussten[271]. Das biblische „compelle intrare“ (Nötige sie hereinzukommen, Lukas 14, 23) wurde wörtlich als Wunsch Gottes verstanden[272]. Der Kreuzzugsgedanke war im christlichen Weltbild bereits fest verwurzelt[273], sodass weite Teile der Bevölkerung für ihn gewonnen werden konnten.

In der zeitgenössischen Rhetorik kommt aber eher der martialische Kampf zum Ausdruck, vor allem dann, wenn der Autor christlichen Ursprungs ist. So schreibt der Benediktinermönch Gallus Anonymus[274]: „Gegen das Nordmeer zu hat Polen drei äußerst wilde Barbarenvölker in Seleucia, Pommern und Preußen zu Nachbarn, gegen die der Herzog von Polen immer wieder zu Felde zog, um sie zum Glauben zu bekehren. Aber er konnte weder ihr Herz durch das Schwert der Verkündigung der Falschheit entreißen noch dieses Natterngezücht durch das Schwert des Blutbades ausrotten“[275]. Vizelin nahm den Kreuzzugsgedanken, wie seine Standesgenossen, als „Heiligen Krieg“ an. Denn dabei sollte auch der Priester zuschlagen, wenngleich mit geistigen Waffen[276].

Dass es sich dabei auch um einen Irrweg handeln könnte, war in der damaligen Zeit undenkbar. Das Grundverständnis eines Geistlichen von sich und der Kirche war die feste Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Irren war nicht göttlich und damit war auch die Kirche über jeden Zweifel erhaben. Die Wahrheit lag bei Gott, was auch den missionarischen Eifer in der klerikalen Psyche erklärt[277]. Besonders im Hochmittelalter war dieses dogmatische Bild noch präsent und wurde keiner Prüfung unterzogen[278]. Der Wahrheitsbringer Vizelin war für den Kreuzzug, griff aber selbst nicht zu den Waffen. Wahrscheinlich hielt er zur Rechtfertigung die Worte Jesus aus der Bibel bereit: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Matthäus 10, 34).

Für den geistigen Umbau bzw. die Ausrottung des Heidentums war Vizelin als Augustiner-Chorherr der richtige Mann, da er den Eifer mitbrachte und nun die Mittel zur Umsetzung in die Hand bekam. Seine Rigorosität war dabei Bedingung, das Ganze überhaupt zu wagen, denn das heidnische Slawenland war Feindesland und ihm drohte dort ein mögliches Martyrium[279].]

                                                             

Hauptteil, Teil 2: Ankunft in Schleswig-Holstein oder Vizelin kommt in das Slawenland

Vizelin hatte durch sein bisheriges Leben und Wirken die Bedingungen dafür geschaffen, um nun nach Schleswig-Holstein gehen zu können. Im Jahre 1126 (kurz nach der Priesterweihe) holte er sich „das Sendamt“ „zur Predigt unter den Slawenvölkern“ ab[280]. Im gleichen Jahr begab er sich zur Burg Lübeck zum Fürsten Heinrich und erhielt dort die offizielle Erlaubnis, im Slawenland zu predigen. Heinrich, „der König der Slawen“, „übergab ihnen die Kirche zu Lübeck[281]“, woraufhin Vizelin erstmal nach Sachsen zurückkehrte[282].

[Exkurs 6: Vizelin in Alt Lübeck

a.      Der heutige Standort/Auffindungssituation

Der archäologische Fundplatz Alt Lübeck (slawisch: Liubice), der bei Helmold erwähnt wird, liegt ca. 6 km vom heutigen Lübeck entfernt auf einer Landzunge zwischen Schwartau und Trave. Es ist eine Halbinsel gegenüber der Teerhofinsel. Oberirdisch ist vom alten Siedlungsareal nichts mehr zu sehen, nur die Fundamente der Kirche, der weitgehend abgetragene Wall und ein Gedenkstein können im Gelände besichtigt werden.

             Karte_3                                                     

Karte und Lage von Alt Lübeck mit heutigem Eingangsbereich des ausgedehnten Fundplatzes, der Weg führt zur Ausgrabungsstelle.


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An der Ausgrabungsstelle: Die Kirche innerhalb des Walls (die Vizelin übernehmen sollte) und der Gedenkstein auf dem Wall als Orientierungspunkte.

b.     Der Wall

Der Wall von Alt Lübeck wurde archäologisch umfangreich untersucht. Dabei wurde eine Besiedlung innerhalb und außerhalb des Walls festgestellt sowie die Art des Wallaufbaues teilweise rekonstruiert. Da für den Lebenslauf von Vizelin ansonsten nicht von Bedeutung, wird hier nur die letzte Phase der slawischen Burg Alt Lübeck rekonstruiert. Für Alt Lübeck ist dies die letzte Phase des Ausbaus[283]. Grundsätzlich änderte sich die slawische Bauweise im 11. und 12. Jahrhundert aber nicht: Der Wall bestand weiter aus Holz und Erde[284], es gab keine prinzipiellen Abweichungen. Wenn Burgen nicht gerade auf einer Insel angelegt wurden, gab es einen vorgelagerten Trockengraben[285]. Die Situation in Alt Lübeck benötigte, durch die Halbinsellage, jedoch nur einen Abschnittsgraben im Westen, um eine völlige Umschließung durch Gewässer zu erreichen[286]. Dieser Graben hatte eine Breite von 12 m[287].

 

Das hintere, von Wasser umgebene Gelände, beherbergte den eigentlichen Burgplatz von 105 m Länge und ca. 80 m Breite. In der Form glich das gesamte Burgareal einem Rechteck mit abgerundeten Ecken[288].Die Aufbauten auf dem Wall bestanden aus Holz[289]; es müssen dabei aber andere Befunde als Vergleich für die Rekonstruktion herangezogen werden[290]. Der Wall verlief mit einer steilen Böschung auf die Wallkuppe zu. Auf ihr befanden sich besagte Holzbauten, die wahrscheinlich in Kastenbauweise[291] ausgeführt waren. Sie konnten den Wall noch beträchtlich erhöhen[292]. Vergleichbar ist der Befund von Alt Lübeck mit der jüngeren Bauphase der slawischen Burg von Behren-Lübchin. Hier bestanden die Kästen aus einer Außen- und Innenwand mit 3,5 m Zwischenraum. Die Wände selbst bestanden aus 3,5 - 5 m langen Bohlen, die 0,6 m tief eingeschlagen wurden. An der Außenwand wechselten sich Abschnitte mit langen und kurzen Bohlen ab. Die jeweiligen Abschnitte waren 2,8 - 3 m lang, wobei die längeren Bohlen die kürzeren um 1,2 m überragten[293]. Für die Stabilität verliefen längs der Innen- und Außenwand Riegel, die die Kästen abstützten und die in die hinausstehenden Teile der Kästen gesteckt werden konnten, wodurch sie quer zu den Kästen verliefen[294]. Zumindest das obere Laufniveau des Wehrganges war wahrscheinlich mit Sand oder Grassoden bedeckt[295]. An der Basis hatte der Wall von Alt Lübeck in seiner letzten Bauphase eine Breite von 23 - 26 m, und war nach außen noch mit einer Bohlenwand verkleidet[296]. Auch dies ist vergleichbar mit Behren-Lübchin, da eine untere Bohlenwand den Abtrag des Walls verhindert[297]. Heute erstreckt sich der Wall weit weniger ausgedehnt mit einer Breite von 15 m[298] und einer Maximalhöhe von 5 m ü. NN[299]. Grundlage für die Rekonstruktion sind die Grabungsergebnisse[300] und ein Modell von Werner Neugebauer aus den 1960er Jahren[301]. Zusätzlich werden andere Rekonstruktionsüberlegungen zum Vergleich miteingebunden[302], da unter anderem auch militärstrategische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen[303]:

 

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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst direkt nach dem Eingangsbereich, Blick vom Weg aus.

 

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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst, Blick vom heutigen Gedenkstein ins Burginnere.

 

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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst, Blick vom heutigen Gedenkstein ins Burginnere. Im Wall sind die Fundamente der Kirche erkennbar (Hintergrund).


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Rekonstruktion des Walls, Blick nach innen.


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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst, Blick Richtung Westen, südliches Tor als Durchgang angedeutet.

 

 Exkurs 6b Anhang: Größenangaben für die Rekonstruktion am Tordurchlass

Schema_5
Schema_6

Die Breite an der Basis beträgt 23 - 26 m (siehe Text oben).

 

Anhand der Basisbreite ergibt sich eine beträchtliche Höhe[304]:

Schema_7

Die Höhe bis zum Wehrgang beträgt aufgrund der Schrägung und der Basisbreite 16,58 m.


c.      Das Tor im Süden

Sehr unklar ist der tatsächliche Aufbau des Tores, das sich südwestlich befand. Vom ehemaligen Tordurchlass kann, wenn überhaupt, nur der Fußhorizont exakt rekonstruiert werden[305]: Die untere Verschalung des Walls mit Bohlen (siehe oben, gegen Erosion) wies eine Lücke auf, durch die ein Holzrost gelegt war als Unterbau eines Bohlenweges. In der Einfahrt waren links und rechts in Fahrtrichtung zum Inneren der Burg zwei mächtige Bohlen an den äußeren Seiten verlegt, die zu dem Rostunterbau gerechnet werden können. An einer Seite der Einfahrt war ein Pfosten eingegraben. Fraglich ist, ob auf der gegenüberliegenden Seite – andere Seite Toreingang – ein ähnlicher Pfosten vermutet werden kann (kein Befundergebnis). Diese Pfosten bildeten wahrscheinlich einen Teil der ehemaligen Torwangen. Sie konnten in älteren Grabungen weiter nördlich dem Eingangsbereich folgend und fortführend belegt werden[306]. Der Bohlenweg entlang der Torwangen stieß auf das eigentliche Tor, das in Rostkonstruktion (zumindest für den Fußhorizont) ausgeführt wurde. Er leitete durch das Tor und war an dieser Stelle mit mächtigen Stammstücken als Unterbau gestaltet, die das Fundament für etwas Aufgehendes bildeten. Die mächtigen Hölzer waren mit Einkerbungen versehen, die andere Hölzer aufnahmen[307]. Es könnte sich hierbei um eine aufgehende Bohlenwand gehandelt haben, die an dieser Stelle ein Tunneltor bildet. Auffallend ist die Unterbrechung in der Bauweise am vermuteten Tordurchlass[308].

Dazu muss gesagt werden, dass auch an der Toranlage mehrere Bauphasen nachgewiesen werden konnten[309], angenommen werden zwei[310]. Entlang des Wandgefüges befanden sich Pfosten mit Pfostenlöchern, eine altertümlichere Bauweise[311] (Torwangen vor und hinter dem Durchlass). Daneben existierte das eigentliche befestigte Tor, das wohl militärstrategisch ausgebaut war und die aufgehende und jüngste Konstruktion[312] bildete. Es stellt sich hier also eine komplizierte Fundlage dar, was sich bereits an der Interpretation des Fußhorizontes zeigt[313].

Für die Rekonstruktion kommen nun die althergebrachte Bauweise (ältere Befestigung Alt Lübeck/Groß Raden) und neuere Bauweisen (Vergleich z.B. Behren-Lübchin) in Betracht. Aber auch hier gibt es, wie bei den Wällen, keinen exakt zu datierenden Neuanfang im Bauwesen[314], sodass zum Vergleich Groß Raden herangezogen wurde[315]. Der archäologische Befund in Alt Lübeck zeigt, wie bei den älteren slawischen Torbauten, waagerechte Bohlen, die hinter den starken Pfosten verlegt wurden[316], um den Druck der Erdmassen aufzufangen. Die starken Pfosten waren in dichter Reihe gesetzt und bildeten die Torwangen. Über diesen seitlichen Pfostenwänden verliefen Bohlen, die das Tor nach oben abschlossen[317].

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Rekonstruktion des Walls mit dem Tor als Drahtgerüst, Blick Richtung Süden in der Burg stehend, südliches Tor mit Torturm.

 

Schema_8

Rekonstruktion des Walls mit dem Tor als Drahtgerüst, Blick Richtung Norden vor der Burg, südliches Tor mit Torturm und Bohlenweg.


Schema_9

Rekonstruktion des Tores, Eingangsbereich zum Inneren der Burg.


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Rekonstruktion des Tores im Wall, Blick von außen auf den Tordurchlass.


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Rekonstruktion des Tores, Eingang zum Burginneren.

                        

d.     Die Besiedelung innerhalb des Walls

1.     Die Kirche

Innerhalb des Walls ist heute der Grundriss der Feldsteinkirche zu sehen, die von Vizelin übernommen werden sollte: 

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Grundriss der Kirche innerhalb der Burg. Apsis im Vordergrund.

 

Im Gelände erstreckt sich das Kirchenfundament allgemein in Ost-West-Richtung, mit einem länglichen Schiff von 12 x 7,5 m und einem Apsis-Fortsatz von 2,8 m Tiefe. Im Osten schließt das Schiff mit zwei kurzen Querwänden von je 2 m Länge ab. An ihnen setzt die Apsis an. Die Mauerstärke variiert. Als Baumaterial wurden vor allem unbehauene bis wenig behauene Steine verwendet. Ungewöhnlich ist eine starke Einzelmauer – aufgrund ihrer Mächtigkeit vermutlich tragend – von gleichem Material, die aber in einigem Abstand zum Schiff im Westen steht. Sie zeigt keine Verbindungselemente zum Schiff, verläuft jedoch parallel zur Westwand des Schiffes und ist genauso lang.[318] Die Ausgrabungen haben keine Pfostenbefunde zutage gefördert, die ein Fortführen vom Schiff zur Einzelmauer belegen würden[319]. Vorherige Rekonstruktionen ordneten die Einzelmauer einem Turmanbau am Schiff zu, was jedoch schon früh angezweifelt wurde (auch die Rekonstruktion am Orientierungspunkt geht von einem Turm aus, siehe Foto oben). Grabungen brachten jedoch keine archäologischen Beweise für einen Turm[320].

 

Daher wird hier ein anderer Rekonstruktionsvorschlag übernommen, der einen Laubenvorbau in Narthex-Art vorsieht. Die Stärke der Einzelmauer könnte dabei als Fundament für einen offenen Eingang mit Satteldach gedient haben[321]. Unsicher ist dabei jedoch, wie der Laubengang gestaltet war. Vorbild könnte die byzantinische Baukunst gewesen sein, bei der der Narthex in vielen verschiedenen Varianten vorkommt[322]. Er fand später seinen Weg auch in nordeuropäische Länder[323]. Da sich die Ausbreitung der oströmischen Kirche in das slawische Gebiet auch in mittelbyzantinischer Zeit vollzog[324], ist es durchaus denkbar, dass Bauweisen übernommen wurden.

 

Beim Alt Lübecker Kirchenbau muss es sich aber, da nur eine Einzelmauer nachgewiesen wurde, um eine sehr vereinfachte Form des Narthex gehandelt haben. Eine aufgehende Steinsäulenkonstruktion ist im (noch) slawischen Gebiet eher selten zu finden. Es handelte sich daher wohl eher um eine Nachahmung byzantinischer Sakralbauelemente, umgesetzt mithilfe des slawischen Traditionshandwerks Holzbau[325]:

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Rekonstruktion der Steinkirche innerhalb des Walls. Aufgehendes als Drahtgerüst, Dächer schon angedeutet.

                                                                

Die Fenster im Kirchenschiff wurden von frühen Kirchenbauten des 12. Jahrhunderts übernommen, die als kleine Rundbogenfenster erscheinen. Auch die höhenversetzten Satteldächer können hier beobachtet werden[326], die ebenfalls bei dem vereinfachten Narthex-Vorbau möglich sind:

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Rekonstruktion der Steinkirche innerhalb des Walls. Aufgehendes als Drahtgerüst, Dächer schon angedeutet, Fenster als kleine Rundbogenfenster im aufgehenden Mauerwerk.


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Rekonstruktionsvorschlag der Steinkirche: links die Apsis, rechts der Narthex-Eingang.


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Rekonstruktionsvorschlag der Steinkirche: Blick auf den Narthex-Eingang.

 

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Rekonstruktionsvorschlag der Steinkirche: Blick auf die Apsis.

 

Die Kirche innerhalb des Walls:

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Rekonstruktion der Steinkirche und des Walls als Drahtgerüst. Blick vom Gedenkstein in die Burg.

2.     Die Häuser

Häuser, die dem Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts zugeordnet werden konnten, fanden sich vor allem in der Burgmitte und im nördlichen Bereich der Burg. Für eine Besiedlung sprechen hier fünf Feuerstellen und fünf Hausbefunde. An Konstruktionstechniken waren in Alt Lübeck Lehmestrich als Bodenbelag und Flechtwände vorherrschend. Die Häuser erreichten meist Breiten von 3 m und nur einmal konnte sicher eine Länge von 6 m ermittelt werden. Zu der altertümlichen Bauweise in Flechtwerktechnik gesellten sich Befunde von moderneren Konstruktionen wie hölzerne Eckverbände und Schwellhölzer. Das Gelände um die Häuser war häufig flächig gepflastert[327]. Es zeigt sich auch hier wieder Vergleichbares zu dem älteren Fundplatz Groß Raden, bei dem ebenfalls Flechtwerkhäuser nachgewiesen wurden[328]. Für die Rekonstruktion wird daher vor allem auf die Hausbefunde von Groß Raden zurückgegriffen mit den dortigen rechteckigen Grundformen und einer Deckung mit Walm- oder Satteldächern[329]. Diese einfachen Häuser waren fensterlos und nur mit einer Giebelöffnung und der jeweiligen Tür ausgestattet[330]. Gegenteilig zu Groß Raden wird in Alt Lübeck aufgrund der Befunde eher von einer Schwellbalkenunterkonstruktion ausgegangen, wobei diese Häuser zusätzlich leicht terrassiert waren[331]. Standesgemäße Bauten für den Adel (Vizelin besucht hier den Fürsten Heinrich) wurden nicht entdeckt. Der massive Kirchenbau mit seinen reichen Bestattungen deutet jedoch auf die Anwesenheit einer Oberschicht hin[332]:

Schema_10
 

Rekonstruktion der Befunde der inneren Besiedlung.


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Rekonstruktion eines Flechtwandhauses aus der inneren Besiedlung.

     

 

e.     Ein Teil der Südsiedlung vor dem Tor

Eine Südsiedlung vor dem Tor wurde archäologisch auch nachgewiesen. Insgesamt wurden sechs Häuser entdeckt mit rechteckigem Umriss, die die Blockbauweise zeigten. Die Häuser standen an den Bohlenwegen zum Tor oder um die äußere Befestigung herum[333]. Die Bohlenwege könnten brückenartig mit seitlichen Pfosten konzipiert worden sein[334]. An Größen für die Blockbauten konnten „mehr als 4 auf 4 m“[335] ermittelt werden. Für die Rekonstruktion wird wieder auf das Modell Werner Neugebauers zurückgegriffen, jedoch kann, außer dem Drechslerhaus, kein Hausbefund sicher zugewiesen werden[336]. Es wird darum nur ein kleiner Teil der Südsiedlung angeschnitten, die in ihrer Ausdehnung weit größer gewesen sein muss:

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Rekonstruktion eines Teiles der Südsiedlung vor dem Eingang im Drahtgittermodell.


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Rekonstruktion eines Blockhauses aus der Südsiedlung.


f.       Keramik aus der Südsiedlung:

Da die Südsiedlung als jüngster Bereich der Burganlage Alt Lübeck gilt[337], wird hier beispielhaft eine Keramikgruppe aufgeführt, die mehrfach als letzter Produktionszweig der slawischen Keramik in ihrer Endphase auftrifft. Es ist der Typ Vipperow, der auch in der Südsiedlung häufig aufgefunden wurde[338]. Für die Rekonstruktion wurden Merkmale des Typs Vipperow ausgewählt, die viele spätslawische Gefäße aufweisen: Gurtfurchen und Wellenbänder[339]. Sie befinden sich auf Töpfen unterschiedlicher Form und Größe:

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Rekonstruktion eines slawischen Topfs vom Typ Vipperow mit Gurtfurchen (horizontale Rillen) und Wellenband auf dem Halsbereich, überhöht dargestellt.

 

 

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Rekonstruktion in Drahtgittermodell. Blick von oben in die Burg mit einem Teil der Südsiedlung davor und der inneren Besiedelung.

 

 

g.     Zusammenfassende Rekonstruktion

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Rekonstruktion von Vizelin in der Südsiedlung vor dem Eingang zur Burg, Blockhäuser neben dem Bohlenweg.


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Rekonstruktion von Vizelin in der Burg. Blick durch den Eingangsbereich. Auf den Bohlenweg folgt Steinpflasterung.


Grafik_34

Rekonstruktion von Vizelin in der Aussichtsposition auf dem Turm. Blick ins Burginnere mit Kirche und Flechtwerkhäusern. Im Vordergrund: Keramik Typ Vipperow.]





(Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)

Vizelins erste Bemühungen in Schleswig-Holstein fielen der Politik zum Opfer[340]. Erst ein Jahr später konnte er sich an der Grenze zum Slawenland niederlassen. Hier, am Stützpunkt Faldera, sollte er die Kirche übernehmen, weil die Bewohner des späteren Neumünsters um einen Pfarrer baten[341]. Er befand sich damit aber nicht, wie in Lübeck, im slawischen Kerngebiet, sondern erst im angrenzenden Land der Stormarn, Holsten und Dithmarschen[342]. Vizelin konnte jedoch von hier aus seine Tätigkeit schnell über die Grenze hinaus ausdehnen.

Zunächst gab es für ihn bei den hier Ansässigen genug zu tun, die „von der christlichen Religion nichts als den Namen hatten“, da es „bei ihnen noch heilige Haine und Quellen sowie mancherlei anderen abergläubigen Unfug“[343] gab. Vizelin musste also nicht nur bei den heidnischen Slawen, sondern auch bei eigentlich schon christianisierten Nordelbingern wiederbekehrend wirken. Das Ziel der Slawenmission verlor er dabei aber nie aus dem Auge, denn: „Vor allem aber waren sie um die Bekehrung der Slawen bemüht“[344].

Vizelin hatte bei den Holsten schnell Erfolg, da er mit seinen Predigten einen Nerv der Zeit traf, denn er predigte „die Herrlichkeit Gottes, die Freuden der zukünftigen Welt und die Auferstehung des Fleisches“[345]. Im Gegensatz zur heidnischen Religion konnte Vizelin beim Christentum eine jenseitige Welt für jedermann anbieten. Dem kam in der mittelalterlichen Vorstellungswelt eine große Bedeutung zu, denn die „zukünftige Welt“ war den Menschen genauso präsent, erschien ebenso real wie die Kirche vor der Tür oder die tägliche Arbeit[346]. Der Eintritt in die überirdische Welt konnte dabei schnell geschehen, sie war nicht strikt abgetrennt von der diesseitigen Welt. Der Übergang gestaltete sich fließend und beide Welten waren eng miteinander verschmolzen[347].

Beflügelt wurde dies natürlich auch durch den Umstand, dass der Tod im Mittelalter schneller und unverhoffter eintreten konnte, als dies heute der Normalfall ist. Der mittelalterliche Mensch hatte den Tod stets vor Augen, er war immer präsent und nichts, was man wie heute einfach verdrängen konnte[348].

Um für das Leben nach dem Tod nicht mit leeren Händen dazustehen (oder noch schlimmer: als Sünder), musste schon im Diesseits vorgesorgt werden. Daher „ist es kaum zu glauben, in welchen Scharen das Volk damals sein Heil in der Buße suchte; und (laut) erscholl das Wort von Vizelins Predigt im ganzen Lande der Nordelbinger.“[349].


[Exkurs 7: Das Jenseits bei Vizelin und seiner Umgebung. Beständigkeit und Weitergabe der Vorstellung von Himmel und Hölle und die Folgen                                                                                                                                     Einen guten Einblick in diese Jenseitsabhängigkeit/Vorstellung zeigen die Visionen, die gerade im Hochmittelalter Hochkonjunktur hatten und auch vor Vizelins Umgebung nicht haltmachten, wie die Jenseitswanderung des holsteinischen Bauern Gottschalk von 1189[350]. Er durchwanderte in seiner Vision das Paradies und schilderte das sehr exakt, wobei das himmlische Jerusalem als Vorbild diente (auch ein Anzeichen für den zu der Zeit weitverbreiteten Kreuzzugsgedanken, siehe Exkurs 5):

„Er sah etwas wie eine in einem flachen Feld gelegene Stadt von so unendlicher Länge und Breite, daß er ihr Ende, wiewohl er doch über viele Meilen hinblicken konnte, keineswegs auszumachen vermochte […]. Ihre Bürger spazierten entweder frohlockend in Herrlichkeit auf den Straßen oder ruhten fröhlich auf den Bänken in ihren Räumen und sangen ein Freudenlied […]. Wie aber jene Stadt selbst ohne Ende war, so war auch die Menge ihrer Einwohner zahllos“[351].

Auch wenn die „Vision“ des holsteinischen Bauern wahrscheinlich auf mehreren Predigten basierte[352], die sich dann im Traum/Vision verbanden[353], offenbart die Geschichte doch den Stellenwert, den das Jenseits in den Köpfen einnahm. Der Schwerpunkt dieser Vision liegt auf den paradiesischen Freuden. Der Bauer Gottschalk sparte aber auch die Sünder nicht aus, die in seiner Vision ihrer Bestrafung zugeführt wurden[354] (Visio Godeschalci; die Vision ist allgemein lesenswert, da zusätzlich heidnische Elemente verarbeitet werden, was zeigt, dass auch bei den Holsten die heidnischen heiligen Haine noch nicht ganz aus der Vorstellung und dem Glauben verschwunden waren[355]).

Paradies oder Hölle als Endziel des Lebens waren somit fest verankert in der Gedankenwelt des Hochmittelalters[356] und wurden durch das christliche Wort von einer Generation zur nächsten weitergegeben[357]. Die Vorstellung, dass nach dem Tod die Seele freigesetzt wird und dann eben den einen oder anderen Weg einschlägt, ist dabei bereits in der antiken Philosophie begründet und konnte im Mittelalter christlich umgedeutet werden. Hierbei wird der Körper der Seele untergeordnet[358]. Entscheidend ist, welcher Weg der Seele nach dem Ende des irdischen Lebens zugewiesen wird. Dabei war das Denken strikt dual, ein Mittelweg oder Kompromiss zwischen Gut und Böse bzw. Himmel und Hölle war undenkbar – ein Ausdruck des mittelalterlichen „Ganz oder gar nicht“- Denkens[359].

Festigend für die mittelalterliche Schwarz-Weiß-Sicht war dabei das Denken in Gegensätzen: Wenn es einen Gott gibt, so muss es auch seinen Widerpart, den Teufel und sein Reich, geben[360]. Da wo es Erwählte gibt, finden sich auch Verdammte[361]. Nur so lässt sich das mittelalterlichen Handeln überhaupt verstehen. Der Mensch befand sich ständig in Zugzwang, durch sein Handeln dafür zu sorgen, dass seine Seele nach dem Tod die richtige Richtung einschlug. Himmel und Hölle lagen dabei eng beieinander, das kleinste Fehlverhalten konnte verheerende Folgen im Jenseits haben. Dadurch lauerte die Höllenpein an jeder Ecke und der Teufel konnte sofort ins Leben treten.

Wie der Teufel konnte auch der Mensch umgekehrt sehr schnell aus dem Diesseits ins Jenseits hinübertreten, da der mittelalterliche Geist keine harte Grenze (wie wir heute) zwischen Leben und Tod kannte[362]. Die Grenze zum Unsichtbaren war fließend, nicht starr, und konnte in den Alltag hineinbrechen[363]. „Einströmungen aus einer real existierenden Überwelt“[364] waren möglich, die auf den Menschen und seine Umwelt eingriffen[365]. Dies konnte sogar gerichtet auf ein menschliches Objekt erfolgen[366]. Damit wurde das Jenseits zwar nicht sichtbar, aber ein unumstößlicher Fakt[367]. Zeugnis dafür legt der mittelalterliche Geist ab, der ja unablässig mit den Gedanken über den Seelenzustand nach dem Tod beschäftigt war[368] und wohin seine Seele denn gehen könnte. Unterstrichen und angefeuert wurde die reale Existenz des Jenseits durch Darstellungen wie die konkreten Beschreibungen von Himmel und Hölle in der Vision des Gottschalk[369]. Der Handlungsdruck, der auf den mittelalterlichen Menschen lastete, sich immer wieder richtig zu entscheiden, war enorm und endete erst mit dem Tod[370]. Denn die Verführung lauerte an jeder Ecke und die Abgesandten der Hölle warteten auf ihre Chance, eine weitere Seele für sich zu gewinnen[371].

Die Vermittlung der christlichen Weltanschauung geschah über die ständige Wiederholung von Kindheitstagen an[372]. Die Angst vor den Folgen irdischer Verfehlungen wurde damit schon in der Kinderseele angelegt, festigte sich im Erwachsenenalter und wurde dann wieder an die nächste Generation weitergegeben[373].

Dieses innerfamiliäre Erziehungsmuster wurde zusätzlich durch die in der mittelalterlichen Gesellschaft übliche Form der Wissensvermittlung verstärkt. Da es außer dem gehörten Wort für einen Großteil der Bevölkerung keinerlei Informationsquellen gab, kann erahnt werden, welche Wirkung das gesprochene Wort des unbelesenen Bauern in der sonst stillen Welt hatte[374]. In einer von Massenmedien durchfluteten Umgebung wie heute ist diese Wirkmacht kaum noch vorstellbar[375]. Da in Visionen häufig drohende und mahnende Inhalte übermittelt wurden und Gegendarstellungen fehlten, hatte ihre Verbreitung bei vielen Menschen zur Folge, dass sie ständig Angst hatten, versehentlich den Pfad der Verdammnis eingeschlagen zu können[376]: „Die Furcht vor der strafenden Gottheit, vor dem Teufel[…], vor allem aber vor dem Jüngsten Gericht und der Hölle war ein nicht hinwegzudenkender Zug im Gemütsleben des Volkes während des Mittelalters […]“[377]. Das Hochmittelalter steigerte dies regelrecht zur „Phobie“, die alle Gesellschaftsschichten erreichte[378]. Aber es gab eben auch Hoffnung[379], wie die Vision von Gottschalk aufzeigt. Meist tendierten die Menschen jedoch eher in Richtung Hoffnungslosigkeit, weil das mögliche Scheitern einfach zu übermächtig war[380]. Diese ständige Drohung[381] lastete auf dem mittelalterlichen Gewissen, und da Himmel und Hölle real existent waren, war Angst ein ständiger Lebensbegleiter[382]. Über allen anderen war der falsche Weg im Jenseits die „absolute Maximalstrafe“[383], die alles andere in den Schatten stellte. Dies erklärt, warum Vizelin und seine Mitstreiter so regen Zulauf zur Buße von den Holsten bekamen.]




(Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)

Nach Helmold waren die Siedlungen der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung des Gaus Faldera von unfruchtbaren Heideflächen umgeben. Ihr Overbode zu jener Zeit war Markrad (gestorben 1169)[384], der später in den Kämpfen mit den Slawen noch eine Rolle spielen sollte. In Faldera übte er wahrscheinlich das Amt eines Grenzkommandanten aus, der – mit militärischen Befugnissen ausgestattet – die Verteidigung gegen die Slawen leitete. Genauere Angaben über ihn finden sich bei Helmold nicht.

Vizelin wiederum kommt seinem Ziel immer näher, denn nun wird er „seiner Stellung gemäß würdig“[385] behandelt. Er wird Gründer des Chorherrenstifts in Neumünster/Faldera und legt damit den Grundstein für viele weitere Kloster-Gründungen in Schleswig-Holstein. Das Jahr 1127 gilt somit als Initialzündung der Regularkanoniker im Norden und das Augustiner-Chorherrenstift in Neumünster wurde somit ihr Zentrum, von dem aus sie ausschwärmen konnten, um gemäß der vita apostolica[386] (siehe oben) den Glauben aktiv im Slawenland zu verbreiten.

Vizelin setzte als Oberhaupt und konsequenter Verfechter des Ordo novus auch hier seine strengen Richtlinien durch[387]. Dazu Helmold: „Sie hielten sich ständig in der Kirche von Neumünster auf und waren unablässig mit Gebet und Fasten beschäftigt. Man kann wahrlich nicht genug beschreiben, durch welche Sittenstrenge, welche Mäßigung und welchen ganz vollendeten Wandel sich jene Gemeinschaft in Neumünster anfangs ausgezeichnet hat“[388].

Wie die leidenschaftliche Kampfbereitschaft der Ritter, die jederzeit abrufbar sein musste[389], wurde ihr Gegenstück, die Askese, genauso radikal und ohne Kompromisse gelebt (Mönche wurden auch deswegen im Durchschnitt nicht älter als 30 Jahre)[390]. Nicht zufällig wurden immer wieder Vergleiche zwischen der Struktur von Militär und Kirche gezogen und wissenschaftlich untersucht[391]. Interessant ist hierbei, dass zwei sehr gegensätzlich erscheinende Lebensweisen und Zielverfolgungsstrategien parallel akzeptiert wurden, ohne dass der mittelalterliche Mensch sich daran gestört hätte[392]. Diese Ambivalenz kann auch in anderen primitiven Kulturen beobachtet werden[393]. Die „Mäßigung“ des Vizelin traf auf die unbedingte Gewaltbereitschaft der Ritter – beide verfolgten dabei dasselbe missionarische Ziel –, was innerhalb der mittelalterlichen Logik toleriert wurde. Beide Strömungen gehörten zum Naturell[394]. 

Das Stift in Neumünster muss dann Vizelins Aufenthaltsort für jene Jahre gewesen sein, in denen er nicht in das Slawengebiet eindrang. Anscheinend waren die Aufgaben bei den ortsansässigen Nordelbingern schwieriger bzw. zeitaufwendiger, als erwartet, was die Wiederbekehrung und die Lossagung von „heiligen Hainen“ betraf. Trotz positiver Resonanz in der Bevölkerung und Vizelins unermüdlichem Arbeitseinsatz[395] ist ersichtlich, wie hartnäckig die Bevölkerung an alten überlieferten Sitten festgehalten hat. In Helmolds Schrift erscheint er jedenfalls erst wieder sieben Jahre später[396].

Vizelin muss sich in Neumünster in einer Beobachtungs- und Warteposition befunden haben, denn im Slawenland nebenan wütete der Erbfolgekrieg (1127-1129) der Söhne Heinrichs, wodurch Vizelin die Hände gebunden waren. Es kam zu mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen, bei denen unter anderem die slawische Festung Burg Plön belagert wurde. Während dieser Belagerung versuchte einer der Brüder – durch eine Ansprache von den Mauern der Burg Plön herab – das feindliche Heer zu besänftigen, erreichte aber nur ein kurzes Schweigen der Waffen[397] und wurde später anderenorts erschlagen[398].

 

[Exkurs 8: Die Burg Plön im Slawenland und der einzelne slawische Krieger

a.      Der heutige Standort/Auffindungssituation

Die Burg Plön oder die Olsborg ist heute eine unbewohnte Insel mitten im Plöner See, die nicht mehr den damaligen Ausmaßen entspricht. Schwankungen des Seespiegels veränderten die einstmals bewohnte Insel so stark[399], dass große Teile nicht mehr rekonstruiert werden können. Die bei Helmold erwähnte Befestigung wurde dadurch dem archäologischen Zugriff entzogen. Die slawische Besiedelung ist aber gesichert und auch die Ansprache als ehemalige Burg Plön gilt mittlerweile als bewiesen[400]. Die Olsborg heute:

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Karte und Lage der Insel Olsborg im Plöner See.


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Die Insel Olsborg am Punkt Rosenstraße/Schautafel Archäologisches Denkmal, Blick über den Plöner See.

 

 

b.     Die Brücke zur Burg Plune

Unterwasserarchäologische Untersuchungen konnten den slawentypischen Brückenbau am Seegrund nachweisen, der im Unterbau aus Pfahlbündeln bestand[401]. Die einzelnen Pfähle hatten einen Durchmesser von 6 - 20 cm, insgesamt wurde nach damaliger Größe des Sees eine Überbrückung von 120 - 130 m geschaffen[402]Foto_16

Rekonstruktionsvorschlag der Brücke zur Olsborg, alte Uferlinien und Brücke schematisch als Drahtgittermodell dargestellt, Blick über den Plöner See von der Rosenstraße am Standort der Schautafel „Archäologisches Denkmal“.

 

Vergleichbare Befunde von Holzkonstruktionen konnten an der polnischen Herrscherpfalz Ostrów Lednicki gemacht werden[403], wobei im Plöner See nur die Pfahlbündel nachgewiesen worden sind. Eine im See verlaufende Unterwasserrinne der Schwentine trug weite Teile der Brücke ab, sodass querverbindende Jochbalken nur durch den Vergleich rekonstruiert werden können. Hiernach bildeten längs und quer verlaufende Ösenbalken die Verbindungen der einzelnen Pfahlbündel untereinander. Dadurch wurde ein Untergestell für die Fahrbahn geschaffen[404]. Befunde auf deutschem Gebiet zeigten ebenfalls diese Konstruktionsweise. Dabei wurden Ösenbalken von 3,54 - 4 m Länge gefunden, wodurch Brückenbreiten von maximal 3,5 m ermittelt wurden (in ganz Mecklenburg-Vorpommern wurden 3 - 5 m nutzbare Brückenbreiten festgestellt). Die Erhaltungsbedingungen erlaubten hier eine Funktionszuweisung als Quer-/Längsverbindungselemente zum Einhaken in die Pfahlbündel. An Material wurde vorrangig Eiche verwendet; die gesamte Brückenkonstruktion kam ohne Nägel oder Verschnürungen aus[405]. Die Bauweise war im gesamten slawischen Gebiet in Polen, Schleswig-Holstein und Brandenburg ähnlich[406]. Modellhafte Nachbauten von Ostrów Lednicki zeigen die Bauphasen im Einzelnen und wurden hier als Grundlage verwendet. Es wurden dabei mehrere Rekonstruktionsversuche durchgeführt, wobei Versuche, die sich als fehlerhaft erwiesen, verworfen wurden[407]:

 

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Rekonstruktion der slawischen Brücke zur Olsborg.

 

c.      Die Kampfhandlungen auf der Brücke

Die bei Helmold erwähnten Kampfhandlungen an der Olsborg konnten ebenfalls an der Brücke aufgezeigt werden, da Funde wie Äxte und Lanzen entlang der Brücke[408] nur von kriegerischen Auseinandersetzungen stammen können. Die Olsborg war jedoch häufiger Schauplatz des Krieges, wodurch die Funde an der Brücke nicht genau einzelnen Kämpfen zugeordnet werden können[409]. Auch das Jahr 1139 käme infrage (siehe das Jahr 1139), als der Overbode Markrad die Olsborg einnahm und für das deutsche Gebiet sicherte. Für die Rekonstruktion ist das jedoch unerheblich, denn das slawische Militär hatte eine ähnliche Ausstattung wie das Militär westlicher Länder.

 

1.     Lanzen

Für den Nahkampf waren Lanzen in Gebrauch, wobei die 15 Lanzenfunde an der Brücke Längen von 15 - 53 cm aufwiesen und acht von ihnen damasziert waren[410]. Die Damaszierung zeigt, dass es Kontakt zum westlichen Gebiet und einen Austausch von Waffen gab, wobei nicht geklärt werden kann, wie der Austausch im Einzelnen – ob kriegerisch oder per Handel – aussah. Der gemeine slawische Krieger verfügte nicht über eine damaszierte Lanze, ihre Form entsprach aber einem recht einheitlichen Typus. Typologisch lässt sich ein Gewässerfund von der Olsborg mit Funden von der Starigard/Oldenburg vergleichen. Dort konnte der Fund dem 10. bis 13. Jahrhundert zugeordnet werden[411], was sich mit der Zeit Vizelins deckt. Auch bietet sich zusätzlich wieder der Vergleich mit der Fundstelle Ostrów Lednicki an, bei der ebenfalls Lanzenspitzen gefunden wurden[412]. Auch an der Brücke in Polen wurden Kämpfe nachgewiesen, die auf der Brücke stattfanden und zum Verlust einiger Waffen führten[413], darunter ebenfalls Lanzen und Äxte, aber auch ein Helm des nordischen Typs, gefertigt aus einem Stück Eisen[414]. Bei den Lanzen dort konnten erstaunliche Längen ermittelt werden (Schafterhaltung), die von 2,13 - 3,21 m reichten[415]. Gewässerfunde[416] und der Fundplatz Ostrów Lednicki belegen diese Lanzenform im 11. und 12. Jahrhundert:

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2.     Äxte

Zu den häufigen Funden im slawischen Gebiet gehören auch die fünf eisernen Äxte von der Brücke der Burg Plune. Hier wurde für die Rekonstruktion eine typische Axt des 12. Jahrhunderts gewählt, die vorwiegend im slawischen Gebiet vorkommt, die Bartaxt. Sie fand sich neben der Brücke zur Olsborg, in Ostrów Lednicki[417], in der Oldenburg[418] und häufig als einzelner Flussfund in Nordostdeutschland[419]. Ihr nach unten gezogener Bart mit horizontaler Abschneidung lässt nur die Deutung als Kampfaxt zu, deshalb wurde sie hier für die Rekonstruktion verwendet[420]. Zudem zählt sie zu den häufigen Funden des 11. und 12. Jahrhunderts und entsprechend dem spätslawischen Horizont Vizelins[421]:

 

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3.     Weitere Militaria

Berittene Truppen müssen ebenfalls auf der Olsborg stationiert gewesen sein, denn an der Brücke fanden sich u.a. eine Trense und zwei Hufeisen[422]. Außerdem wurden auch auf der Insel Reitutensilia nachgewiesen[423].

Selten, aber nicht unüblich, war das Tragen von Kettenhemden, was archäologische Funde belegen. Falls Kettenhemden nicht zur Verfügung standen oder zu kostspielig waren, musste auch im Kampf die normale Alltagskleidung herhalten.

 

 

d.     Der einzelne slawische Krieger

Wie vorherige Rekonstruktionen zeigen, muss bei der Körpergrößenrekonstruktion von der allgemeinen archäologischen/anthropologischen Forschung ausgegangen werden (vergl. Exkurs 1/Die Statur; Exkurs 3/Die Statur). Es zeigte sich, dass im Hochmittelalter noch frühgeschichtliche Verhältnisse vorherrschten. Die slawischen Männer erreichten, wie ihre germanischen Nachbarn, häufig Körperlängen von 170 bis 174 cm, wobei ein athletischer Körperbau nicht selten war. Dies lässt sich vor allem bei der Oberschicht beobachten[424]. Auch der slawische Krieger des 12. Jahrhunderts konnte bei normaler Ernährung bis zu diesen Größen heranwachsen[425]:

 

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Rekonstruktion eines Körpermodells für den slawischen Mann im 12. Jahrhundert.

 

 

e.     Die Standardkleidung des slawischen Mannes

Die Standardkleidung des slawischen Mannes lässt sich archäologisch schwer nachweisen, doch spricht einiges für ein leinenes Hemd, eine Hose und einem Kittel sowie lederne Schuhe[426]. Das Hemd umschloss ein Gürtel, der nach slawischem Brauch aber kein Statussymbol war und recht einfach ausgeführt sein konnte. Aus dem Norden wurde der einfache Gürtelring übernommen, durch den die Riemenzunge gezogen wurde[427]:

 

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Rekonstruktion des einfachen slawischen Kriegers: Helm nach normannischem Vorbild rekonstruiert[428], die Beine konnten umwickelt gewesen sein (basierend auf der Überlieferung im Sachsenspiegel).

 

f.       Zusammenfassende Rekonstruktion

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Rekonstruktion des einfachen slawischen Kriegers: Schild nach zeittypischer, gewölbter Form[429] rekonstruiert.

 

 

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Rekonstruktion der Brücke nach slawischer Bauart mit einfachem slawischen Krieger.]




(Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)

Der slawische Krieg endet erst 1129, als einer der Söhne Heinrichs in der Lütjenburg erschlagen wurde[430] (Lütjenburg in Wagrien, zu dem Zeitpunkt noch slawisch: siehe weiter unten im Zusammenhang mit den Neusiedlern, die Vizelin auch betreute, Exkurs 13). Ab diesem Zeitpunkt versuchte Vizelin, in das slawische Gebiet einzuwirken, indem er die alten Bündnisse mit Lübeck erneuerte und Priester dorthin aussandte. Dies wird jedoch zunächst durch einen slawischen Angriff unterbunden[431]. So berichtet Helmold im Gegenteil von einem erneuten Aufkommen der slawischen heidnischen Religion: „Und so erstarkte damals im ganzen Slawenlande wieder vielfältiger Götzendienst und abergläubige Irrlehre“[432]. Er nennt vor allem den Gott Prove der Oldenburger, Siwa, die Göttin der Polaben, und Radigast, der im Gebiet der Obodriten verehrt wurde. Diese hatten eigene Priester, die laut Helmold, zum Teil auch Menschenopfer praktizierten[433]. Innerhalb der Götterhierarchie war aber der Gott Swantevit, der Gott von Rügen, wohl der oberste im Götterhimmel, denn „er soll die treffendsten Orakel geben“, „die anderen achteten sie, mit ihm verglichen, nur wie Halbgötter“[434].  


[Exkurs 9: Der slawische Gott Swantevit/Svantovit

Die Macht des Gottes Swantevit gründete sich vor allem darauf, dass er zugleich Kriegs- und Wirtschaftsgott war. Der für ihn zuständige Priester weissagte aus dem mit Wein gefüllten Horn die nächste Ernte. Rituale zu seinen Ehren sollten den Ausgang einer Schlacht prophezeien. Zu seinen Attributen zählten deswegen u.a. das Horn, ein Schwert und weitere Kriegsutensilien bis hin zu einem Pferd, das nur vom Gott und dem zuständigen Priester geritten werden durfte. Für die Rekonstruktion des Aussehens können schriftliche Überlieferungen und archäologische Funde zurate gezogen werden. Aufschlussreich ist die Überlieferung des Saxo Grammaticus (14, 39, 2), der beschreibt, dass die Statue in einem durch vier Säulen und mit Vorhängen abgetrennten Bereich eines überdachten Holzbaus stand. Das Abbild Swantevits hatte vier Köpfe, Haare und Bart. Die rechte Hand hielt ein Trinkhorn, die linke war in die Hüfte gestemmt. Die Tunika reichte bis zu den Schienbeinen und die Beine waren in die Erde eingelassen[435]. Schwierig ist es, ein einheitliches Bild des Gottes zu erhalten, da sich alle Abbildungen zum Teil stark von der Beschreibung des Saxo Grammaticus unterscheiden. Die archäologischen Funde erbrachten jedoch mehrköpfige Figuren unterschiedlicher Größe mit und ohne Bart und mit Trinkhörnern in der Hand. Eine genaue Zuordnung als Swantevit ist jedoch nie gegeben, daher soll die allgemeine Beschreibung des Gottes und seiner Attribute bei Saxo Grammaticus als Grundlage dienen[436].

Basierend auf Saxos Beschreibungen und den archäologischen Befunden wurden bereits Rekonstruktionsversuche unternommen[437]. Demnach stand die Swantevit-Skulptur innerhalb eines hölzernen Tempels, der nach dem Vorbild von Groß Raden rekonstruiert wurde[438]. Hier wird nur die Innengestaltung übernommen, bei der die Skulptur im Raum zusätzlich von vier Masten umgrenzt wurde (siehe oben). Es wurde dadurch ein abgetrennter Bereich im Innenraum des Tempels geschaffen, der nur der Skulptur vorbehalten war[439]. Da sämtliche Spuren des Tempels auf Rügen vernichtet wurden (er ist vor Jahrhunderten ins Meer gestürzt[440]), wird nur dieser separate Bereich der Skulptur rekonstruiert:

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Rekonstruktionsvorschlag für den slawischen Gott Swantevit. Holzstatue innerhalb eines abgetrennten Bereichs im Tempel. Rekonstruktion nach Saxo Grammaticus und archäologischen Funden/Attributen.]




(Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)

Erst im Jahre 1134, nachdem er sieben Jahre in Neumünster verbracht hatte, wurde Vizelin wieder aktiv und ging zum Kaiser in Bardowick, um für die Slawenmission zu werben. Dabei legte er dem Kaiser „ans Herz, er möge nach der ihm vom Himmel verliehenen Macht auf ein Mittel zum Heile des Slawenvolkes sinnen.“[441]. Deutlich wird hier wieder die mittelalterliche Denkweise, dass es sich bei einem Kreuzzug um eine Befreiung handelt, bei der das heidnische Volk geheilt werden soll (siehe Exkurs 5): andere Religionen verbreiten Unwahrheiten und zeigen sich die Slawen nicht willig zur Bekehrung, dürfen sie auch dazu gezwungen werden[442].

Vizelin schlug ihm vor, zu diesem Zweck eine Festung auf einem Berg in Wagrien zu bauen. Das war kein neuer Gedanke, denn schon vorher hatte man versucht, hier eine Festung zu bauen, wozu es jedoch nie gekommen war. Nach einer Geländeinspektion ging der Kaiser auf den Vorschlag Vizelins ein und befahl den Bau[443]. Hierzu wurden sowohl Nordelbinger als auch Slawen verpflichtet, was weiter Zwietracht zwischen beiden Gruppen säte. Helmold gibt die Geschichte so wieder:

„Darum sagte ein Fürst der Slawen zu einem anderen: ‚Siehst du diesen festen, hochragenden Bau? Laß dir vorhersagen, das wird ein Joch für das ganze Land! Von hier werden sie ausrücken, erst Plön brechen [Exkurs 8], dann Oldenburg [Exkurs 11] und Lübeck [Exkurs 6].‘ Jener antwortete: ‚Wer hat uns dieses Unglück denn bereitet und dem König diesen Berg preisgegeben?‘ Darauf der Fürst: ‚Siehst du den kleinen Kahlkopf dort beim König? Der hat dieses ganze Unglück über uns gebracht!‘“[444]

Die slawischen Fürsten hatten recht und Vizelin (der Kahlkopf) wusste genau, was er da anzettelte, war es doch aber in seinen Augen die Heilsbringung für und nicht der Kampf gegen die Slawen[445]. Die slawischen Fürsten sahen das verständlicherweise anders, was den Konflikt weiter anheizte. Denn nun war Vizelin auf slawischem Gebiet angekommen, wo er nicht nur den Bau der Festung weiter überwachen sollte, sondern zusätzlich „die Gründung einer neuen Kirche am Fuße des Berges“, deren Verwalter er auf kaiserlichen Befehl wurde und für deren Unterhalt er „sechs oder mehr Ortschaften“[446] erhielt. Diesen Affront wollten sich die Slawen nicht gefallen lassen, sodass ihre Reaktion darauf auch bald folgte.

Zunächst hatte Vizelin zwei Jahre Zeit, um das zweite Augustiner-Chorherrenstift nach Neumünster weiter auszubauen und auf den Felsen den Bau der Burg Segeberg zu betreuen. Die Zeit reichte jedoch nicht, denn schnell änderten sich die politischen Rahmenbedingungen wieder. Begünstigt durch den Tod des Kaisers konnten die Slawen bereits 1138 zurückschlagen. Im Sommer dieses Jahres zerstörten sie den „Burgflecken Segeberg und alle umliegenden Orte, wo Sachsen wohnten“. Auch das „neue Bethaus und der eben errichtete Klosterbau gingen in Flammen auf, der ganz unschuldige Klosterbruder Volker wurde von einem Schwertstoß durchbohrt“, wodurch Vizelins Werk in Segeberg vorerst wieder aufgegeben werden musste. Alle Klosterbrüder flohen zurück nach Neumünster[447].

Vizelin erkannte sein Scheitern und wurde „von großer Trauer niedergedrückt“[448], weil seine Bemühungen in Segeberg nur von so kurzer Dauer waren. Das zweite Augustiner-Chorherrenstift war wenige Jahre nach seiner Gründung bereits wieder Geschichte und Vizelin saß in Neumünster fest. Den Brüdern blieb nichts anderes übrig, als weiter in Neumünster nach dem strengen Ordo novus zu leben und auf eine weitere Chance zu warten.

Bis dahin konnten die Brüder für die ansässige Bevölkerung da sein und betrieben so etwa ihr Hospitalwesen weiter[449]. Bei der Kranken- und Armenbetreuung im Mittelalter stand neben dem körperlichen auch der geistige Zustand im Fokus,[450] die Seelsorge (ganz wörtlich zu nehmen als Versorgung der Seele)[451].

In Verbindung mit einer tiefen Religiosität, die alles durchdrang, hieß dies den Teufel zu erkennen und zu bekämpfen, wenn ein Krankheitsbild Rückschlüsse auf die Anwesenheit dämonischer Kräfte zuließ[452]. Helmold erwähnte daher die „Besessenen“ als Kranke in Neumünster: „Voll war das Haus von Besessenen, die weither herbeigebracht wurden, so daß die Brüder keine Ruhe mehr fanden: (aus ihnen) schrien (Dämonen), daß die Gegenwart der heiligen Männer ihre Feuer entfache.“[453]



[Exkurs 10: Besessene im Mittelalter und bei Vizelin[454]

Eine Art praktische, d.h. auf körperliche Symptome eingehende medizinische Behandlung wird bei Helmold mit keinem Wort erwähnt bzw. genauer beschrieben[455]. Somit können wir über den alltäglichen Betrieb des Hospitals nichts sagen. Die häufige Diagnose „Besessenheit“ ist aber durch Überlieferung bestätigt[456] und die „Besessenen“ fanden wohl Aufnahme im Hospital. Gerade zu Zeiten Vizelins zeugt auch die Kunst (Romanik) von der Furcht vor dem Teufel[457] und dem häufigen Auftreten dieser Besessenheit.

Die heutige Forschung verfolgt bei der Untersuchung der mittelalterlichen Besessenheit zwei Wege:

a.)   Einen psychiatrischen/neurologischen Ansatz, der den Vergleich mit heutigen, recht schweren Krankheitsbildern sucht. Hierbei sind medizinisch kausal bestimmbare Krankheiten und psychiatrische Krankheitsbilder zusammengefasst, die vermehrt auf die Symptome eingehen.

b.)  Einen psychologischen Ansatz mit weniger klar fassbarem Krankheitsbild. Da diese Krankheiten heute sehr selten sind, können Vergleiche nicht immer unter einem Namen subsumiert werden.

Für beide Ansätze fehlt der letzte Beweis, weil heutzutage keine Studien in dieser Richtung mehr vorgenommen werden bzw. nicht mit den mittelalterlichen Verhältnissen verglichen werden können. Trotzdem muss wiederholt werden, dass der mittelalterliche Mensch grundsätzlich die gleichen mentalen Voraussetzungen mitbrachte wie der heutige Mensch[458]. Deswegen wird wieder versucht, mittelalterähnliche Verhältnisse aus den letzten 150 Jahren auch aus entfernten Regionen/Gesellschaften zum Verständnis der damaligen Verhältnisse heranzuziehen. Diese Studien sind aber schon sehr alt und begrifflich mit dem heutigen Stand der Psychologie nicht deckungsgleich. Eine Grundtendenz, auch ohne einheitliche Terminologie, ist aber erkennbar. Dass es dabei vom Bauern Gottschalk mit seinen Visionen (siehe Exkurs 7) zum Besessenen nur ein kleiner Schritt ist, zeigen hierbei speziell Untersuchungen, die zwar nicht mehr im Mittelalter stattfanden, aber noch aus einer Phase stammen, in der noch ähnliche Lebensbedingungen herrschten, wie zu Zeiten Vizelins[459].

Die Symptome verraten dabei, wozu der menschliche Geist in der Lage ist. Die Fallbeschreibungen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert ähneln sich dabei stark. Alle unten aufgelisteten Erscheinungsformen tauchten durch die Zeiten und länderübergreifend auf, im christlichen Europa und in nichtchristlichen Gebieten, wie z.B. Asien oder Afrika, im Mittelalter tatsächlich auch als Massenphänomen beschrieben:

1.     Veränderung der Stimme. Frauen konnten dabei tiefe Männerstimmen annehmen und umgekehrt, bis zum Schreien, oder auch Tierstimmen.

2.     Gewaltausbrüche mit gesteigerter Körperkraft, wobei sogar schwache Personen schwer zu bändigen waren, Zorn.

3.     Körperliche Anfälle mit unüblichen Verrenkungen, die physiologisch normalerweise nur schwer oder gar nicht ausführbar sein können.

4.     Organismus wird von fremder Persönlichkeit beherrscht, diese spricht aus der Person; auch können Tiere in den Besessenen einfahren.

Dabei können die Symptome epidemisch sein (nicht nur als Massenphänomen gemeint, sondern als infektiöse Ausbreitung von einem Herd aus) und immer haben sie Zwangscharakter[460].

Nur oder überwiegend im Christentum vorhanden:

1.     Bezeichnung der fremden Persönlichkeit als Teufel, Abgesandter des Teufels oder Dämon, z.B. Leviathan. In nichteuropäischen Ländern spricht man vermehrt vom bösen Geist oder lokalen Gottheiten/Dämonen, außer die Gesellschaft hat Kontakt zu Missionaren; auch kommt hier die Besessenheit von Tieren häufiger vor, d.h. ein Tier ist in die Person eingedrungen. Der Teufel der Christenheit kann dabei in die Person gefahren sein oder vom Besessenen im Raum gesehen werden. Dies ist ab dem 18. und 19. Jahrhundert rückläufig bzw. es veränderte sich hin zu einer Besessenheit von bereits verstorbenen Personen, die in die Besessenen eingedrungen sind.

2.     Abneigung/Verspottung der Religion oder der religiösen Riten[461]. Hierbei liefert das Christentum zahlreiche Angriffspunkte, da es viele Riten und Symbole nutzt, wie Gottesdienst, Kreuz, Hostie etc. Möglicherweise zeigt sich hier auch eine Form der Angstbewältigung, da das Böse immer Angst vor den Heiligen hat[462], diese also Schutz bieten können.

Zu a.)

Bei den Besessenen könnte es sich um Krankheitsbilder gehandelt haben, die wir heute zwar theoretisch genauer differenzieren könnten, dazu sind Helmolds Beschreibungen jedoch nicht detailliert genug. Infrage kommt etwa die Epilepsie, die in der mittelalterlichen Vorstellungswelt immer eine Teufelspräsenz anzeigte[463] und bei der es auch zu religiösem Wahn und Geistererscheinungen bei den Betroffenen kommen konnte. Man begegnete dieser Krankheit mit allen möglichen Ritualen christlichen Inhalts (Wallfahrten, Heiligenverehrung, Amulette etc.) und auch u.a. mit Exorzismen[464].

Auch psychische Erkrankungen, wie z.B. die Schizophrenie[465], passen in das Erscheinungsbild der Besessenen und wurden ebenfalls mit Exorzismus behandelt. Allen gleich war der Glaube daran, Dämonen oder Teufel hätten sich in den Körper geschlichen, eine Vorstellung, die seit den Kirchenvätern durch alle Schichten hindurch fest im Christentum verankert war. Bekämpft werden konnte die Besessenheit nur von Priestern[466]. Hildegard von Bingen schildert den Teufel, der ihr im Traum erschien, so: „Ein Tier mit scheußlichem Haupt, kohlschwarz, mit glühenden Augen, Eselsohren und weitaufgesperrtem Rachen voller Eisenfänge“[467].

Auch Vizelin selbst nahm Exorzismen vor, wobei er regelrechte Dialoge mit den Dämonen führte (als Teil der Austreibung, Helmold schildert einen Fall, in dem Vizelin auf einen Teufel, eingefahren in ein Mädchen, einredet[468]). Dies gehörte im Mittelalter zur tagtäglichen Arbeit des Priesters[469].

Der Teufel war in mittelalterlichen Augen zwar real existent (siehe die Beschreibung der Hildegard von Bingen oben sowie die Jenseitsvorstellungen, Exkurs 7) [470], zeigte sich jedoch nicht in seinem eigenen Körper, sondern trat in Dingen oder Menschen in Erscheinung[471]. Wenn bei einer Person diese in der Gesellschaft fest verankerte Überzeugung auf eine schwere psychische Erkrankung trifft, wie Epilepsie oder Schizophrenie, sind die bei Besessenheit geschilderten Symptome gut vorstellbar.

Bei dieser Interpretationsweise bleiben jedoch Fragen offen. Wieso war Besessenheit ein Massenphänomen[472] und warum zeigen diese Krankheiten fast zwangsläufig christlich geprägte Symptome? Unwahrscheinlich ist, dass im Mittelalter Epilepsie und Schizophrenie zufällig in hoher Zahl auftraten und dann auch fast ausschließlich mit dem Symptom der Besessenheit vom Teufel oder von Dämonen. Auch die in jenen Zeiten fast dauerhaft herrschende Unterernährung (verursacht durch Krieg)[473] reicht als Erklärung nicht aus, da sonst in anderen Kriegs- oder Krisenzeiten außerhalb des Mittelalters auch vermehrt Besessenheitsphänome aufgetreten wären[474]. Die Krankheitsberichte offenbaren Menschen mit gewaltigen Körperkräften, veränderter Sprache, Zuckungen und Verrenkungen des Körpers etc., alles Symptome, die heutzutage ebenfalls im Umfeld von Sekten zu beobachten sind, bei denen religiöse Verzückung künstlich hervorgerufen werden kann[475]. Dies führt zum nächsten und wahrscheinlicheren Punkt b.).    

Zu b.):

Vorteil der Untersuchungen aus dem 19. Jahrhundert[476] ist, dass zu jenem Zeitpunkt, wie im Mittelalter, noch eine stark christliche Prägung vorherrschte. Den Besessenen und den Exorzisten war ein unbedingter Glauben an die Existenz der Erkrankung und die teuflische Anwesenheit gemein. Ohne diesen Glauben wäre Besessenheit nicht denkbar, er musste tief in der Gesellschaft verankert sein[477]. Der konzentrierte Blick darauf suchte regelrecht nach Besessenen und verstärkte das Phänomen.

Dazu Burchard von Worms (um 965 bis 1025): „Eine unglaubliche Anzahl von Menschen läßt sich nämlich von ihrem Lug und Trug verführen und hält all das für wahr. […] Doch in Wirklichkeit trete der Teufel immerzu in anderer Gestalt und Verkleidung auf und täusche so ein ihm verfallenes schwaches Gemüt mit mancherlei Bildern“[478].

Die Diagnose wurde meist schnell gestellt. Der Exorzist war dann genauso gefährdet wie die besessene Person, da eine infektiöse Übertragung für möglich gehalten wurde (das war jedoch nicht zwangsläufig gegeben, Vizelin exorzierte völlig ohne Ansteckung). Dadurch konnte sich die „Krankheit“ ausbreiten, Besessenheit konnte von einer Person auf eine andere übergehen und sich bei beiden Infizierten wechselwirkend verstärken. Aber auch an die Heilung, d.h. an den Exorzismus und seine Wirkung, wurde fest geglaubt. Es fand somit eine Selbstbeeinflussung[479] statt, Heilung war durch den schieren Glauben daran möglich, der durch das Umfeld verstärkt wurde[480].

Dabei bediente sich der Mensch jener Realität, die er kannte, um den Konflikt darstellen zu können. Das im Alltag Erlebte und Gehörte wurde verarbeitet[481]. Dazu gehörte im Mittelalter auch das reale Jenseits. Diese Art von Geisterglauben lässt sich bei vielen, auch postmittelalterlichen primitiven Gesellschaften finden. Das Phänomen Besessenheit kann aus dem menschlichen Geist „hervorgeholt“ werden, ohne dass dafür eine tatsächliche Krankheit zugrunde liegen muss[482]. Dafür braucht es nur die Annahme der Existenz einer Zwischenwelt mit Geistern, die in die irdische Welt eingreifen können (überlappend zur Jenseitsvorstellung, die genauso real war, siehe Exkurs 7)[483].                                      

 

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

 

Bevorzugt fiel Besessenheit vor allem dort auf fruchtbaren Boden, wo starre soziale Strukturen und/oder Unterdrückung vorherrschten wie bei Sklavenhaltergesellschaften. Besessenheit wurde auch deswegen häufiger bei Frauen beobachten[484], weil sie im Mittelalter als minderwertig angesehen wurden, basierend unter anderem auf der christlichen Vorstellung, Eva sei aus Adams Rippe geschaffen worden. Der mittelalterliche Gesellschaftsaufbau gab dabei der Oberschicht sämtliche Vorrechte: Mit den unteren Schichten konnten sie schalten und walten, wie es ihnen beliebte. Um diesen Zustand zu erhalten, konnte man sich jederzeit der Kirchenlehre bedienen[485], der einzigen Lehre, die auch zum Stand der Bauern durchdrang. Die Bildung – oder vielmehr, deren Fehlen – ist demnach auch eine Bedingung für die Verankerung von Besessenheitsglauben. Besessenheit trat vor allem bei ungebildeten Schichten auf.

Bedeutend ist jedoch vor allem der mittelalterliche, kindliche Geist, der noch stark beinflussbar war[486]. Kindlicher Geist soll hier nicht als „zurückgeblieben“ verstanden werden, sondern eher als fern der Aufklärung, ein Geist, der das Gegebene nicht infrage stellt, Menschen ohne „geistige Selbständigkeit“[487].

Verstärkende Faktoren sind somit die Unterdrückung, die im Mittelalter zum Himmel schrie und sich manchmal auch gewaltsam entlud[488], und der kindliche Geist, der schnell und gern glaubte[489]. Besessenheitsausbrüche können somit als Antwort auf gesellschaftliche Verhältnisse verstanden werden, gepaart zum einen mit psychologischen Konstitutionen, für die man keine Erklärung hatte, und zum anderen mit unerlaubten Bedürfnissen[490].

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

 

Dass es sich eher um leichte psychische Störungen gehandelt haben wird, zeigen die mittelalterlichen Beispiele, in denen Besessenheit z.B. durch Erbrechen ausgetrieben wurde[491]. Das spricht sehr dafür, dass sich der oder die Betroffene zwar in einer psychischen Notlage befunden hatte, eine Epilepsie oder Schizophrenie hätte man aber nicht auf diese Art heilen können. Psychisches Handwerkzeug zur Konfliktbewältigung lag den Menschen nicht vor, d.h. ein innerer Konflikt wurde als solcher meist erst gar nicht erkannt und man ging immer schnell davon aus, dass eine Kraft von außen im Spiel sein musste[492], die nur mithilfe von Priestern wie Vizelin vertrieben werden konnte.

Die Geschichte der Psychologie zeigt, dass die Grundlagen für die Besessenheit bis heute existieren, doch konnte sie sich im Mittelalter ungehemmt ausbreiten[493] (heutige Diagnosen würden auf Zwangs- oder Persönlichkeitsstörungen lauten[494], wobei sie deutlich seltener auftreten und extrem selten etwas mit Teufelsvorstellungen zu tun haben). Sie bauen auf älteren Forschungen auf, die bei den zwangskranken Patientinnen und Patienten noch die „Allmacht der Gedanken“[495] erkannte. Aber auch die Forschungen des frühen 20. Jahrhunderts stellten noch abergläubische Zwangshandlungen bei den Betroffenen fest, die „magischer Natur“[496] waren. Da kommt wieder der Mensch vor der Aufklärung zum Vorschein, der nicht von einem inneren psychischen Aufbau (Es, Ich, Über-Ich) ausgeht bzw. dort nur Gotteswerk sieht. Psychologische Selbsterkenntnis oder ein Verständnis für psychische Ungleichgewichtszustände war im Mittelalter nicht vorhanden[497].

Die Folge waren, laut Jung, „psychische Abnormitäten, Besessenheitszustände in allen Graden von gewöhnlichen Launen und ‚Ideen‘ bis zur Psychose. Alle diese Zustände sind gekennzeichnet durch ein und dieselbe Tatsache, nämlich daß ein unbekanntes Etwas von einem kleineren oder größeren Teil der Psyche Besitz ergriffen hat, seine widerwärtige und schädliche Existenz gegen alle Einsicht, alle Vernunft und alle Energie ungestört behauptet […], also Besessenheit schlechthin“[498].

Um einen Begriff für diese psychische Störung zu finden, bei der etwas Unbekanntes die Psyche ergreift, ist wohl der der „Neurose“ der treffendste, da sie durch Verdrängung verursacht werden kann und als Ersatz für ein legitimes Leiden herhalten muss[499]. Im Gegensatz zur Psychose kann dabei die Realität wiederhergestellt werden[500]. Diese Verdrängung[501] tritt aus dem Unterbewusstsein ans Tageslicht, wenn das Ich nicht mehr stark genug ist, sie aufrechtzuerhalten[502]. Die Urquelle des Ausbruchs ist somit das Unbewusste, das sich zu Wort meldet, wenn „die unbewussten Inhalte nicht realisiert werden“[503] (Teil der heutigen Psychotherapie ist daher die Bewusstmachung des Verdrängten[504]). Genauer ist damit das Zusammenspiel von Ich, Über-Ich und Es (Unbewussten) soweit gestört, dass das ausgeglichene Ich oder der vormals geistig gesunde Mensch zusammenbricht[505]. Das bewusste Ich kann das Verdrängte dabei nicht packen und analysieren, es ist dem Bewusstsein durch eine unbewusste Abwehrmaßnahme entzogen[506]. Irgendwann drängt dann das innere Etwas nach außen[507], unterstützt durch das Schuldbewusstsein (im Mittelalter und Christentum häufig Gewissensbisse[508]), das nach Selbstbestrafung sucht.

Dazu Martin Luther über sich selbst: „ […] und das schlimmste dieser Übel ist, daß das Gewissen sich nicht selbst entfliehen kann, sondern sich selbst stets gegenwärtig ist und die Schrecknisse aller Kreatur kennt. […] Das dritte und größte Schrecknis und das allerschlimmste Übel überhaupt ist es, einen Richter zu haben.“ Weiter: „Denn es ist die Natur eines schuldigen Gewissens, selbst dann zu fliehen und sich zu ängstigen, wenn alles sicher ist und blüht, und alles in Gefahr und Tod zu verwandeln“[509].

Hauptgrund der Besessenheit ist somit eine „Verinnerlichung und Autonomie des Über-Ichs“ (das Es, als Trieb bzw. nichtgewünschter Teil, kann ebenso stark auf das Ich wirken bzw. lässt sich nicht vom Über-Ich trennen)[510]. Diese Selbstanschuldigungen können bis zu somatischen Erkrankungen führen[511]. Das Ich kann sich nicht mehr dagegen stemmen, die Realität wird „gestört oder selbst aufgehoben“[512]. Es wird aufgrund von „einander widerstrebenden Strebungen, unerledigten Konflikten, ungelösten Zweifeln zerrissen“[513].

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

- mittelalterlicher Geist kennt das psychologische Modell des Es, Ich und Über-Ich nicht, nur Gotteswerk

- innerhalb dieses Modells kann die Verdrängung fehllaufen, d.h. ein Etwas (das Verdrängte) bricht durch

- das Etwas ergreift Besitz, Folge ist eine Art der Neurose

- innerhalb der Neurose: Mensch kann nichts dagegen tun, sich nicht dagegen stemmen, das Ich wird gestört bis hin zur Zerrissenheit, die Realität wird gestört, der Mensch will sich selbst schaden

- Hauptfaktoren für die Entstehung der Neurose: Das Über-Ich bzw. das Gewissen/der innere Richter (sehr bedeutsam für das Mittelalter) und der Trieb, das Ich kann nicht mehr vermitteln

 

In der Neurose kommt es dann zur Spaltung des Bewusstseins (Ich) oder Dissoziation: „Die Besessenen bestrafen sich scheinbar nicht mehr selbst, dies übernehmen jetzt verinnerlichte Über-Ich-Anteile“[514]. Die Psyche zieht in der Abspaltung quasi eine Art Notbremse. Der Druck des Über-Ichs wird zu groß, „sie inszenierten einen inneren Konflikt als öffentlichen Kampf mit dem Teufel, um das Über-Ich zu beschwichtigen und das Ich zu entlasten“[515]. Dabei sind es innere Widersprüche und Ambivalenzen, die die Spaltung hervorrufen bzw. es ist ein Abwehrvorgang, „den der Erwachsene einsetzt, um mit seinen Entwicklungsstörungen umzugehen – zum Beispiel mit der Unfähigkeit, Widersprüche in sich selbst und in anderen zu ertragen“[516]. Das alles geschieht gegen den Willen des Menschen und er/sie kann nicht bewusst gegensteuern[517]. „Sie können den Teufel nicht mehr selbst austreiben, dieser hat teilweise Kontrolle über sie gewonnen.“[518]

Die Dissoziation kann somit spontan und zwanghaft ausbrechen[519]. Dabei ist eine regelrechte Abspaltung zu beobachten, bei der in einem Körper zwei Personen nebeneinander zu existieren scheinen. Der Patient oder die Patientin nimmt sich selbst zweifach wahr[520], was ebenso bei geschilderten Fällen der Besessenheit häufig auftritt (siehe Symptome oben[521]). Somit ist die Ich-Spaltung, als „allgemeiner Charakter der Neurosen“[522] die Folge dieser Erkrankung, die früher Besessenheit hieß. Nun kommt es darauf an, ob der Weg zurück in die Realität gefunden wird oder nicht, worin Neurose und Psychose unterschieden werden[523].

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

- mittelalterlicher Geist kennt das psychologische Modell des Es, Ich und Über-Ich nicht, nur Gotteswerk

- innerhalb dieses Modells kann die Verdrängung fehllaufen, d.h. ein Etwas (das Verdrängte) bricht durch

- das Etwas ergreift Besitz, Folge ist eine Art der Neurose

- innerhalb der Neurose: Mensch kann nichts dagegen tun, sich nicht dagegen stemmen, das Ich wird gestört bis hin zur Zerrissenheit, die Realität wird gestört, der Mensch will sich selbst schaden

- Hauptfaktoren für die Entstehung der Neurose: Das Über-Ich bzw. das Gewissen/der innere Richter (sehr bedeutsam für das Mittelalter) und der Trieb, das Ich kann nicht mehr vermitteln

- das Ich soll entlastet werden, Widersprüche werden zu groß

- es kommt zur Spaltung: zwei Personen befinden sich im gleichen Körper

- durch den unbedingten Glauben (siehe Tab. oben): eine der Personen ist nach christlichem Verständnis Teufel oder Dämon

 

Um die Neurosen noch etwas einzugrenzen, muss eine Eigenart erwähnt werden, bei der der Trieb zur Zerstörung[524] sich gegen die Person selbst richtet. Es wird zwar selten der Weg der Selbsttötung gegangen, doch treffen die aggressiven Entladungen immer das Ich (siehe Symptome oben wie unnatürliche Verrenkungen etc.)[525]. Dies sind Zwangsneurosen[526], die im Falle des Mittelalters umso verständlicher sind, da das Schuldbewusstsein (siehe oben) besonders stark ausgeprägt war[527]. Dass dieses Schuldbewusstsein unbewusst ist, wurde oben bereits beschrieben[528], kann aber nicht genug betont werden. Die Besessenen hatten auf diesen Bereich ihres Selbst keinen Zugriff bzw. wussten nicht einmal, dass es ihn gab.

Ein berühmtes, aber späteres Opfer des Zwangs mit seinen Begleiterscheinungen soll hier noch genannt werden: Martin Luther. Anfänglich befand sich dieser noch im inneren Kampf mit dem Teufel, was Anfälle von Bewusstlosigkeit und Krämpfe (siehe Symptome oben) zur Folge hatte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch die Denkweise des durchschnittlichen, mittelalterlichen Menschen, da er „weder ein legitimes Angriffsobjekt noch eine rechtmäßige Waffe“[529] für den Kampf gefunden hatte. Ihm fehlten alternative Denkmodelle. Da Luther aber kein normaler, mittelalterlicher Geist war, halfen ihm später sein Bildungsgrad, seine Intelligenz und seine Beschäftigung mit sich selbst, den Zwang zu überwinden[530] (trotzdem aber auf der Grundlage eines mittelalterlichen Glaubensgebäudes).

Eine solche Selbstreflexion kannte man im Hochmittelalter noch nicht. Der mittelalterlichen Durchschnittsbürger erreichte nie diesen Bildungsgrad, Luther war demnach kein „normaler“ Neurotiker.

Neurotiker und Neurotikerinnen zeigen keine krankhaften Anomalitäten. Sie haben keine körperliche krankhafte Disposition[531]. Dies erklärt das massenhafte Auftreten der Besessenheit im Mittelalter, da die körperlichen Voraussetzungen der Menschen damals mit heute vergleichbar waren. Auch sind die Symptome, wie das Eindringen einer anderen Persönlichkeit in den Körper (siehe Symptome oben), deckungsgleich mit der Neurose, nur in deutlich gesteigerter Form. Dies ist natürlich wieder der geistigen Prädisposition des Mittelalters geschuldet, wo nur der Teufel so etwas bewirken kann. Der mittelalterliche Priester bestärkte den Besessenen in diesem Glauben noch.

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

- mittelalterlicher Geist kennt das psychologische Modell des Es, Ich und Über-Ich nicht, nur Gotteswerk

- innerhalb dieses Modells kann die Verdrängung fehllaufen, d.h. ein Etwas (das Verdrängte) bricht durch

- das Etwas ergreift Besitz, Folge ist eine Art der Neurose

- innerhalb der Neurose: Mensch kann nichts dagegen tun, sich nicht dagegen stemmen, das Ich wird gestört bis hin zur Zerrissenheit, die Realität wird gestört, der Mensch will sich selbst schaden

- Hauptfaktoren für die Entstehung der Neurose: Das Über-Ich bzw. das Gewissen/der innere Richter (sehr bedeutsam für das Mittelalter) und der Trieb, das Ich kann nicht mehr vermitteln

- das Ich soll entlastet werden, Widersprüche werden zu groß

- es kommt zur Spaltung: zwei Personen befinden sich im gleichen Körper

- durch den unbedingten Glauben (siehe Tab. oben): eine der Personen ist nach christlichem Verständnis Teufel oder Dämon

- Eingrenzung der Neurose:

Möglichkeit A = Zwangsneurose mit einem erheblichen Anteil an Aggression, vor allem gegen sich selbst (siehe Tab. oben)

   

Besonders ausgeprägt sind die unbewussten Schuldgefühle auch noch bei der Hysterie[532]. Die Hysterie bietet somit einen weiteren Vergleich zur Neurose/Besessenheit. Es wird sogar vom gleichen Kern der Erkrankungen ausgegangen. Die französische Wissenschaft titulierte die Hysterie als „attaques démoniaques“. Bei primitiven Gesellschaften der Neuzeit wird hierbei ebenfalls vom Eindringen eines Gottes oder Dämons in den menschlichen Körper gesprochen, aber auch amerikanische Sekten erzeugen ähnliche ekstatische, hysterische Zustände[533]. Ihnen gemein ist die Kraft der Einbildung, die tatsächliche Symptome hervorbringt. Diese können zwar auch auf einem tatsächlichen Erlebnis beruhen[534], das aber keine große, religiöse Bedeutung haben muss. Das hysterische Ich sträubt sich nur gegen eine „peinliche Wahrnehmung“[535], was wieder durch die bekannte neurotische Verdrängung geschieht (siehe oben)[536].

Das Erlebnis wird also verdrängt, soweit ist es deckungsgleich zur Neurose. Die Hysterie ist zwar eher ein Phänomen der viktorianischen Gesellschaft[537], es lohnt sich jedoch ein Vergleich, da auch hier gesellschaftliche Unterdrückung und „Zensur“ eine Rolle spielten. Gemeinsam haben sie die Konfliktverarbeitung: „[…] Konflikte werden abgewehrt, pseudogelöst oder kompensiert, indem der Betroffene im Rahmen einer unbewußten Inszenierung sowohl für die Anderen als auch für sich selbst als quasi anderer erscheint, als er tatsächlich ist.“ [538] Es kommt also ebenfalls zur Abspaltung[539].

Bei den Besessenen sind die Triebwünsche und Über-Ich Anteile jedoch noch nicht so stark im Selbst integriert. Sie können noch auf Teufelsbilder oder Dämonen übertragen werden. Bei der Hysterie sind sie weit stärker integriert und können weniger ausgelagert werden. Sie ist deswegen noch unbewusster[540], was zeigt, dass die Besessenheit auch leichter zu heilen war. Selbst Vizelin schaffte das, was überliefert ist. Die Besessenheit ist somit eher eine Art Vorstufe zur weit stärkeren Hysterie. Beide Erkrankungen haben jedoch dieselbe Ursache.

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

- mittelalterlicher Geist kennt das psychologische Modell des Es, Ich und Über-Ich nicht, nur Gotteswerk

- innerhalb dieses Modells kann die Verdrängung fehllaufen, d.h. ein Etwas (das Verdrängte) bricht durch

- das Etwas ergreift Besitz, Folge ist eine Art der Neurose

- innerhalb der Neurose: Mensch kann nichts dagegen tun, sich nicht dagegen stemmen, das Ich wird gestört bis hin zur Zerrissenheit, die Realität wird gestört, der Mensch will sich selbst schaden

- Hauptfaktoren für die Entstehung der Neurose: Das Über-Ich bzw. das Gewissen/der innere Richter (sehr bedeutsam für das Mittelalter) und der Trieb, das Ich kann nicht mehr vermitteln

- das Ich soll entlastet werden, Widersprüche werden zu groß

- es kommt zur Spaltung: zwei Personen befinden sich im gleichen Körper

- durch den unbedingten Glauben (siehe Tab. oben): eine der Personen ist nach christlichem Verständnis Teufel oder Dämon

- Eingrenzung der Neurose:

Möglichkeit A = Zwangsneurose mit einem erheblichen Anteil an Aggression, vor allem gegen sich selbst (siehe Tab. oben)

Möglichkeit B = Hysterie, doch ist sie eher eine neuzeitliche Erkrankung mit gleichem Kern

 

Die Religion und ihr Über-Ich waren zu Zeiten der Verbreitung der Hysterie nicht mehr ganz so bestimmend. Das Mittelalter hatte aber gerade – im Gegensatz zur Moderne – diese religiöse Aufladung, wodurch die „Absolutheit“[541] des Christentums erreicht wurde, einhergehend mit dem eher wertlosen Dasein der Menschen[542]. Der Mensch konnte hier leicht zum „widerstandslosen Spielball unbewußter Mächte“[543] werden. Die Folge war, „daß hier bloß ein elendes, minderwertiges, untaugliches und sündenbeladenes Häuflein Mensch zurückbleibt. Wie bekannt, ist diese Lösung zu einer historischen Weltanschauung geworden“[544] und sie wurde im Mittelalter bis in die letzte Bewusstseinsebene erreicht[545] (eben auch bis zur letzten Ebene des Unterbewusstseins, siehe dafür die Entwicklung der Besessenheit oben).

Und damit war die Grundlage dafür, Schuld immer bei sich selbst zu suchen und auf sich zu beziehen, geschaffen[546]. Das Schuldbewusstsein reichte der Besessenheit somit die Hand[547]. Dabei konnte das Böse regelrecht physisch in die Person eindringen[548] und das, was schuldhaft in einem Menschen ist, war im Mittelalter natürlich teuflischen/dämonischen Ursprungs im christlichen Sinne (eben nach der Lehre des Christentums, siehe Exkurs 7 über das Jenseits)[549]. Auch kleine Vergehen konnten dabei die mittelalterliche Psyche in die Nähe des Teufels rücken, sodass sich der Besessene zur inneren Verarbeitung[550] psychisch vom Teufel abgrenzen bzw. abspalten musste[551].

Ein mittelalterliches Beispiel: Eine Nonne war plötzlich vom Teufel besessen, ausschließlich deswegen, weil sie ein Salatblatt verzehrt hatte, das vorher nicht gesegnet worden war. Krämpfe, Weinattacken und Rechtfertigungen des Teufels aus dem Mund der Nonne an den Abt waren die Symptome. Der Abt vertrieb dann auch den Teufel aus dem Leib der Frau[552].

An diesem Beispiel wird deutlich, wie schnell der Teufel auftauchen, wie schnell er aber auch wieder vertrieben werden konnte. Das unbewusste, christliche Über-Ich kam an die Oberfläche und störte das ausgleichende Ich des betroffenen Menschen. Dessen Bewusstsein wurde schwächer und der „Andere“ kam zum Zug, was in eine „Desorientierung über Sinn und Umfang seiner Persönlichkeit“[553] mündete. Die auf der Hand liegende Erklärung für das Andere konnte zu der Zeit nur eines sein: ein Dämon oder der Teufel. Es fand somit eine Verknüpfung von Christentum und Dissoziation statt, die noch bis ins 19. Jahrhundert beobachtet werden konnte[554].

Besonders anschaulich wird dies, wenn der Teufel aus einem Bauern in perfektem Latein spricht (das dieser normalerweise nicht beherrscht), was mehrfach bezeugt wurde[555].

Besessenheit im Mittelalter:

Faktoren für b.):

 

- unbedingter Glauben an den Teufel/Dämon, in der gesamten Gesellschaft verankert

- Erkrankung durch Autosuggestion, die sich auch auf andere übertragen und ausbreiten kann

- Unterdrückung ganzer Gesellschaftsschichten, Alternativlosigkeit

- in der mittelalterlichen Gesellschaft: einfacher kindlicher Geist, keine Bildung oder Wissen, das alternative Interpretationen ermöglichen würde

- mittelalterlicher Geist kennt das psychologische Modell des Es, Ich und Über-Ich nicht, nur Gotteswerk

- innerhalb dieses Modells kann die Verdrängung fehllaufen, d.h. ein Etwas (das Verdrängte) bricht durch

- das Etwas ergreift Besitz, Folge ist eine Art der Neurose

- innerhalb der Neurose: Mensch kann nichts dagegen tun, sich nicht dagegen stemmen, das Ich wird gestört bis hin zur Zerrissenheit, die Realität wird gestört, der Mensch will sich selbst schaden

- Hauptfaktoren für die Entstehung der Neurose: Das Über-Ich bzw. das Gewissen/der innere Richter (sehr bedeutsam für das Mittelalter) und der Trieb, das Ich kann nicht mehr vermitteln

- das Ich soll entlastet werden, Widersprüche werden zu groß

- es kommt zur Spaltung: zwei Personen befinden sich im gleichen Körper

- durch den unbedingten Glauben (siehe Tab. oben): eine der Personen ist nach christlichem Verständnis Teufel oder Dämon

- Eingrenzung der Neurose:

Möglichkeit A = Zwangsneurose mit einem erheblichen Anteil an Aggression, vor allem gegen sich selbst (siehe Tab. oben)

Möglichkeit B = Hysterie, doch ist sie eher eine neuzeitliche Erkrankung mit gleichem Kern

 

Mittelalterliche Spezifika: 

- Durchsetzung des Unbewussten auf Grundlage des christlichen Über-Ichs

- Vorherrschaft der Phantasie, alles Geglaubte entspricht auch der Wahrheit

- Schuldbewusstsein im Sinne christlicher Auslegung

- alles Schuldige war teuflischen Ursprungs

- man selbst war zu schwach gegenüber diesen Kräften, grundsätzliches Minderwertigkeitsgefühl

„Teufel in einem“/Neurose setzt sich durch

Ausgeprägte Besessenheit

Mittelalterliche Therapie: Exorzismus

 

Fazit:

Besessenheit ist ein sehr vielschichtiges Phänomen. Ein gradliniger Krankheitsverlauf kann nicht aufgezeigt werden, da solche Verläufe in den mittelalterlichen Quellen nicht genannt werden. Es spricht jedoch sehr viel für Variante b.), wie oben herausgestellt wurde.

Insgesamt ist das Phänomen der Besessenheit somit auch eine direkte Folge der mittelalterlichen Klassenhierarchie und spiegelt die Verzweiflung einer unterdrückten Bevölkerung wider – Menschen ohne Hoffnung, aus dem erstarrten System ausbrechen zu können. Psychische Ausbrüche, auch in Form von Besessenheit, waren das einzig vorhandene Ventil für die Mitglieder der unteren Gesellschaftsschichten. Immer war die Ursache ein innerer Konflikt, häufig lag ihm das im Mittelalter stark ausgeprägte Schuldbewusstsein zugrunde.

Auch heute ist es noch denkbar, dass Besessenheit auftreten könnte[556], die freiere und aufgeklärte Gesellschaft entzieht der Besessenheit jedoch meist die geistige Voraussetzung[557]. Dadurch ist sie jedoch auch noch schwerer nachvollziehbar, wenn sie doch einmal erscheint. Sie wird heute als sehr selten eingestuft[558], während sie im Mittelalter noch ein Massenphänomen war, nicht nur zugelassen, sondern gefördert vom christlichen Glaubenssystem. Ein psychologisches Modell (Ich, Es, Über-Ich) war noch unbekannt, Gott und Teufel mussten für alles als Erklärung herhalten[559].

Im Mittelalter noch völlig unbekannt war das Unbewusste, das auch unfreiwillig aus den Menschen herausbrechen kann – mit unterschiedlichen körperlichen oder geistigen Symptomen (siehe oben). Eine körperliche oder im heutigen Sinne schwere psychische Erkrankung wird dagegen eher selten die Ursache von Besessenheit gewesen sein. Der Mensch neigte im Mittelalter nicht stärker zu Epilepsie oder Schizophrenie als heute[560], da das mittelalterliche Gehirn nicht anders aufgebaut war als das unsrige. Besessenheit dagegen war häufig, aber heilbar, und selbst ein Nicht-Mediziner wie Vizelin schaffte das, denn „die Dämonen und Teufel des Mittelalters konnten durch Abwehrzauber und Rituale unter Kontrolle gehalten werden, die Menschen fühlten sich von ihnen keineswegs nur bedroht, man konnte mit ihnen handeln und sie überlisten.“[561] Epilepsie oder Schizophrenie waren im Mittelalter dagegen unheilbare Krankheiten, gegen die ein Priester mit seinen Methoden nichts hätte ausrichten können.]




(Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)               

Im Mittelalter war es dabei die Aufgabe der Priester „die Kranken zu heilen und die Teufel auszutreiben“[562]. Vizelin stellte sich ihr, weil es auch ein Teil der vita apostolica war und zur Nachfolge der Apostel gehörte[563]. Sein Ruf und seine Erfolgsquote müssen ihm dabei vorausgeeilt sein, da die Betroffenen von weither herbeigebracht wurden, um von ihm behandelt zu werden. Sein striktes Leben nach dem Ordo novus und seine Erfahrung in der Seelsorge vermittelten den tiefgläubigen Menschen das Gefühl, er stünde besonders nah bei Gott und sei daher für diese Aufgabe außerordentlich geeignet[564]. Denn um an die unsichtbaren, aber trotzdem realen bösen Kräfte (Dämonen und Teufel) heranzukommen und sie zu bekämpfen, bedurfte es einer Schnittstelle zum Himmelreich, also Priestern[565] wie Vizelin. Das Böse selbst konnte verschiedene Formen annehmen und Helmold steht stellvertretend für Vizelin und alle Zeitgenossen, wenn er sagt: „Wer wüßte auch nicht, daß Kriege und Stürme, Seuchen und andere dem Menschengeschlecht feindselige (Mächte) aus dem Wirken der bösen Geister entstehen?“[566]            

Lange konnte sich Vizelin in Neumünster nicht der Krankenpflege und dem Exorzismus widmen, da die feindlichen Angriffe der Slawen auch das im Grenzgebiet liegende Neumünster erreichten, „so daß der Falderagau unter den täglichen Mordtaten an Menschen und Raubüberfällen auf Dörfer schon fast wieder zur Einöde geworden“[567] war. Seine Standfestigkeit wurde nun auf die Probe gestellt, doch „der Priester Vizelin [rief] das Volk auf, seine Hoffnung in Gott zu setzen, zu lobsingen, zu fasten und die Herzen zu prüfen, weil Tage des Leides bevorständen“[568]. Er hatte nicht vor, das Feld zu räumen, das hätte seinem Charakter auch nicht entsprochen. Was anderen in jener Zeit an kriegerischer, wurde ihm nun an religiöser Ausdauer abverlangt. Härte, Strenge und Zucht hatte er sich jedoch, wie oben aufgezeigt, durch jahrelange Schulung angeeignet, so wie er sie auch von anderen erwartete. Die Parallelen zwischen Klerikertum und Militär sind überdeutlich, denn Vizelins Haltung erinnert stark an den Militia Christi oder den christlichen Militärdienst[569]. Zusätzlich fand Vizelin Bestätigung in der Bibel und der vita apostolica, denn auch die Apostel hatten es nicht leicht gehabt beim Auszug in fremde, heidnische Länder[570]. Bei Aposteln wie Klerikern galt eine geradezu soldatische Opferbereitschaft, die ihren Ursprung bereits im Opfer Christi hat[571].

Daneben wurde auch ganz handfest zurückgeschlagen: Ein „Heer von Holstein und Stormarn“ brach ins Slawenland ein, „griff an, was ihm gleichsam wie Stacheln in den Augen der Sachsen zunächst saß, schlugs vernichtend nieder im Lande Plön, Lütjenburg und Oldenburg sowie im ganzen Raume“[572]. Was da vernichtend niedergeschlagen wurde, wird bei Helmold nicht erwähnt, nur, dass im Winterfeldzug 1138/1139 keine Befestigungen eingenommen wurden, sondern die Truppen „das ganze Land verheerten […] in Ansturm mit Raub und Brand“[573].

Bei beiden Kriegsparteien schien die Zivilbevölkerung das Hauptangriffsziel zu sein, was im Mittelalter sehr häufig der Fall war, wie auch das „Mittelalterliche Hausbuch“ [574] zeigt. Das Bild eines erschlagenen Bauern, der in seinem Dorf überfallen worden war, hatte keinerlei Gewissensbisse zur Folge. Ein Bauer hatte im Seelenleben der kriegerischen Oberschicht als Mensch keine Bedeutung, er war auf Gedeih und Verderb deren ungeniert ausgelebter, grausamer Angriffslust ausgeliefert. Die Ritterschaft tat dies ohne jegliche staatliche Kontrolle oder Sanktionierung[575]. Für sie war dies Alltag und gehörte zu ihrem Leben selbstverständlich dazu[576]. Zurückhaltung war unerwünscht; offen und schnell ausgetragene Gewalt in den Dörfern gegenüber der Zivilbevölkerung galt als Kriegerethos und gleichzeitig als lustvoller Teil des Lebens[577].

So schildert der Mönch Saxo Grammaticus (um 1160 bis nach 1208) in seiner „Gesta Danorum“ einen Waffengang nach dem anderen. Dabei wurde immer sofort zur Waffe gegriffen, sobald sich die Gelegenheit bot. Impulsive Leidenschaften wurden direkt ausgelebt und sogar vom Mönch Saxo Grammaticus gutgeheißen[578]. Die mittelalterliche Psyche empfand Gewalt als normal, nicht als unmenschlich[579]. Auch hier kann wieder die Bibel zum Verständnis herangezogen werden, die für alle Gesellschaftsschichten „das Normale“ definierte. Gewalt wurde nicht nur toleriert, sondern regelrecht eingefordert[580]. Mönche, wie Saxo Grammaticus, konnten die Bibel nutzen, um vor der einfachen Bevölkerung zu rechtfertigen, warum sie die Hauptlast bei kriegerischen Auseinandersetzungen trug. Denn er konnte daraus zahlreiche Passagen zitieren, die etwa mutiges und standhaftes Durchhalten im gerechten Kampf gegen Andersgläubige, wie die Slawen, enthielten[581]. In diesem Kampf war jede Form von Menschlichkeit fehl am Platze.

Die stark befestigten slawischen Burgen dagegen waren ein deutlich schwierigeres Angriffsziel (siehe Burg Plune oder Oldenburg/Starigard), das der Ritterschaft weniger schnelle Erfolge bescherte. Sie waren gerade im Winter schwer einzunehmen, da dies eine Belagerung bedeutet hätte. Erst im Sommer 1139 konnte, wahrscheinlich unter Führung des Overbodens Markrad (siehe oben), die Burg Plune erobert werden, „welche (noch) stärker als die übrigen war“[582]. Sie lag im Plöner See (Exkurs 8).

Das sogenannte Kriegsglück lag wohl vermehrt bei den Nordelbingern und ihren Verbündeten und nachdem auch die politischen Streitigkeiten um das Land geregelt waren, konnte die Burg Segeberg unter deutscher Obhut wiederaufgebaut werden. Der Krieg hatte hier in Segeberg und Umgebung zu einer regelrechten Entvölkerung beigetragen, wodurch nun „das Land verlassen“[583] war. Für Vizelin markierte dies den zweiten Schwerpunkt seiner Mission im Slawenland, denn Neusiedler brauchten ebenfalls christlichen Zuspruch.

Neusiedler wurden jetzt aus Flandern, Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland angeworben, und natürlich aus Holstein und Stormarn, deren Einwohner ja direkt an den Kämpfen beteiligt waren[584]. Das Versprechen auf Land trug Früchte (dafür siehe Exkurs 4: Privilegien für Neusiedler, Anwachsen der Bevölkerung im 12. Jahrhundert) und so machte sich 1143 „eine zahllose Menge aus verschiedenen Stämmen auf, nahm Familien und Habe mit und kam zu Graf Adolf[585] nach Wagrien, um das versprochene Land in Besitz zu nehmen“[586]. Angeführt wurden sie von einem Lokator, der seinen Rittersitz an strategisch wichtigen Punkten, z.B. bei slawischen Dörfern oder an Verkehrsknotenpunkten, errichtete[587] (siehe ganz unten, Exkurs 13).          

Die Neusiedler bekamen beträchtliche Landgebiete östlich des Limes Saxoniae, die von West nach Ost einmal quer durch das ehemalige slawische Gebiet verliefen, von Bornhöved zum Eutiner Land bis nach Süsel:

Karte_5

Karte vom östlichen Schleswig-Holstein, Einwanderung der Westfalen, Holländer, Friesen, Holsten und Stormarner, genaue Gebietsgrenzen sind unbekannt.

Helmold beschreibt das Gebiet emotionslos, doch wird bei Ansicht der Karte klar, dass die Gebiete nicht zufällig gewählt waren, sondern ihre Wahl das Ziel verfolgte, die Wagrier zu isolieren. Abgesteckt wurde alles, was sich „westlich [von] Segeberg, an der Trave, in der Ebene Schwentinefeld und alles, was sich von der Schwale bis zum Grimmelsberg und zum Plöner See“[588] erstreckte, „auch das Darguner Land[589] […], das Eutiner […] und Süsel“[590].

Auf einer West-Ost-Achse wurden somit Ausgangspunkte für die Besiedlung geschaffen, die eine Grenze zum Süden bilden bzw. das nördliche slawische Gebiet abriegeln (siehe Karte oben). Ersichtlich ist ebenfalls, dass Stützpunkte geschaffen wurden, die weitere Eroberungen in Richtung Wagrische Halbinsel implizierten, da nun die nördlichen Slawen von den östlichen und südlichen Stämmen isoliert waren. Die Deutschen hatten durch die Ansiedlung weiterer Christen im Süden eine Klammer um die wagrischen Slawen gelegt, die nur noch eine Ausweichbewegung über das Meer ermöglichte.

Vizelin (und auch Helmold und die Neusiedler) fuhren im Fahrwasser der handfesten, militärischen Politik, was sie aber so erst später erkannten. Ihre Intention war nach wie vor christlich, doch zeigen die Ereignisse von 1147 (siehe unten), dass die spätere Eroberung der Slawen bereits in der Luft lag. Dafür wurden nun die Voraussetzungen geschaffen. Vizelin und seine Mitbrüder waren daran zwar nicht direkt beteiligt, denn Gewinnstreben und Machtausbau entsprachen nicht der Grundeinstellung der Priester, die ja als einen der evangelischen Räte Demut angestrebten[591]. Aber neben der räumlichen Isolierung der Slawen sorgte das Vorrücken der Deutschen in großer Zahl, die ihren Glauben und ihre Kultur mitbrachten, dafür, dass die slawische Kultur langsam aber stetig verdrängt wurde[592].

Zur „Befreiung“, zur Politik und zur Glaubensausbreitung kam nun auch noch ein Angriff auf die gesamte Lebensweise der Slawen, was ihnen nicht verborgen blieb. Dafür war der deutsche Nachbar weithin bekannt. Auch die Slawen hatten in früheren Zeiten ihre Feinde häufig angegriffen[593], was ihnen nun zum Verhängnis wurde. Um ihre Lebensweise doch noch zu retten, hätten sie nun ihren Lebensraum bzw. Wagrien räumen müssen, z.B. durch einen Zusammenschluss mit den mecklenburgischen Abodriten. Ein anderes Entkommen aus der deutschen Umklammerung war nicht möglich, denn sie verhinderte nicht nur jeden weiteren Vorstoß der Slawen, sondern machte das kulturelle Überleben der wagrischen Abodriten unmöglich. Und so begann die Assimilation der Slawen und dies nicht nur im christlichen Sinne.

Die östliche Eroberung verlief vorausschauend und durchdacht, jedenfalls von Seiten der militärischen Führung. Diese Strategie ergänzte und stützte sich auf das klar definierte, durch ständige Wiederholung stark verinnerlichte christliche Feindbild[594]: die heidnischen Anderen, in diesem Fall die wagrischen Slawen.

Ab 1143 wurde der Druck auf die Slawen somit stark erhöht. Er baute sich vor allem massiv an ihrer Grenze auf, wo die Neusiedler in Scharen eintrafen. „So begannen sich die Einöden Wagriens zu bevölkern und die Zahl seiner Einwohner vervielfältigte sich“[595]. Noch blieb das „Plöner Land [zwar]unbewohnt. Oldenburg und Lütjenburg sowie die anderen Küstengegenden ließ er [Graf Adolf II.] von den Slawen besiedeln“, doch die Slawen dort „wurden ihm zinspflichtig“[596], womit Helmold deutlich betont, dass die Kontrolle über Land und Leute nun von den Deutschen ausgeübt wurde.

Das deutsche Vorrücken wird auch deutlich an der Übernahme ehemaliger slawischer Stützpunkte, wobei günstig gelegene Standorte von ihrer slawischen Besiedlung befreit wurden, so z.B. eine Halbinsel zwischen Trave und Wakenitz, wo die deutsche Neugründung Lübeck erfolgte[597]. Die Slawen zogen sich weiter nördlich zurück. Dort konnten sich noch vereinzelt slawische Hauptsitze halten, wie z.B. die schon seit Jahrhunderten existierende Starigard der Slawen.



[Exkurs 11: Die slawische Burg Starigard/Oldenburg in Holstein, die Endzeit der slawischen Besiedlung Wagriens

a.      Der heutige Standort/Auffindungssituation

Die Reste des Walls der Oldenburg können heute noch im Stadtzentrum von Oldenburg als Geländedenkmal besichtigt werden. Zu Fuß ca. 500 m vom Wallmuseum entfernt (ausgeschilderter Weg), ist der heute noch eindrucksvolle Wall von weitem zu sehen. Der Weg führt durch den Eingangsbereich des Walls, innerhalb ist in östlicher und westlicher Richtung jeweils ein kreisförmiger Wall zu sehen. Zusammen bilden sie eine liegende Acht (besser aus der Luft zu sehen). Für die Geschichte, die innere Bebauung etc. muss aber das Wallmuseum besichtigt werden, da nur dort die archäologischen Funde ausgestellt werden. Die heutige Starigard verrät nur noch wenig von ihrem einstigen Aufbau[598]:

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Der Wall der Burg Oldenburg/Starigard im heutigen Stadtgebiet.

 

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Wege zum Eingangsbereich der heutigen Reste der Oldenburg innerhalb der Stadt Oldenburg.

 

b.     Der Wall und der Wehrgang

Archäologische Ausgrabungen konnten für die spätslawische Zeit eine Großburg nachweisen, die als einer der wagrischen Hauptsitze der Slawen angesprochen wird. Der Sitz des Herrschers war sie aber zu jener Zeit schon nicht mehr, diesen Platz hatte Alt Lübeck inne[599]. Wie in Alt Lübeck (siehe Exkurs 6) wird versucht, sich streng an die Zeit Vizelins zu halten bzw. diese mehrphasige Burganlage in ihrer Endphase abzubilden:

 Foto_20 Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst direkt nach dem Eingangsbereich, Blick vom Weg aus.


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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst zum Eingangsbereich hin, Blick vom anderen Weg aus.

 

Das äußere Bild der Burg änderte sich jedoch nicht beträchtlich vom 8. bis zum 12. Jahrhundert[600], wodurch der Grundbau des Walls erhalten bleiben kann. Im gesamten Zeitraum hatte der Wall einen Durchmesser von 260 m in ostwestlicher Richtung[601] mit einer Breite von durchschnittlich 130 m. Die Anlage gleicht aus der Vogelperspektive einer liegenden Acht[602], auf dem Wall stehend, erkennt man die aneinander gesetzten Halbkreise:

 

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Rekonstruktion des Walls als Drahtgerüst direkt nach dem Eingangsbereich, Blick beim Eingangsbereich auf den östlichen Halbkreis.


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Rekonstruktion des Walls. Aus der Vogelperspektive, um die gesamte Anlage zu verdeutlichen.

Um eine gewisse Höhe zu erreichen, wurde, wie in Alt Lübeck, im Wall mit Holzkonstruktionen gearbeitet[603], die bis zur Spitze des Walls hinaufreichten. An sie wurden dann die innere und die äußere Böschung herangeschüttet. Am Fuß der äußeren Böschung waren zudem Feldsteine platziert, wahrscheinlich als Erosionsschutz. Der äußere Wall blieb bei seiner einfachen Schrägung, der innere Wall wurde mehrfach ausgebaut. Eine anfängliche Stufenbildung an der Innenseite konnte archäologisch nachgewiesen werden, sie führte hinauf bis zum Wehrgang auf der Wallkrone[604]. Diese Abtreppung zur Wallkrone hin wurde im Laufe der Zeit zugunsten einer einfachen rampenartigen Schrägung mit Sodenabdeckung aufgegeben[605], was sich stratigrafisch, aber nicht eindeutig abzeichnet[606]. Dafür sprechen jedoch spätslawische Vergleichsfunde, wie z.B. die Burg Teterow. Auch hier wurde in der älteren Bauphase des Abschnittswalls ein Holzkonstruktionskern geschaffen, an den später nur noch an- und aufgeschüttet wurde. Die Stratigrafie für die spätslawische Zeit offenbart somit eher eine einfache Schrägung des inneren Walls, die rampenartig direkt aus der Burgmitte ansteigt[607]. Auch in späteren Phasen der Mecklenburg wurde lediglich von innen angeschüttet[608]. Der Wall der Oldenburg:

 

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Rekonstruktion des Walls. Der Innen- und Außenwall mit einer einfachen Schrägung.


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Rekonstruktionsvorschlag des Walls mit den Holzaufbauten und Türmen (siehe unten). Partielle hölzerne Treppen wurden rekonstruiert, um einen schnellen Anstieg vom Burginneren (z.B. im Kriegsfall) zu ermöglichen.

Ein innerer Abschluss zwecks Verhinderung des allmählichen Abtrags des Walls in Teterow ist in dieser Schlussphase des Walls nicht erkennbar bzw. die zeichnerische Übertragung der Stratigrafie endet offen auslaufend, wodurch sie auch in der Ausgrabungsbeschreibung für die spätslawische Zeit keine Erwähnung findet[609]. Es wurde aber eine erhebliche Gesamtbreite geschaffen[610], was doch eine innere Begrenzung wahrscheinlich macht. Aus vorherigen Bauphasen in Teterow kannten die slawischen Erbauer jedenfalls einen inneren Abschluss zwecks Verhinderung der Abtragung: Die Seitenwälle der Burg Teterow hatten vermutlich eine innere Lage Baumstämme in Streichrichtung des Walls, die den einfachen Schräghang abgrenzten[611]. Die Rekonstruktion der näher gelegenen, jedoch älteren slawischen Fundstelle Scharstorf weist ebenfalls einen inneren Wallabschluss mit quer zum Wallverlauf verlegter Bohlenwand auf. Hier war die Wand aber Teil einer Kastenwand[612], was für Oldenburg nicht belegt ist. Es zeigte sich aber häufig ein Problem mit nicht ausreichend abgestützten Innenwällen, so z.B. in der Mecklenburg, wo die 1 m hohe innere Plankenwand auf die Siedlungsschicht gedrückt wurde[613]. Hier wurde auch in jüngeren Phasen weiter mit inneren Plankenwänden, bestehend aus Stützpfählen und Ösenbalken, gearbeitet[614]. Die Stratigrafie von der Starigard erlaubt somit ebenfalls einen rückwärtigen Abschluss durch die nach unten abgeknickten Brandschichten[615]. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass die Oldenburger Slawen derartige, einfache Baukonstruktionen kannten:

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Rekonstruktionsvorschlag des inneren Walls mit innerer Begrenzung als Holzbau.

Durch diesen allmählichen Ausbau hatte der Wall am Ende der slawischen Besiedlung eine Basisbreite von 20 m erreicht[616].

Eine im Befund recht unklare Neuheit ist eine „Feldsteinmauer“ am inneren Wallfuß. Ihre Funktion ist nicht eindeutig. Anscheinend verlief sie als „vertikaler Sockel“ entlang der unteren Innenböschung in der Art einer Blendmauer, doch ist dafür keine konstruktionsbedingte Notwendigkeit gegeben[617]. Der Befund entzieht sich einer genauen Deutung[618]. Für ein Waffenarsenal im Angriffsfall (Steinreservoir)[619] scheint sie zu strukturell angelegt zu sein, denn das Steinareal verläuft auffallend geradlinig[620], was zwangsläufig an eine Mauer denken lässt. Ein Vergleichsbefund zeigt jedoch eine fast identische Steinanordnung wie bei der Oldenburg: die slawische Inselburg Warder, Kreis Segeberg. Auch hier wird von unklarer Funktion gesprochen und die Parallele zur Oldenburg gesehen[621]. Bei Ansicht der Grabungsauswertung[622] ergibt sich bei der Burg Warder aber eine mögliche Erklärung, da die Steinsetzungen u.a. auch viertelkreisförmig abbiegen[623] und ebenfalls am inneren Wall zu finden sind[624]. Der Ausgräber spricht bei dem rundbogigen Teilstück des Steinpflasters für den Boden eines Hauses[625].

Der Befund zeigt jedoch, dass Steinpflaster bei den späten Slawen vielfältig Anwendung fanden, da sie auch entlang der Innenböschung verliefen. Angedeutet wird hierbei aber schon ein zugrundeliegender Zweck, nämlich die Schaffung eines ebenerdigen Bodenniveaus (hier für ein Haus), was aber auch für Wege sinnvoll ist[626]. Wege entlang des inneren Walls sind in früheren Phasen in der Oldenburg belegt[627], finden auch schon frühere Parallelen[628] und können Anbindung an ein zentrales Wegesystem haben, z.B. in Alt Lübeck, wo sie ebenfalls als Steinpflaster ausgeführt wurden (siehe Exkurs 6/Alt Lübeck)[629]. In der inneren Oldenburg finden sich im 11./12. Jahrhundert auch geradlinige Steinpflaster[630]. Dadurch ergibt sich eine Funktion, da Wege entlang des inneren Walls eine schnellere Kommunikation von innen auf die Wallkrone ermöglichen – etwa zum Zwecke der Truppenverlegung, wenn  an zwei oder mehr Punkten gleichzeitig gekämpft wurde und die Brennpunkte auf dem Wall bei der Verlegung so umgangen werden konnten. Hierbei muss betont werden, dass die Oldenburg bis zum Schluss in verteidigungsfähigem Zustand erhalten wurde[631]:

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Rekonstruktionsvorschlag des inneren Walls mit entlang verlaufendem Steinpflaster.

Wie in Alt Lübeck ist der obere Wehrgang wahrscheinlich auch in Holz ausgeführt als Verlängerung der inneren Kastenbauweise nach oben. Seine Rekonstruktion muss wieder durch Vergleiche gedeckt werden, wobei auch geneigte Dächer zur Überdachung möglich sind[632]. Bei spätslawischen Rekonstruktionen wird der überdachte Wehrgang jedoch meist aufgegeben und der einfache Holzaufbau mit erhöhten Teilstücken in gewissen Abständen bevorzugt[633]. Diese Art von Zinnen in Holzbauweise wurde schon bei Alt Lübeck verwendet (siehe Exkurs 6). Türme sind auch hier nur im Eingangsbereich zu erwarten[634]. Es gab auch einen Graben um die Burg, ausgeführt als Spitzgraben direkt angrenzend an der äußeren Böschung[635]. Er brachte eine zusätzliche Tiefe von 2 m und war ca. 3 m breit[636]. Insgesamt ergab sich das Bild eines Steilhangs zur Wallkrone von fast 20 m Höhe mit einem Gefälle von 50 – 60 Grad. Die äußere Böschung des Grabens war 2 bis 2,5 m tief[637]. Für die Rekonstruktion werden obige Informationen und die Rekonstruktion von K.W. Struve herangezogen[638]. Die innere Besiedlung muss jedoch aufgrund der Befunde dem 12. Jahrhundert noch angepasst werden (siehe unten):

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Rekonstruktionsvorschlag des Walls mit den Holzaufbauten, Türmen und dem vorgelagerten Graben.

 

 

c.      Die Besiedlung innerhalb des Walls

Innerhalb des Walls konnten keine in den Boden gesetzten Baugründungen festgestellt werden. Es kam wohl schon der Schwellrahmen zur Anwendung[639], der auch zeitgleich in Alt Lübeck postuliert wird[640]. Hierbei sind Rahmen- und Flechtwerkhäuser möglich. Blockhäuser kommen ebenfalls in Betracht, doch konnten sie nicht, wie in Alt Lübeck, direkt nachgewiesen werden[641]. Helmold schildert einen Bau aus geflochtenem Gebüsch[642], was nur den Blockbau ausschließt[643]. Genaue Details werden bei ihm aber nicht genannt und auch archäologisch konnte die Bauweise bislang nicht sicher geklärt werden. Für das 12. Jahrhundert sind Teile eines Grundrahmenwerks mit dazugehörigen Lehmrückständen entdeckt worden. Dabei lieferte der Lehm aber keine genauen Informationen über die aufgehende Wand. Er wäre anhand der Mächtigkeit der aufgefundenen Rückstände auch nur als Verstrich auf einer Holzwand denkbar.

Zusätzlich müssen dazu auch unterschiedliche Bauweisen der Häuser in Betracht gezogen werden[644]. Für die vorherige Bauphase um 1000 wird jedoch von Flechtwandhäusern ausgegangen, die dicht in Reihen standen oder auch lockerer verteilt waren. Sie hatten Abmessungen von 8 x 5 m ohne bodeninvasive Hölzer, d.h. der Holzrahmen mit dem inneren Flechtwerk trug die Dachlast[645], was wiederum auch für Alt Lübeck angenommen wird[646]. Gerade im 12. Jahrhundert bestanden enge Beziehungen zu Alt Lübeck[647], wodurch sicher ein Austausch im Fachwissen stattgefunden haben könnte (Flechtwandhäuser waren aber auch vorher schon bekannt in der slawischen Welt).

Für die Rekonstruktion werden daher für die innere Besiedlung ebenfalls Flechtwandhäuser vorgeschlagen. Da sie aber archäologisch für das 11./12. Jahrhundert nur noch vereinzelt nachweisbar sind[648], wird auf eine flächige Bebauung verzichtet. Für spätere Rekonstruktionen muss aber von einer Häuserreihung ausgegangen werden, die entlang gepflasterter oder geschotterter Steinwege verliefen[649]:

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Rekonstruktion eines Teiles der inneren Besiedlung, Pflasterwege nur schematisch angedeutet.

 

d.     Die Anwesenheit des höheren slawischen Kriegers

Militaria wurde in der Oldenburg umfangreich gefunden, wie Pfeilspitzen, Äxte, Lanzen etc. Auch hier wird versucht, eine Eingrenzung auf das 11./12. Jahrhundert vorzunehmen. Dasselbe gilt für weitere Funde, die zur Ausstattung des höher gestellten Kriegers gehören könnten. Nicht alle Funde sind ausschließlich den höheren Kreisen vorbehalten. So konnten Lanzen auch bei Kriegern von niederem Rang gefunden werden[650] (siehe Exkurs 8). Auch Gürtelschließen waren in der Herstellung nicht immer teuer oder ein seltener Import[651]. Andere Funde, wie z.B. das Schwert oder das Kettenhemd, konnten sich weniger wohlhabende Menschen aber einfach nicht leisten. 

 

1.     Das Kettenhemd

Wie schon im Exkurs 8 erwähnt (Exkurs 8e/Die Standardkleidung des slawischen Mannes) sind Kettenhemden ein eher seltener Fund. Arbeitsaufwand und dementsprechende Kosten machten sie zumindest im 12. Jahrhundert, also der Zeit Vizelins, zu einem kostbaren Luxusprodukt. In der Oldenburg konnten gleich mehrere Fragmente von Kettenhemden belegt werden, die zugleich die Herstellungstechnik verrieten. Dabei wurden Teile vernieteter und unvernieteter Kettenhemden gefunden[652]. Für die Rekonstruktion werden hier wieder die vorherigen Körpermaße übernommen (siehe Exkurs 8/Der einzelne slawische Krieger), wobei das knielange Kettenhemd angepasst wird[653]. Andere Bestandteile des höheren Kriegers werden von der vorherigen Rekonstruktion übernommen (z.B. der Helm), die Standardkleidung wird belassen (siehe Exkurs 8/d. - f.):

 

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Rekonstruktionsvorschlag des Kettenhemds auf der Alltagskleidung (Kettenhemd nur als Textur).

 

2.     Das Schwert

Die Anwesenheit von Schwerträgern kann für die Oldenburg belegt werden, doch nur für eine frühere Zeit[654], sodass hier Vergleichsfunde herangezogen werden müssen. Für die Schwertform wird von Typen ausgegangen, die eher zeitkonform sind mit schon längerer Parierstange[655], Grifflängen von 13 - 15 cm[656] und mittelbreiter Kehlung der Klinge, die wiederum 81 - 91 cm lang sein kann mit einer Breite von 4,5 - 6 cm[657]. Die Knäufe erscheinen mehr oder weniger in Paranussform. Die Typologie lässt sich auf spätslawisches Gebiet ausweiten, wo u.a. Grabfunde mit Schwertern auf Eliten hinweisen[658]. Die Datierung der Schwerter stützt die spätslawische Zeitfestlegung der Elitengräber[659], die auch weiter im slawischen Gebiet auftauchten, z.B. als Fluss- oder Einzelfunde[660]. Bei diesen Funden ist zwar eine rein slawische Nutzung nicht gesichert[661], doch ist zu dieser Zeit der Waffenhandel über ganz Europa verbreitet und die Formen sind gleich[662]. Diese Schwerter können ebenfalls den hochmittelalterlichen Formen mit Paranussknauf zugerechnet werden[663]:

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Rekonstruktion des Schwertes samt Schwertscheide, die Aufhängung der Schwertscheide wurde nach Quellen für das 12. Jahrhundert rekonstruiert.[664]

 

3.     Die Fibel

Für eine späte Oberschicht spricht auch der Fund einer Prunkfibel. Sie wird um 1100 datiert, besteht aus einem bronzenen, kreuzförmigen Grundmodell (vorgepresstes Oberblech und angelötete Grundplatte), das fünf Glaseinlagen trägt[665]. Die perlenartigen Glaseinlagen erscheinen heute grünlich[666]:

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Rekonstruktion der Fibel, aufgrund der kleinen Maße (ca. 3,3 cm Höhe/Breite) stark vergrößert dargestellt. Die Glascabochons erscheinen heute grünlich, ihre ursprüngliche Farbe ist aber nicht mehr auszumachen.[667]

 

e.     Weitere Funde für die Anwesenheit einer Oberschicht, Beispiel Plektron (Plektron = angespitztes Plättchen zum Anschlagen der Saiten eines Saiteninstruments)

 

Wie in Alt Lübeck so konnte auch in der Oldenburg herrschaftliches Leben nachgewiesen werden. Auch wenn im 11./12. Jahrhundert die Rolle der Starigard politisch nicht mehr so relevant war, war sie dennoch Sitz einer Oberschicht, die ihren Lebensstil pflegte. Dies zeigt sich nicht nur in der militärischen Ausstattung. Der Fund eines Plektrons beweist auch herrschaftliches Leben, das im Westen im 11./12. Jahrhundert zum höfischen Leben dazugehörte. Ob Vorbilder und Kontakte zum westlichen Nachbarn hier dazu beigetragen haben, lässt sich nicht mehr sagen, aber ist der musikalische Vortrag immer als höfisch anzusehen (in Bezug auf musikalisch vorgetragene Dichtung; diese höhere Kunst gehört immer in die höfische Sphäre). Der Verzierungsstil des Plektrons deutet auf einen skandinavischen Ursprung hin, der auch gleichzeitig den Datierungsrahmen vorgibt. Es sind dies typische Elemente des Ringerikestils[668], der im 11. Jahrhundert vorkam. Dazu kommt eine einseitige, sehr dünn eingeritzte Verzierung, die eine Vorliebe für geometrische Formen verrät[669]. Da die Verzierung äußerst dünn und flach eingeritzt wurde[670], wird sie hier überzeichnet dargestellt:

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Rekonstruktion des Plektrons, aufgrund der kleinen Maße (2,2 mm Stärke, ca. 4,3 cm Höhe, 2,9 cm weiteste Breite) stark vergrößert dargestellt. Material: Knochen[671].                                                      

 

 

Die Spitze des Plektrons zeigt ein Aufhängeloch, durch das das Band zur Befestigung am Instrument verlief (siehe oben). Als zeittypische Instrumente, für die das Plektron genutzt werden konnte, kommen mehrere in Frage, so die Leier, Laute oder Harfe[672]. Aufgrund der Häufigkeit der Erwähnung in den Schriftquellen bzw. der Abbildungen wird hier die Harfe rekonstruiert[673]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass im Mittelalter die Fertigung der Instrumente von den Musikern selbst bewerkstelligt wurde und dadurch eine entsprechende Formenvielfalt vorlag[674] (kein einheitliches Standardmodell wie heute).

 

Material war vor allem Holz, die Saiten bestanden aus Tierdärmen, was vorteilhaft bei der Verwendung des Plektrons war. Schafdärme wurden bevorzugt, die für die bessere Optik auch mit weißer Farbe angestrichen sein konnten[675]. Die Harfe war entweder recht schlicht[676] oder wies zusätzliche Verzierungen auf dem Korpus auf. Der Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt. So legten mittelalterliche Kopisten bei der Abbildung der Harfen Wert darauf, sogar die geschnitzten Fabelwesen auf den Harfen zu zeigen. Häufig am oberen Ende der Harfe angebracht, wurden gerne „drachenkopfartige“ Schlussverzierungen genommen[677]. Der eigentliche Resonanzkörper war dann wieder recht einfach gehalten, was Nachbauten und deren Spielbarkeit offenbarten[678]:

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Rekonstruktion der Harfe mit angebundenem Plektron, Schlussverzierung nur leicht, nach zeittypischem Schnitzwerk frei gestaltet.

 

f.       Zusammenfassende Rekonstruktionen:

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Rekonstruktion des höheren slawischen Kriegers in der Oldenburg, im Eingangsturm stehend, Blick in das Burginnere.


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Rekonstruktion mit Nahansicht, Gürtelschnalle nach Funden in der Oldenburg[679] und nach Maßen für jungslawische Rechteckschnallen[680]. Hier die Variante der zweiteiligen Rechteckschnalle aus Eisen[681]. Die Fibel (siehe oben) hält den Mantel zusammen. Der Mantel hat als Vorbild zeittypische Abbildungen, u.a. aus dem Hortus Deliciarum, der Herrad von Landsberg (ausgehendes 12. Jahrhundert).


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Rekonstruktion des höheren slawischen Kriegers in der Oldenburg. Harfe und Plektron (siehe oben) am Flechtwerkhaus angelehnt.]




 (Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)

Auch Vizelin war Nutznießer: Er bekam Segeberg samt Güter für den Unterhalt zurück[682]. Das zweite Augustiner-Chorherrenstift in Schleswig-Holstein konnte nun wiederaufgebaut werden. Schnell kam es aber zu einer Verlegung in das 2,5 km entfernte Högersdorf, da dieser Standort aufgrund der weiterhin drohenden Gefahr durch die Slawen für sicherer befunden wurde[683].

Auch dies stellte eine Übernahme einer bereits existierenden Siedlung dar, denn Högersdorf war das ehemalige slawische Cuzalina, wohin Vizelin nun „Priester […] mit Handwerkern, die das Bethaus und die Werkhäuser des Klosters errichten sollten, [schickte]. Dann wurde an den Fuß des Berges eine Marktkirche zur Versorgung der Gemeinde gesetzt.“ Helmold betont, dass hier vor Ort die Neusiedler betreut werden sollten, was Vizelin auch gleich mit der Entsendung von „Geistlichen und Altargerät aus Neumünster“ nach Högersdorf unterstützte[684].

In diesem kleinen Rahmen konnten die Regularkanoniker zeigen, dass sie ihrer missionarischen Aufgabe gerecht wurden, indem sie direkt einen Grundstein legten (Exkurs 2). Vizelin konnte seinen Tatendrang endlich voll ausleben.

Dies brachte gleichzeitig einen, wenn auch kleinen, Gebietsgewinn mit sich, aber Kirchengründungen waren anfangs noch selten und auf Neumünster und Segeberg beschränkt. Diese beiden Stützpunkte fungierten als Zentren, von denen aus Seelsorge und Mission betrieben wurden. Dies blieb bis 1149 so[685], da von einer Beruhigung des Landes (siehe Verlegung nach Högersdorf) nicht gesprochen werden konnte. Die wagrischen Slawen erkannten, was an ihrer südlichen Grenze geschah, denn das deutsche Vorrücken war unverkennbar. Auch wenn die Slawen nach wie vor eine Bedrohung darstellten, sahen diese sich aber nun besonders durch die vielen Neusiedler einer unbesiegbaren Übermacht gegenüber. Ihre Niederlage 1139 war das Ergebnis dieses Ungleichgewichts. Durch die Umklammerung der Feinde standen sie mit dem Rücken zur Wand.

Krieg lag also in der Luft und sein Ausbruch war nur eine Frage der Zeit. Dazu kam der schon genannte Kreuzzugsgedanke (Exkurs 5), der im Hochmittelalter auf fruchtbaren Boden fiel. 1147 wurde er wieder aufgegriffen[686] und es versammelte sich ein großes Heer: „Und auf Kleider und Waffen heftete man ihnen das Zeichen des Kreuzes“. Das Heer wurde anteilig zu den Slawen geschickt[687], in der Geschichte allgemein als der Wendenkreuzzug von 1147 bekannt[688].

Dass der Krieg gewünscht war, zeigen Beschreibungen bei Helmold (und die Karte oben bzw. die Geschehnisse von 1143). Hiernach stoßen die diplomatischen Bemühungen der Slawen, die ja Bündnisse mit Graf Adolf hatten, von Anfang an auf Ablehnung. In einer Botschaft schildert der slawische Fürst Niklot Graf Adolf die verzweifelte Lage der Slawen: „Ich hatte doch beschlossen, dein Auge und Ohr zu sein im Slawenlande, das du zu besiedeln begonnen hast, damit du keinen Belästigungen seitens der Wenden ausgesetzt wärest, die einst das Land Wagrien besaßen und Klage führen, sie seien auf unrechte Weise des Erbes ihrer Väter beraubt worden! Warum verleugnest du so deinen Freund in der Zeit der Not?“[689].

Auch dieser Hilferuf traf auf taube Ohren, die Würfel waren bereits gefallen[690]. Den Slawen blieb nichts anderes übrig, als schnell einen Gegenschlag zu planen und durchzuführen, bevor das Kreuzzugsheer eintraf. Zunächst wurde Lübeck angegriffen und dann wieder Segeberg zerstört. Insgesamt wurde das Land der Neusiedler zwischen Lübeck und Segeberg verheert, es „verzehrte die gierige Flamme (des Krieges)“[691].

Auf erbitterten Widerstand trafen die Slawen in der kleinen Festung Süsel, die sie mit 3000 Kriegern belagerten[692]. Helmold erwähnt auch die Anwesenheit von Priestern, z.B. in Lübeck, wo der Priester und Mönch von den Slawen getötet wurde[693], oder in Süsel, wo der heldenhafte Priester zur Verteidigung aufrief und mit „eigener Hand durchbohrte er zahllose Slawen. Selbst als er ein Auge verloren hatte und am Körper verwundet war, ließ er nicht nach im Kampfe […]“[694]. Letzterer konnte den Sieg über die Slawen davontragen und die Festung Süsel halten.

Das Kreuzzugsheer sah nun erst recht einen Grund zum Angriff und wurde zügig mobilisiert. Die ersten Gegenangriffe gingen jedoch ins Land Mecklenburg-Vorpommern (Festung Dubin[695]). Hier entschied man sich, nicht zu radikal durchzugreifen, sondern die Slawen am Leben zu lassen und stattdessen zu taufen. Der Erfolg war mäßig, da die Slawen die Konversion nur zum Schein eingingen[696].

Vizelin harrte unterdessen weiter in Neumünster oder Högersdorf aus. Der slawische Angriff zog eine Hungersnot nach sich, die er versuchte mit seinen Brüdern zu bekämpfen. Bei Helmold muss nun wohl zwischen den Zeilen gelesen werden, denn auffällig ist, dass Vizelin während des Wendenkreuzzugs nicht viel Erwähnung findet in der Slawenchronik. Zwischen 1143 und 1147 geht keine Aktivität von ihm aus, er ist eher mit der Linderung der Kriegsfolgen für die Bevölkerung beschäftigt. Diese passive Haltung lässt eine eher kritische Meinung zum Kreuzzug vermuten, wenn nicht sogar dessen Ablehnung: Missionierung ja, aber nicht mit kriegerischen Mitteln.[697]. Auch wenn die kriegerische Ausbreitung des Christentums in früheren Zeiten als legitim galt, sieht er es doch als kein adäquates Mittel der Zukunft an, sondern als Gewaltakt, der sämtliche Bemühungen der Christianisierung zunichtemacht.

Zu früheren Zeitpunkten in seinem Leben hatte Vizelin das kriegerische Bekämpfen des Heidentums noch gutgeheißen oder zumindest toleriert und dem Kaiser sogar zum Bau einer Burg geraten (oben, das Jahr 1134). War er nun, mit ca. 53 Jahren, sanfter geworden oder hat der „Streiter für das Wort Gottes“ vielleicht nach mehreren Jahren Kampf erkannt, dass die gute Sache, für die er kämpfte, so nicht zum Zuge kam? Ob eine neue Grundhaltung dahintersteckte oder nicht: Vizelin hielt sich in diesen politisch unruhigen Zeiten mit seinen Aktivitäten zurück[698].                 

Die Situation hatte sich 1148 und 1149 nicht grundlegend geändert. Der Wendenkreuzzug war beendet und hatte wenig erbracht. Wagrien wurde kurzphasig zum Spielball außerslawischer Machtkämpfe, während die Slawen in diesem Machtvakuum ausreichend Gelegenheit fanden für „Räubereien“[699]. Ihr militärisches Potenzial reichte aus, um in Dänemark von See her einzufallen. Der Weg über das Meer war aufgrund der Umklammerung der einzig verbliebene Weg für sie aus Wagrien heraus. Zudem konnten sie auch weiter ihren „Götzen [opfern] und nicht Gott“, was zeigt, dass sie religiös wie militärisch noch immer machtvoll waren. Politisch waren sie jedoch schon längst in deutscher Abhängigkeit[700], wodurch sie nicht auf deutsches Gebiet ausgriffen.

Der scheinbare Frieden ab 1149 ermöglicht die „Wiederherstellung der vor Zeiten eingegangenen Slawenbistümer“, da der vor langer Zeit unternommene Versuch, die Slawen zu bekehren, gescheitert war[701]. Hierfür wurde Vizelin zum Bischof von Oldenburg geweiht, „obgleich er schon vorgerückten Alters [...] war“[702]. Die Wahl erfolgte durch Erzbischof Hartwig (1118- 1168) und ohne die Zustimmung des Grafen Adolf oder des Herzogs[703], was gerade Graf Adolf sehr ärgerte[704]. Vizelin, ein Mann in den 50er Jahren, zumal mit dem Wissen um den Investiturstreit im Mittelalter[705], hatte in den Augen des Grafen nicht ohne dessen Einwilligung dieses hohe Amt erhalten dürfen. Möglicherweise war Vizelin jedoch davon ausgegangen, dass sich Erzbischof Hartwig die Zustimmung des Grafen eingeholt hatte und seine Ernennung damit rechtlich abgesichert war. Er selbst hatte das Amt nicht von sich aus angestrebt und wurde nun Gegenstand eines politischen Kampfes zwischen geistlicher und weltlicher Macht[706].

Gänzlich ahnungslos kann Vizelin aber nicht gewesen sein. Als erfahrener und belesener Mann der Kirche hätte er sein Veto einlegen können wegen begründeter Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für seine rechtmäßige Ernennung gegeben waren. Hier kam wahrscheinlich wieder der von Jugend an trainierte Geistliche zum Vorschein, der als Diener aller (siehe ab Laon, das Jahr 1122/23; Vizelin entscheidet sich für die evangelischen Räte) grundsätzlich Anweisungen Folge zu leisten hatte (auch der Beamte in ihm ist noch sichtbar).

Besonders trifft dies auf Befehle der Kirchenoberen zu[707]. Der Geistliche hatte immer zur Verfügung zu stehen und gehorsam zu sein[708]. Als Teil der evangelischen Räte wurde Demut als Gehorsam definiert, besonders auch innerhalb der kirchlichen Hierarchie. Gehorsam galt immer, auch über eigene Bedenken hinaus (4. Stufe der Demut)[709]. Die Parallelen zum Militär sind hier wieder sehr deutlich. Diese Einstellung galt bis in die jüngste Vergangenheit: Der Katholizismus im deutschen Kaiserreich zeigte noch stark die anerzogene soldatische Tugend des Gehorsams. In diesem Fall stand Vizelin vor dem Erzbischof regelrecht stramm[710]. Als sein Vorgesetzter war dieser allmächtig[711] und im Recht, absoluten Gehorsam von seinen Untergebenen zu verlangen. Diesen Gehorsam hatte ein älterer Geistlicher wie Vizelin ohnehin vollständig verinnerlicht[712], denn auch die Bibel verlangte dies von ihm.

Vizelin hatte in seinen Augen somit wahrscheinlich gar keine Wahl und musste das Amt des Bischofs annehmen. Selbst Martin Luther (Augustinermönch) bekam beim Ablegen seines Ordensgelübdes noch zu hören, dass er nur für „den Preis des Gehorsams das ewige Leben“[713] erhält. Die Antwort des Grafen folgte prompt und Vizelin wurde seines Unterhalts beraubt, denn „[nun] zog er [Graf Adolf] alle Zehnten dieses Jahres ein, die dem neuen Bischof zufallen mußten, und gab nicht das Mindeste davon heraus“[714].

Vizelins finanzielle Lage war damit entscheidend geschwächt, wodurch ihm nichts anderes übrigblieb, als mit dem Grafen zu verhandeln. Dass er dieses Gespräch überhaupt führte, zeigt, er wusste durchaus, dass die Legitimation der weltlichen Macht für seine Amtsübernahme fehlte. Als der Graf seine Bedingungen für die Anerkennung Vizelins zum Bischof diktierte[715], „schien [es] dem Bischof ein hartes Wort, war es doch der Gewohnheit zuwider. Denn es ist allein Sache der kaiserlichen Majestät, die Bischöfe zu belehnen“[716]. Graf Adolf zeigte sich wohlwollend und bot an, ihm die Belehnung mit dem Bistum aus seinen Händen zu überreichen, indem er „ein Stäblein nähme und es in eure [Vizelins] Hände gäbe zum Zeichen der Belehnung“[717].

Die Übergabe eines Lehens war im Mittelalter ein feierlicher Akt mit viel Symbolcharakter. Dabei wurde ein Gegenstand überreicht (Fahne, Zepter, Stab etc.), um die Verleihung vor aller Welt zu bezeugen. Diese Geste ersetzte meist ein geschriebenes und beglaubigtes Dokument – sinnvoll in der mittelalterlichen Gesellschaft, die hauptsächlich aus Analphabeten bestand. Der symbolische Akt stellte einen verbindlichen Vertragsabschluss dar und band die Menschen fest an ihre vorgezeigte Aufgabe/Verpflichtung[718]. 

Vizelin wollte die Belehnung noch bedenken, doch da ereilte ihn im Jahr 1149 ein schwerer Schicksalsschlag. Auf der Rückreise von den Verhandlungen mit dem Grafen erlitt er einen Schlaganfall. Im Mittelalter war hierfür noch kein Heilmittel bekannt, sodass ihn eine Lähmung befiel, „an der er bis an sein Lebensende gelitten hat“[719]. Wahrscheinlich war er nun ans  Bett gefesselt und musste dort verweilen, bis die Symptome etwas nachließen. Abwarten und Vertrauen auf Gott waren die einzigen Möglichkeiten, diesem schweren Krankheitsbild zu begegnen.

Als Vizelin wieder fahrtauglich war, wurde er mit einem Wagen nach Neumünster gebracht. Seinen Amtsgeschäften konnte er aufgrund seiner Erkrankung aber eine längere Zeit nicht nachgehen. Erst nach mehreren Monaten und erst im Jahr 1150 beschäftigte er sich wieder mit dem Vorschlag Graf Adolfs.

Das Jahr 1150 erbrachte aber zunächst keine Entscheidung. Durch die geschrumpften Einnahmen konnte Vizelin nur wenige Ausgaben für die Missionierung tätigen. Trotzdem wurde das „Bethaus in Cuzalina/Högersdorf eingeweiht […], ferner auch die Kirche zu Bornhöved“[720], was u.a. Vizelins Vorarbeit zu verdanken ist. Er bereiste auch weiterhin Wagrien: So „kam [er] auch in die neue Stadt, Lübeck genannt, stärkte die Einwohner (im Glauben) und weihte dort Gott dem Herrn einen Altar“[721]. Dann reist er in sein Bistum Oldenburg, das auf ihn aber alles andere als einen christlichen Eindruck machte. Das slawische Heidentum war noch vorherrschend, worauf Vizelin gleich ans Werk ging. Dazu die Slawenchronik:

„Von da reiste er weiter und besuchte Oldenburg, wo einst der Sitz des Bistums gewesen war[722], empfangen von den heidnischen Bewohnern jenes Landes, deren Gott Prove war. Der Priester, der ihren Götzendienst leitete, hieß Mike […]. Nun begann der Gottesmann (Vizelin) den Barbaren den Weg der Wahrheit zu weisen, welcher ist Christus und er ermahnte sie, von den Götzen zu lassen, um zum Bade der Wiedergeburt zu eilen. Doch nur wenige Slawen wandten sich dem Glauben zu, denn sie waren äußerst lässig und ihre Fürsten waren noch nicht geneigt, den Sinn dieser Empörer gewaltsam zu bändigen. Der Bischof gab jedoch Holzfällern Geld zum Bau eines Heiligtums, und in der Nähe des Walls der alten Burg, wohin das ganze Land sonntags zum Markte zu kommen pflegte, begann das Werk“[723].

Vizelin stieß somit noch auf feste slawische Strukturen, die sich zwar bereits im Zerfall befanden, aber oberirdisch weiter sichtbar waren (siehe Exkurs 11, an der Oldenburg wurde noch ein Markt abgehalten, sonst war sie aber schon unbewohnt). Es war ein Kampf gegen Windmühlen, aber die Erlaubnis, ein Bauwerk errichten zu dürfen, zeigt auch, dass es doch auch vereinzelt Interesse am neuen Glauben gab.

Trotz seines Schlaganfalls und fortgeschrittenen Alters war sein Wille weiter ungebrochen und wie in den Jahren zuvor war er auch 1150 noch ein Streiter Gottes mit vollem Eifer für die Sache, was sein Besuch in Oldenburg zeigt. Das bezeugt auch sein Selbstbildnis/Selbstverständnis von 1150, erhalten in der Vicelin-Urkunde, da „[ich] ja sogar nach fast vollständiger Vernichtung der zur Hamburger Metropole gehörigen slawischen Bischofssitze zur bischöflichen Würde erhoben worden und zugleich zum Vorsteher für die slawisch-wagrische Region bestimmt worden war, um das Heidentum gänzlich zu vernichten und das Christentum überall einzuführen, war ich (Vizelin), wie es meine Pflicht war, so wie ich konnte, ein sorgfältiger Arbeiter“[724].

Weiter hatte er sich, laut dieser Selbstbeschreibung, zu diesem Zeitpunkt schon lange „um die Ausbreitung der Ehre des Namens des Herrn in der [obengenannten] heidnischen Region unter großer Anstrengung bemüht […], gleichsam unerträgliche Qualen sowohl durch Plünderungen zeitlicher Güter, Verbrennen von Gebäuden, als auch bei Verwundung und Ermordung meiner Brüder und der mit mir Wohnenden durch Gefangenschaft und Vernichtung erlitten“[725]. Vizelin bekräftigt hier noch einmal seinen unermüdlichen Einsatz für die Bekehrung der Heiden und die Neugründung vieler Kirchen in Wagrien[726].

Als Beamter konnte er aber auch rechnen und deswegen musste nun etwas geschehen, damit die Einnahmen wieder flossen, die er für die Verwirklichung seiner Ziele brauchte. Ohne Geld war es unmöglich, in Wagrien voranzukommen. Zähneknirschend wird er diese ungünstige Lage zur Kenntnis genommen haben, die seinen Bestrebungen und damit Gottes Plan selbst im Wege stand. Er nahm sich selbst als denjenigen war, der als Einziger im Stande war, alle Leiden und Qualen zu überstehen. Gott hatte seine schützende Hand über ihn gehalten auf seinem Weg nach und in Wagrien, ihn mit den nötigen Charaktereigenschaften samt Vorbildfunktion ausgestattet und ihn wie die Apostel ausgesandt, die ihr Werk ja ebenfalls unter widrigen Umständen vollbracht hatten. Die Vicelin-Urkunde offenbart dieses Selbstverständnis, das zu dieser Zeit noch gefestigter wurde[727]. Leider sprach die Politik eine andere Sprache. Das muss er nun einsehen.                                                        

Der heidnische Zustand in Oldenburg macht Vizelin deutlich, dass er mit seinen geringen Mitteln keinen christlichen Durchbruch würde erreichen können. Ende 1150 bis 1151 begab er sich daher zum Herzog[728], um das Lehen von ihm zu empfangen. Er hatte keine andere Wahl und „empfing das Bistum durch den Stab aus der Hand des Herzogs“[729]. Graf Adolf stimmte der Wahl nun auch zu und ließ „den halben Zehnt zugunsten des Bischofs fahren, (aber) nicht pflichtmäßig, sondern als Gnadenerweis, denn noch sind die bischöflichen Angelegenheiten nicht geordnet“[730]. Vizelin bekam Bosau[731] zugesprochen, samt Vorwerk Dulzaniza, „auf daß ihr dort inmitten eures Landes ein Haus bauen und auf unsere Rückkehr warten könnt“[732].

Im Land Wagrien herrschte im Jahr 1151 soweit Frieden, dass der Lübecker Marktverkehr zunehmen und die Kaufleute ihre Schiffsflotte erweitern konnten. Vizelin siedelte endgültig nach Bosau über „und lagerte unter einer Buche, bis Hütten errichtet waren, in denen man wohnen konnte“[733]. Auch „begann er nun eine Kirche zu erbauen im Namen des Herrn und zum Gedächtnis des heiligen Petrus, des Apostelfürsten. Das Hausgerät aber und was zum Ackerbau nötig war, ließ der Bischof aus Högersdorf und Faldera kommen“[734]. Trotz Schlaganfalls und daraus folgender Lähmung zeigte sich Vizelin weiter eifrig und voller Tatendrang. Die Kirchengründung war dabei sicherlich neu, grundsätzlich besiedelt war die Halbinsel aber schon vorher durch slawische Bevölkerung.


 

[Exkurs 12: Vizelin und „seine“ Kirche zu Bosau

a.    Der heutige Standort/Auffindungssituation

Bosau liegt am Plöner See. Im Ort kann der Folgebau der Kirchengründung Vizelins besichtigt werden:

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Die Kirche zu Bosau, linker Weg: Gehweg zum Eingang im Turm.


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Heutige Kirche, der Turm wurde nach den Zerstörungen des 30jährigen Krieges neu erbaut (zuvor war er rund).

Die heutige Kirche zu Bosau erlebte Vizelin in ihrem Endzustand nicht mehr, da er vorher starb. Diese Art von Kirchen erstreckt sich über ganz Ostholstein und wurde so erst im Laufe des 12. Jahrhundert bis um ca. 1200 vollendet. Trotz allem definieren sie den Typus Vizelinkirche und werden so durch ihre Namensgebung mit ihrem Gründer in Verbindung gebracht. Die ostholsteinischen Vizelinkirchen können hierbei grob zusammenfassend beschrieben werden als aufgebaut aus einem Langhaus, einem eingezogenen Chorquadrum mit halbrunder Apsis und rundem Westturm, der eine Turmhalle beinhaltet. Heute findet man sie noch im ländlichen Gebiet. Als Baumaterial wurden Feldsteine, Gips für den Anstrich und Mörtel verwendet[735].

 

b.     Der von Vizelin geplante Bau?

Anscheinend hatte man sich aber erst nach Vizelins Tod (1154) auf diese Form der Kirche geeinigt, da die archäologische Ausgrabung in Bosau zu anderen Ergebnissen kam[736]. Demnach wurde anfangs eine Rundkirche mit zentraler großer Rotunde von 15 m Durchmesser und ein sehr bescheidener, kleiner, rechteckiger Chor in östlicher Richtung geplant[737]. Diese Form entsprach den im nördlichen Europa bekannten Rundkirchen[738] und auch in östlichen Gebieten lassen sie sich früh finden[739]. Dies deutet ein weitverbreitetes, bautechnisches Wissen an, das bei den Slawen aber von außerhalb geholt werden musste[740], hier eben, wie bei Helmold erwähnt, aus Segeberg[741], wo ja auch der Bindungskalk herkam:

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Heutige Kirche mit älterem, rundem Fundament, Tafel mit Aufschrift über die Entdeckung.

Für Bosau müssen sich die Pläne im Anfangsstadium des Baues schon geändert haben, da das Rundfundament nur teilweise vermörtelt war[742]. Vizelin konnte dort aber schon 1152 eine Predigt halten (siehe das Jahr 1152), was bedeutet, dass der Hauptaltar wohl bereits stand. Ziel war wahrscheinlich der Bau einer eher schlichen, kleinen Taufkirche, worauf der von Vizelin vergebene Name für die Kirche St. Petri hinweist[743]. Das Fundament war jedenfalls wenig spektakulär und zeigt eher, um was es im Slawenland immer noch ging, nämlich eine möglichst schnelle Bekehrung der heidnischen Slawen[744]:

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Grundrissrekonstruktion des fraglichen Erstbaus der Kirche zu Bosau: Es ergibt sich ein kreisrunder Zentralbau von ca. 15 m Durchmesser; nach Osten ein ca. 4,30 m breiter Raum, der schon zur Lebenszeit Vizelins vollendet gewesen sein konnte[745]. Er wird hier deswegen überdacht rekonstruiert.

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Rekonstruktionsvorschlag für die erste Bauphase.

 

c.      In der Forschung wird schon länger die Möglichkeit diskutiert, dass es eine kleine Rundkirche gab oder diese geplant war, da zwei Beispiele aus Schleswig-Holstein in den zeitlichen Rahmen zu Bosau passen[746]. Da wäre zum einen die Michaeliskirche in Schleswig und zum anderen die Kirche in Schlamersdorf, 10 km südlich von Bosau. Beide datieren ins 12. Jahrhundert und zeigen große Übereinstimmung im Grundriss mit dem archäologischen Befund. Für eine genauere Zuordnung müsste aber über die Innengliederung der Rotunde in Bosau mehr bekannt sein, was bisher nicht erforscht ist und was vielleicht nach Vizelins Tod auch gar nicht mehr zur Umsetzung kam.[747] Der Ausgräber hält eine geplante Säulenanordnung innerhalb der Rotunde für möglich, da die Größe der Rotunde dies zulässt[748]. Dies würde eher für eine Bauweise wie in Schlamersdorf sprechen, wo vier mächtige Säulen ein Kreuzgratgewölbe stützten[749].

Die Michaeliskirche bot anfangs nur einen leeren Raum und später den Anbau einer Innenrotunde, was wohl der klösterlichen Nutzung geschuldet war (Schaffung einer Galerie als Nonnenchor). Zudem wird bei der Michaeliskirche eine ursprüngliche Zugehörigkeit zu einem königlichen Hof als Hofkapelle diskutiert[750]. Schlamersdorf zeigt daher mehr Parallelen zu Bosau, allein schon durch die geografische Nähe, denn Vizelin musste mit den Arbeitskräften vor Ort vorliebnehmen, Die Slawen waren dafür nicht zu gewinnen oder nicht erfahren genug, wodurch ein Mangel herrschte an jeglicher Art von Facharbeitern für den Kirchenbau, wie Maurern, Zimmerleuten etc.[751]. Auch seine Krankheit ließ Vizelins wohl nicht weit schauen und langwierig planen, da er sich bewusst war, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Da bot sich ein kleiner wehrhafter Bau wie in Schlamersdorf eher an.

Rundkirchen waren auch bei Vizelins Orden (Augustiner-Chorherren) bereits bekannt, wie der Bau von Lonnig bei Koblenz zeigt, wobei hier aber mehrgeschossig gebaut wurde. Der Ursprung und Zweck dieser auch im skandinavischen Bereich verbreiteten Kirchen ist nicht bekannt, doch wird auch hier u.a. eine Funktion als Taufkirche angenommen[752]. Dieser Funktion konnte die Kirche unter den Slawen reichlich nachgehen, was beim eifrigen Missionar Vizelin auch ein Grund für den Kirchenbau war. Der Ausgräber selbst sah in Bosau eher eine Kirche ohne Obergeschoss, was ebenfalls eher für einen ausschließlichen Sakralbau wie in Schlamersdorf spricht[753].

Eine aufwendigere Kirche hätte man in der Vizelin verbleibenden kurzen Lebenszeit nicht mehr realisieren können, da das Land Wagrien keine Infrastruktur hatte, um Arbeitskräfte und Material zügig herbeizuschaffen[754]. Das alles stützt den archäologischen Befund eines einfachen Rundbaues ohne Obergeschoss zum Zwecke sakraler Tätigkeiten.

Die Innenausstattung der Kirche zu Bosau ist erst nach Vizelins Zeiten entstanden, nur das Taufbecken hätte schon in der Kirche Platz gefunden[755]. Für die Rekonstruktion wird auf die ursprüngliche Planung  von Vizelin zurückgegriffen. Da es aber nie zur Ausführung kam, wird das Drahtgittermodell belassen. Als Vorlage diente die Überlieferung der Kirche in Schlamersdorf, die im 19. Jahrhundert durch einen Brand vernichtet wurde (die Kirche existiert nicht mehr).

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Grundrissrekonstruktion mit Kreuzgratgewölbe nach dem Vorbild von Schlamersdorf.


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Rekonstruktionsvorschlag mit Kreuzgratgewölbe nach dem Vorbild von Schlamersdorf, Blick nach oben ins Kreuzgratgewölbe.


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Grundrissrekonstruktion mit Kreuzgratgewölbe bei heutiger Kirche, Kegeldach als Rekonstruktionsvorschlag.


Zusammenfassung:

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Rekonstruktionsvorschlag der anfänglich geplanten Kirche zu Bosau. Da sie wahrscheinlich nie zur Umsetzung kam bzw. eine Planungsänderung zu Beginn der Bauphase stattfand, wird der Hauptbau als Drahtgittermodell belassen.]




 (Fortsetzung Hauptteil, Teil 2)      

Vollständig hatte sich das Verhältnis zwischen Vizelin und Graf Adolf somit nicht entspannt, denn noch waren für den Grafen die „bischöflichen Angelegenheiten nicht geordnet“ (siehe oben). Er, „sonst so trefflich, gerade dem Bischof wenig wohlgesonnen“[756], verzögerte durch seine Nichtunterstützung ein schnelles Erblühen des Bistums. Im kleineren Rahmen bildet diese Auseinandersetzung den mittelalterlichen Investiturstreit ab. Helmold schildert ausführlich Graf Adolfs „gegen den Bischof bewiesene Hartherzigkeit“[757], eine schnelle Streitbeilegung war nicht in Sicht.

Als Beobachter nahm Vizelin ein Jahr später, 1152, am Hoftag von Merseburg teil[758]. Hier fand große Politik statt. Vizelin fungierte dabei eher als Zuschauer denn als aktiver Part. Trotzdem kam auch hier seine umstrittene Belehnung wieder zur Sprache: „Der Erzbischof riet nun dem Bischof Vizelin, die Belehnung (nochmals) aus der Hand des Königs[759] zu empfangen.“[760] Vizelin hatte aber dazugelernt und fügte sich diesmal nicht vorbehaltlos seinem Kirchenoberen. Er wusste, dass dem Herzog sein eigenmächtiger Vorstoß noch stets ein Dorn im Auge war, den Bischofsposten ohne seine Zustimmung angenommen zu haben. Diesen Konflikt wollte er auf keinen Fall weiter verschlimmern oder gar eskalieren lassen. Denn der Untergebene des Herzogs, „Graf Adolf, der so oft bewährte, ließ in der Bischofsfrage [nicht] wirklich mit sich reden“[761], wodurch Vizelin dort in eigener Sache nicht vorankam.

Vizelin kehrte daraufhin nach Bosau zurück, „wo er Haus und Kirche zu bauen begonnen hatte, und predigte der dort versammelten Gemeinde Gottes Wort“[762]. Die Kirche (Exkurs 12) war noch in der Bauphase und der Streit zwischen Vizelin und Graf Adolf nicht beigelegt, doch erreichten immer mehr Neusiedler die umliegenden Ortschaften um Bosau. Die Christen füllten langsam das Land auf, konnten aber nach wie vor Ziel slawischer Überfälle werden und lebten „wegen der räuberischen Überfälle in großer Furcht“[763].

Die Slawen hatten ihren Stützpunkt am Plöner See verloren (siehe oben: Burg Plune, Exkurs 8) und dieser war auch nicht wiederaufgebaut worden. Trotzdem konnten slawische Verbände aus Wagrien einbrechen und bedrohten damit die Neusiedler bzw. Vizelins Werk. Mit Inbrunst predigte Vizelin deswegen „vor dem Altare zum Herrn, indem er den starken Gott anrief, seinen Dienst an diesem Orte auszubreiten wie in der ganzen Weite des Slawenlandes. Wiederholt aber verhieß er den Neuzuwanderern unter anderen Trostworten, daß der Dienst am Hause des Herrn in kurzem stark zunehmen werde; sie sollten zuversichtlich mit zäher Geduld auf bessere Zeiten hoffen“[764].

Was Vizelin zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, ist, dass dies seine letzten Worte geistlichen Zuspruchs sein sollten. Seine Tage und sein Werk in Sachen Christi waren von nun angezählt, denn eine Woche später ereilte den Streiter Gottes in Neumünster ein zweiter Schlaganfall. Diesmal kam es zu einer kompletten rechtsseitigen Lähmung und zum Verlust der Sprache[765], was seine Hauptaufgabe, Predigt und Seelsorge, unmöglich machte. Spätestens jetzt konnten die Ärzte nichts mehr für ihn tun, denn sie „mühten sich um den Kranken, doch erfolglos“[766]. Die nächsten zwei Jahre verbrachte er „auf dem Krankenlager [...] und konnte weder sitzen noch liegen. Die Brüder aber pflegten ihn mit hingebender Sorgfalt, reichten ihm Speise für den Körper und trugen ihn in die Kirche. Denn nie wollte er bei der Messe oder dem heiligen Abendmahl fehlen, sofern es ihm nicht zunehmende Leiden unmöglich machten“[767]. Bis zum Schluss zeigte er sich somit engagiert für die christliche Sache, die er mit zäher Geduld und als Vorbild für Wagrien bis zu seinem Lebensende verfolgte.

Im Jahr 1154 verstarb Vizelin und sein „Leichnam wurde in der Kirche von Faldera beigesetzt“[768]. Helmold schildert jedoch, dass er den Menschen in Visionen und Träumen auch nach seinem Tod noch erschien mit Botschaften für seine einstige Umgebung. Diese Art Erscheinungen findet man in der mittelalterlichen Literatur häufig. Einmal erscheint Vizelin mahnend einer Frau aus Segeberg, „in Priesterlichen Gewande“, um ein Versäumnis anzuprangern. Ein anderes Mal forderte er eine Frau im Traum auf, die Trauer um ihn zu beenden, denn „er [zeigte] ihr ein schneeweißes Gewand, das ganz von Tränen benetzt war“[769]. Die Menschen erinnerten sich offensichtlich vor allem an seine Zeit als Priester, da er ihnen in priesterlicher Kleidung erschien[770]. In beiden Fällen waren die Frauen Außenstehende, die Vizelins Nachrichten an seine einstigen Mitbrüder zu übermitteln hatten. Vorfälle dieser Art häuften sich. Unter anderem erschien Vizelin jemandem mit der Nachricht, dass man ihm „eine Ruhestätte neben dem weltberühmten Bernhard von Clairvaux bereitet“[771] habe. Noch ein Jahr nach seinem Tod erschien er einer blinden Frau im Traum und gab ihr vermeintlich das Augenlicht zurück.

Diese Wunder ereigneten sich vor allem kurz nach seinem Tod und Helmold lobpreiste: „Berge sein Beispiel im Geist, wie sein Gebein in der Gruft. Auch ihr, die ihr an der hohen Tafel der Lübecker Kirche sitzt, preist diesen Mann, einen Mann, sage ich, den ich in klaren Worten vor euch hinstelle; klar zumal deshalb, weil wahr. Diesen Mann werdet ihr nämlich nicht gänzlich verleugnen können, der zuerst in eurem neuen Bischofssitz den Stein aufrichtete zu einem Male und Öl oben darauf goß.“[772]

Helmold von Bosau machte hier unmissverständlich klar, wer in unermüdlichem Einsatz den Grundstein für den christlichen Glauben im östlichen Schleswig-Holstein, d.h. in Wagrien, gelegt hat. Und auch er selbst profitierte von dieser Pionierarbeit: 1156 wurde er Pfarrer in Bosau, Vizelins Gründung.

 

[Exkurs 13: Was kam nach Vizelin/die Lokatoren in Schleswig-Holstein und ihre Niederlassungen

a.      Ein Beispielstandort/heutige Auffindungssituation

Als gut zu verteidigende Stützpunkte mit Ansiedlungen umher wählten die Lokatoren häufig den Mottenbau, der in Lütjenburg als Nachbau zu besichtigen ist[773]. Vorlage waren hier u.a. archäologische Ausgrabungen am Kleinen Schlichtenberg, ehemaliger Gutsbezirk Futterkamp, 3,5 km östlich der Kleinstadt Lütjenburg. Der gesamte Bereich umfasst mehrere Fundstellen (Hochborre, Kleiner und Großer Schlichtenberg), aus denen der Kleine Schlichtenberg herausgenommen wurde, da er als kleine Anlage repräsentativ für die ab dem späten 12. Jahrhundert einsetzende Ostkolonisation ist[774]:

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Weg zum Großen und Kleinen Schlichtenberg, links muss ins Gelände abgebogen werden.


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Biegt man ganz links ab, ist der Hügel des Kleinen Schlichtenbergs im Gelände erkennbar, dort auch mit Beschreibungsschild markiert (Verweis auf die Ausgrabung).

Definition, Funktion und Datierung von Motten

Eine Motte ist eine Burganlage – bestehend aus einem meist konischen Erdkegel (Motte), einem Turm/Haus auf dieser Erdschüttung und häufig einer oder mehrerer Vorburgen, die zusätzlich durch einen Wall geschützt sein konnten. Um den Erdkegel und die Vorburgen wurden häufig Gräben angelegt[775]. Vorburgen wurden nicht immer mit angebaut, sodass die Funktion der Motte dann eher in der Überwachung von Straßen oder dem Abstecken von Stadtgebieten zu suchen ist. Eine andere Möglichkeit ist, dass der zugehörige Wirtschaftshof in weiterer Entfernung erbaut wurde und die Motte isoliert im Gelände stand[776]. Der Turm wurde von der adligen Familie als Wohnraum genutzt, konnte aber auch, durch seinen Wehrcharakter, im Belagerungsfall zum Einsatz kommen[777]. Dabei strebten die „Kleinunternehmer“ meist – streng nach mittelalterlicher Manier – Autarkie an, um die Selbstversorgung sicherzustellen. Dies hatte nicht nur militärische Beweggründe, sondern gehörte auch zum stolzen Selbstbild eines mittelalterlichen Gutsherrn[778]. Der Turm war dadurch mehrstöckig aufgeteilt, um den verschiedenen Belangen gerecht zu werden.

Die Turmnutzung mit den verschiedenen Wohneinheiten wird durch die schriftliche Überlieferung mit den Beschreibungen der jeweiligen Geschosse deutlich: im Erdgeschoss waren Keller und Speicher, im ersten Stock folgten die Räume des Herrn, meist mit repräsentativerer Ausstattung, und darüber lagen die Räume seiner Kinder und der Wachmannschaft. Den oberen Abschluss bildete dann noch eine Kampfplattform[779].

        

Auch das Beispiel am Kleinen Schlichtenberg ist so eine einteilige Motte ohne Vorburg, die gerade in diesem Gebiet gehäuft vorkommt[780]. Die Funde zeigten aber keine bescheidenen Verhältnisse, die für eine reine Wachmannschaft angenommen werden können, sodass hier wohl ein Adelssitz lag mit unbekannter wirtschaftlicher Versorgung[781]:

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Heutiger Mottenhügel des Kleinen Schlichtenbergs im Gelände und das Drahtgittermodell.

Die adligen Lokatoren kannten diese Bauweise schon, sie kam spätestens im 11. Jahrhundert in Deutschland auf[782], wobei die Mottenbauweise wohl aus dem französischen Gebiet übernommen wurde[783]. Im südlichen Schleswig-Holstein konnten die frühesten Belege für den Mottenbau ab dem Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts belegt werden[784]. Hier fanden sich die ersten Lokatoren ein, die sich kämpfend gegen die Slawen hervortaten und zur Sicherung ihres Gebietes Motten bauten. Von hier aus kontrollierten sie die von ihnen abhängigen Bauern, die sie ebenfalls ins Land holten (siehe Exkurs 4, und das Jahr 1143, Karte)[785]. Zu ihnen gehörte der Overbode Markrad (Erwähnung bei Helmold im Jahr 1126), dessen Sitz aber nicht verortet werden kann.

Für das nordöstliche Schleswig-Holstein wurden bisher nur wenige Motten eingehend untersucht. Zu diesen gehört die Motte vom Schlichtenberg/Futterkamp, deren Ausbau aber erst weit nach dem Tod Vizelins stattfand. Die Forschung setzt den Beginn des flächendeckenden Ausbaus mit Motten in Schleswig-Holstein erst ab dem 13. Jahrhundert an[786] mit einem Zenit im 14. Jahrhundert[787]. Die Datierungen stützen sich häufig jedoch auf die schriftliche Ersterwähnung in den Quellen, wodurch auch im nordöstlichen Schleswig-Holstein frühere Bauphasen möglich sein können[788]. Als gesichert gilt die Datierung der zweiphasigen Anlage Schlichtenberg. Hier kam es zur deutschen Ansiedlung auf dem Großen Schlichtenberg von 1200 bis 1400 und auf dem Kleinen Schlichtenberg von 1356/57 bis 1360/70 (genaue Datierung aufgrund der Dendrochronologie[789]). Ab 1433 wurde es dann zum Gut Futterkamp[790].

 

b.     Der Hügel und die Gräben der Motte

Der Hügel des Kleinen Schlichtenbergs erhebt sich heute nur noch 2,2 m ü. NN[791] und zeigt dadurch seine ursprünglichen Ausmaße nicht mehr. Durch die ausfließenden Schichten erscheint er heute abgeflachter und nicht mehr so mächtig wie im Mittelalter[792]. Sicherlich war er bei weitem höher mit einem abschließenden oberen Plateau für die Aufbauten[793]. Die Spanne möglicher Höhen ist recht groß. Hier wird – wieder bedingt durch die Schrägung des Hügels und den Platz für die Aufbauten – eine Höhe von 6 m angenommen:

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Schematische Rekonstruktion, ausgehend von der heutigen Topografie und einer angenommen Schrägung des Hügels[794]. Das Plateau muss noch Platz für die Aufbauten bieten.


Die archäologische Ausgrabung erbrachte einen äußeren Graben von 4 m und einen inneren Graben von 10 m Breite[795]. Beide umschlossen den Hügel:

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Schematische Rekonstruktion des Hügels und der beiden Gräben nach archäologischem Befund.


Pfähle am Hügelfuß sollten die Erosion verhindern, was auch der Befund am Kleinen Schlichtenberg zeigt. Schließlich umgab den Hügel ein mit Wasser gefüllter Graben, wodurch es sonst zum Abtrag gekommen wäre[796]. Palisaden auf dem Plateau können aus der schriftlichen Überlieferung rekonstruiert werden[797]:

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Rekonstruktionsvorschlag mit Pfählen am Hügelfuß und oberen Palisaden.

 

 

c.      Der Turm

Auf die künstlich erzeugte Hochfläche wurde erst ein hölzerner, später ein steinerner Turm gesetzt[798], der oval, rundlich oder rechteckig sein konnte[799]. Für den Kleinen Schlichtenberg konnte eindeutig eine rechteckige Grundform von ca. 8 x 7 m festgestellt werden[800]:

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Rekonstruktionsvorschlag für den Grundriss des Turmes aufgrund des archäologischen Befundes.


Die bei der archäologischen Untersuchung aufgedeckten tragenden Pfosten (sieben Eichenpfosten) zeigten durch ihre Mächtigkeit und durch ihren Eintrieb in den Hügel, dass sich hier sehr wahrscheinlich ein mehrstöckiger Turmbau befunden hat[801]. Schwer ist jedoch, bei der Rekonstruktion das Aufgehende zu bestimmen, da archäologische Befunde nur die Substruktion darstellen. Es zeigte sich jedoch, dass sich die Traditionen im Zimmermannshandwerk über Jahrhunderte gehalten haben und Grundprinzipien auch in jüngeren Bauten zu finden sind. So erforderten bäuerliche Speicherbauten die gleichen Fachwerkkonstruktionen wie hoch aufragende Türme bzw. die bäuerlichen Speicherbauten ähnelten hölzernen Türmen sehr stark[802].

Große Übereinstimmung zum Turm zeigt auch der im Norden häufig anzutreffende Glockenstuhl, der wahrscheinlich, wie die Speicherbauten, einer adligen Bautradition entspringt[803]. Die Nachahmung einer höheren Gesellschaftsklasse ist in der Geschichte häufig anzutreffen. Dabei zeigen die nördlichen Glockenstühle schon rein äußerlich ein konkretes Bild einer Motte, z.B. der Glockenturm von Schwabstedt, Nordfriesland[804]. Er wies im 19. Jahrhundert noch einen kreisförmigen Wall um seinen steil gewölbten Hügel auf, was eher für Verteidigungszwecke und nicht für die Unterbringung einer Glocke spricht[805]. Auch hier wurde alte Handwerkskunst überliefert: Die ersten Glockentürme datieren um 1000 n. Chr.[806]

Dies alles auf den Holzturm am Kleinen Schlichtenberg zu übertragen, heißt, die tragende Substruktion des archäologischen Befundes aufgehend in die Höhe zu rekonstruieren und für die Grundkonstruktion die Verwendung von hölzernen Andreaskreuzen anzunehmen[807]. Die schrägen Andreaskreuze dienen der Aussteifung der senkrechten und waagerechten Hölzer und haben sich bis heute in der Bautradition erhalten. Sie dienten dem Abfangen der nach außen strebenden Kräfte und ermöglichten den Geschossbau. Inwiefern schon zu Vizelins Zeiten diese Bauweise für die Motten belegt ist, ist nicht geklärt, doch zeigen bildliche Überlieferungen von militärischen Turmbauten schon die schrägen, überlappenden Hölzer der Kreuze[808], wodurch das bautechnische Wissen schon vorstellbar ist. Für Norddeutschland sind die gekreuzten Aussteifungen ab dem 15. Jahrhundert nachweisbar[809]:

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Rekonstruktionsvorschlag für den tragenden Grundbau des Turms.

Bei der darüberliegenden Wandkonstruktion ist der Ständerbohlenbau oder der Stabbau möglich. Beides kommt infrage und lässt sich meist nicht mit Sicherheit bestimmen[810]. Eine jüngere Fachwerkbauweise mit Lehmgefachen wird für den Kleinen Schlichtenberg ausgeschlossen, da Staklehm im Fundmaterial nicht angegeben wird[811]. Dadurch wird ein reiner Holzbau angenommen. Vorbild ist der heute zu besichtigende Nachbau in Lütjenburg, der nach wissenschaftlichen Kriterien rekonstruiert wurde[812]:

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Rekonstruktionsvorschlag für den Turm in Holzbauweise, nach dem Vorbild der Lütjenburg.

 

d.     Die Brücke

Für die Brücken wählte man wohl feststehende Formen, da in den Ausgrabungen häufig Pfostenstümpfe entdeckt wurden. Auch zeigt der Teppich von Bayeux diese Art von ansteigenden Brücken, die über den Hügelgraben verliefen. Sie werden auch für den Kleinen Schlichtenberg angenommen[813]. Gefunden wurden in den Boden eingetriebene Eichenpfosten, die paarig in Richtung Hügel/Turmbau verlaufen. Eine Eichenholzbohle von 1,9 m wird als Brückenbelag gedeutet. Die Brücke hatte damit eine Breite von ca. 2 m[814]. Vorbild für die Rekonstruktion der Brücke ist erneut die Lütjenburg.

Hier muss jedoch der Befund des zweifachen Grabens am Kleinen Schlichtenberg Beachtung finden. Abweichend von anderen Motten, die nur einen Graben aufweisen, wäre hier eine geradlinig, schräg vom Plateau verlaufende Brücke mit einer erheblichen Länge verbunden, die durchgängig hätte gestützt werden müssen[815]. Eine solche überdimensionale Brücke ergibt sich aus der archäologisch bestätigten Tatsache, dass schon der innere Graben eine Breite von 10 m aufwies. Der weitere Graben kam dann noch hinzu. Dieser erhebliche Mehraufwand beim Brückenbau ist aus logistischen Gesichtspunkten unwahrscheinlich (Kostenaufwand bzw. Materialaufwand und die Komplexität der statischen Berechnung einer gleichmäßig ansteigenden Brücke) und wurde für die Rekonstruktion daher verworfen. Stattdessen wurde hier eine erst am Hügelfuß ansteigende Brücke angenommen:

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Rekonstruktionsvorschlag für die Brücke zum Turm bzw. der komplette Befund.

 

 

e.     Zusammenfassende Rekonstruktion

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Rekonstruktionsvorschlag für die komplette Motte (Vizelin nur zur Anschauung und als Drahtgittermodell, er war bereits verstorben).


Epilog: Interpretation des hochmittelalterlichen Menschen Vizelin und seiner Umgebung/3D-Grafiken:    

a.)   Persönliches zu Vizelin

Die eingangs erwähnte Entwicklung des hochmittelalterlichen Menschen Vizelin lässt sich beschreiben als ein Lebensweg vom Kind ohne Aufgabe und Führung zum Jugendlichen/jungen Erwachsenen, der erst durch einen bloßstellenden Vorfall auf der Burg Everstein zur Neuausrichtung seines Lebens bewegt wurde. Eine wahrscheinliche Wiedergutmachung für die vorher als verschwendet empfundene Zeit wurde ein intensives Studium, indem er die Möglichkeit der Anerkennung und Selbstbestätigung in einer Gruppe fand, die ihm auf der Burg Everstein verwehrt geblieben war.

 

Hilfreich war dabei seine neue Lebensumgebung, in der er abgeschottet vom Rest der Welt nur mit seinem Magister einen christlichen Alltag erlebte. Die Gruppe der Geistlichen wurde damit seine Familie, etwas, dass er vorher nicht gekannt bzw. nur als ganz kleines Kind erlebt hatte. Der jugendliche Vizelin wurde hier psychologisch aufgefangen und fand in der christlichen Erziehung mit ihren Anforderungen sein Ventil für die Anforderungen dieses Lebensabschnittes. Askese und die Förderung der Intellektualität brachten in Vizelin einen bis dahin ungekannten Eifer hervor. Diese Charaktereigenschaft behielt er sein Leben lang bei.

 

Zunächst war er sich noch unschlüssig, ob der Weg des Glaubens der Richtige für ihn sei. Anfangs ging es wohl in erster Linie um einen Familienersatz mit Erziehungspersonen, die ihm eine klare Aufgabe gaben. Bis zur Priesterweihe zeigte er sich als vortrefflicher geistlicher Beamter, der bis zur Schulleitung aufstieg und in Laon, Frankreich, sein Wissen vertiefen wollte. Eifer, Strebsamkeit und ein Hang zu Selbstverbesserung und Ernsthaftigkeit für den christlichen Glauben zeichneten ihn inzwischen aus.

 

Der weitere entscheidende Einschnitt in seinem Leben war die Priesterweihe, die noch mehr Selbstaufopferung und Askese erforderte. Die Bereitschaft dazu war in Laon herangewachsen. Dort wurde der Priester Vizelin geboren, der zwar schon vorher ein fleißiger Diener der Kirche war, nun aber zum Kämpfer für den Glauben wurde. Das führt ihn in das östliche Schleswig-Holstein. Von nun lag dort und auf der Wagrischen Halbinsel seine Hauptwirkungsstätte.

 

Seine weitere geistige Entwicklung lässt sich nur erahnen. Der erkennbare rote Faden ist aber der überzeugte Priester, der unermüdlich an seinem göttlichen Auftrag festhielt. Sein Handeln tritt in den vorhandenen Quellen jedoch immer mehr in den Hintergrund. Anfänglich sogar noch von der Rechtmäßigkeit militärischer Mittel zur Verbreitung des christlichen Glaubens überzeugt (siehe Empfehlung des Baus einer Burg bei Segeberg), griff er immer seltener aktiv in die Politik ein. Das könnte jedoch auch daran liegen, dass seine Kräfte ständig komplett darin gebunden waren, mit den vielen Rückschlägen umzugehen. Nicht selten war er aufgrund der gesamtpolitischen Lage zum Ausharren und Abwarten und zum Wiederaufbau zerstörter Errungenschaften verurteilt.

 

Zu einem Teil seiner Persönlichkeit gehörte weiterhin, dass die Politik nicht zu seinen Interessen zählte, wie auch alles andere nicht, was sich außerhalb seines geistlichen Lebens bewegte. Er gehörte nicht zu jener Gruppe höherer Geistlicher, die auch politisch dachten. Dafür fehlte ihm das Geschick. Er zeigte eher die für Beamte typische stark christlich geprägte Gehorsamspflicht und war somit mehr Augustiner-Chorherr als Bischof, also ein für die Ausbreitung des Glaubens kämpfender Priester, aber kein Staatsmann. Ein anderes Feld der Politik, der Krieg, deckte sich aus diesem Grunde auch nicht mit seinen Interessen. Hier blieb er sehr stumm in den Quellen, besonders in den Jahren nach dem Festungsbau in Bad Segeberg. Eine eigene Meinung Vizelins lässt sich bei Helmold nicht ausmachen. Vizelins Schweigen bzw. seine Aufforderung, die Unbill des Krieges zu ertragen, lässt sich weder eindeutig als Zustimmung noch als Ablehnung des Krieges interpretieren (wobei andere Geistliche, z.B. Saxo Grammaticus, das blutige Spektakel regelrecht verherrlichten). Unmissverständlich trat aber in jener Krisenzeit seine Beharrlichkeit und Ausdauerfähigkeit zutage, gestützt auf die Bibel.

 

Deutlich mehr Interesse zeigte er an den Pflichten der Augustiner-Chorherren, etwa dem Hospitalwesen. Hier eilte ihm sein Ruf landesweit voraus. Er hatte, wie für seine Zeit typisch, den Teufel als Hauptfeind ausgemacht, und machte daher bei der Bekämpfung der Besessenheit von sich reden, einer originären Priesteraufgabe.

 

Dass er weiterhin unermüdlich an seinen Zielen festhielt, auch als seine Erkrankung ihn schon stark schwächte, zeigt sich unter anderem an seinen Visitationsreisen in das Slawengebiet. Anweisungen zum Bau von christlichen Stätten konnte er dort noch geben, mehr war bei seinen kurzen Besuchen dort nicht mehr möglich. Ihm blieb einfach nicht mehr genug Zeit. In der Endphase seines Lebens war er vollständig pflegebedürftig, zur Messe konnte er nur noch getragen werden. Dorthin wollte er unabhängig von seinen Umständen unbedingt, sein Glauben war im Gegensatz zu seinem Körper stark. Die Aphasie hatte die Stimme des Geistlichen Vizelin aber nun bis zu seinem Tod verstummen lassen.        

 

b.)  Über den mittelalterlichen Charakter allgemein, im Text angesprochenes Verhalten

Neben persönlichen, explizit Vizelin zugeschriebenen Eigenschaften, zeigte er jedoch auch typische mittelalterliche Charakterzüge. Die Forschung belegt, dass der Einzelne im Hochmittelalter immer als Teil der Masse bzw. seiner Gruppe – und jeder gehörte zu einer Gruppe – betrachtet werden muss, wodurch sein Denken geprägt, wenn nicht gar vorherbestimmt wurde. Ein Abweichen oder ein Ausbrechen aus diesen starren Denk- und Verhaltensmusters war nicht erlaubt, ja sogar strafbar, und trat gehäuft erst im Spätmittelalter auf.

 

Auch Vizelin war ein typischer Vertreter seiner Gruppe, den Augustiner-Chorherren (Exkurs 2). Diese Gruppe entstand und war geprägt durch die tiefe Gläubigkeit der damaligen Gesellschaft. Dazu gehörte der Glauben an das Jenseits (Exkurs 7), in vorwissenschaftlicher Zeit Ziel alles Strebens im irdischen Leben. Abgesichert vom christlichen Glaubensmodell war er in allen gesellschaftlichen Schichten vertreten und brachte eine beständige Lebensangst mit sich. Der drohende Zeigefinger lauerte überall, er wurde in Gesellschaft, Kirche und Familie durch ständige mündliche Wiederholungen präsent gehalten. Die hochmittelalterliche Kunst förderte regelrecht die Angst vor dem Teufel oder seinen Helfern, den Dämonen.

 

Im irdischen Leben konnte sich diese Angst manifestieren, indem außerweltliche Kräfte in die menschliche Welt einbrechen konnten – in Form von Erscheinungen. Diese Mächte konnten aber auch regelrecht in die Menschen einfahren: die Grundlage für das Krankheitsbild Besessenheit. In diesem sehr komplexen Krankheitsbild vereinigen sich gesellschaftliche Probleme, u.a. Unterdrückung und mangelnde Bildung, und persönliche, psychische Voraussetzungen, wie die Bereitschaft zu glauben oder die Selbstbeeinflussung (weitere Ursachen und über die Krankheitsentstehung siehe Exkurs 10).

 

Logische Erklärungsmuster waren noch nicht möglich oder wurden kleingehalten (Laon). Diese vereinzelten rationalen Stimmen hatten zu jener Zeit kaum eine Chance, gehört zu werden. In weltlichen Kreisen gab es natürlich bereits eine Ratio, da politisches und strategisches Denken sonst nicht möglich gewesen wären. Es waren aber nur die oberen Lenker, wie die militärische Führung, die ihre Entscheidungen auf der Grundlage dieser Ratio trafen (siehe Unterwerfung Wagriens ab 1143). Auch bei ihnen waren es jedoch Gott und Teufel, womit sie ihre Entscheidungen erklärten und begründeten.

 

Diese grobe Zweiteilung ohne Zwischenstufen in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, war es dann auch, die insgesamt im mittelalterlichen Denken eine „Ganz oder gar nicht-Mentalität“ entstehen ließ. Damit wurden auch Strategien wie Kreuzzüge legitimiert. Die Erklärung im christlichen Sinne fiel leicht: Da bei den Slawen Gott nicht anwesend war, was sich in deren Götzendienst deutlich zeigte (Exkurs 5 und 9), konnte es nur der Teufel sein, der dort sein Unwesen trieb. Und von diesem mussten die Slawen dringend befreit werden. Somit war der Slawenkreuzzug legitim, bei dem rational betrachtet natürlich ebenso gesellschaftliche und klimatische Gründe eine Rolle spielten (etwa das rasante Bevölkerungswachstum und der daraus resultierende Bodenmangel im 12. Jahrhundert, siehe Exkurs 4).

 

Schwer verständlich erscheint uns heute das dazugehörige Verhalten und Vorgehen. Die zeittypische Kriegsführung stand im heftigen Widerspruch zur christlichen Angst, vom rechten Weg ins Jenseits abzukommen und keine Erlösung zu erfahren. Besonders gegenüber heidnischen Völkern oder niedrigeren Ständen wurden die ansonsten unverrückbar geltenden christlichen Gebote anscheinend außer Kraft gesetzt und ein regelrechter Gewalttrieb ausgelebt. Unter Zuhilfenahme der Bibel ließen sich jedoch viele Vorbilder finden, für den gerechten Zweck die Mittel geheiligt erscheinen zu lassen, besonders gegenüber ungebildeten Bevölkerungsschichten. Ihnen erschien das Leben ohnehin als schicksalhaft, aber eben – so der tröstliche Gedanke – von Gott gelenkt, der sich schon etwas dabei gedacht haben würde, ihnen wiederholt Entbehrungen aufzubürden. Eine solche Prüfung und Aufgabe sah Vizelin auch für sich in Schleswig-Holstein.

 

Vieles in der mittelalterlichen Psyche ist heute so nicht mehr nachvollziehbar (z.B. Exkurs 5), anderes könnte aber wieder „abgerufen“ werden, wie z.B. die Neurosenentwicklung (Exkurs 10; wenn auch eher nicht auf den Teufel bezogen). Aus psychologischer Sicht ist das Mittelalter oder speziell das Hochmittelalter nicht ganz verschwunden, aber natürlich leben wir heute in einem Zeitalter nach der Aufklärung, die sich im Hochmittelalter noch in ferner Zukunft befand.

             

 

c.)   Zu den 3D-Grafiken bzw. der Umgebung Vizelins

Die 3D-Grafiken sollen ein mögliches, visuelles Bild des 12. Jahrhunderts vermitteln. Es wird dabei der Versuch unternommen – unter Zuhilfenahme aller Quellen und bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse –, einen Ausschnitt der Vergangenheit zu zeichnen. Dieser ist beliebig weiter ausbaubar und/oder abänderbar.

 

Um möglichst nah an den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu bleiben, wurden die Rekonstruktionen nicht größer angelegt, als es die archäologisch erschlossenen Flächen hergaben. Ganze Häuserreihen können auch bei anderen Rekonstruktionen nur vermutet werden, da meist nicht die gesamte Fläche innerhalb des Walls archäologisch untersucht wurde. Eine solche Ausgrabung wäre aber die Voraussetzung für eine vollständige Rekonstruktion, z.B. als völlige Bebauung innerhalb oder außerhalb eines Burgwalls, daher wurde darauf (zunächst) verzichtet. Zusätzlich wurden einzelne Funde rekonstruiert, um ein Bild vom Kleinen zum Großen zu ermöglichen. Der Fund im Museum ist Teil eines Gesamtkomplexes, was hier gezeigt werden soll.

 

Um das unscharfe Wissen (siehe Prolog) zu verorten, wurden Fotos vom Ist-Zustand eingefügt und mit Drahtgittermodellen versehen. Das soll helfen, die Rekonstruktion an der Besichtigungsstelle einzufügen bzw. vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen. Zusätzliche, recht schematische Rekonstruktionen sind nur für den Überblick und zur Veranschaulichung der Größenverhältnisse eingefügt. Dadurch sind die schematischen Rekonstruktionen auch meist die einzigen, die gelegentlich aus der Vogelperspektive dargestellt wurden. Sonst wurde der heutige Blick des Besuchers (der sich ja nicht 100 m über der Ausgrabungsstelle befindet) bevorzugt. Mehr sollte hier nicht über die 3D-Rekonstruktionen gesagt werden, weil sie nur visuell in Verbindung mit dem erklärenden Text beurteilbar sind. Siehe dafür alle Rekonstruktionen innerhalb der Lebensgeschichte Vizelins bzw. in den Exkursen. 

 

d.)  Abschlusswort und Ausblick:

Insgesamt ist der Mensch Vizelin, durch seinen Biografen Helmold beschrieben, ein typischer Vertreter des 12. Jahrhunderts. Er war konservativ und ein Teil einer Gruppe bzw. der Institution Kirche, die sein Weltbild bestimmte. Er agierte als Geistlicher im Rahmen der Einstellungen seiner Zeit. Auf den Glauben bezogen war er Sprecher, Akteur und Streiter, politisch trat er weniger in Erscheinung. Damit repräsentierte er eine Gesellschaftsschicht, die im 12. Jahrhundert noch weitgehend auf alte Prinzipien zurückblickte, die sie weiter verbreiten wollte (Kreuzzug).

 

Andere in dieser Zeit des Hochmittelalters bedeutenden Ereignisse, Personengruppen und Einstellungen spielen in diesem Text nur eine Nebenrolle, denn der Schwerpunkt liegt auf der Person Vizelin (Helmold von Bosau erwähnt in seiner „Chronica Slavorum“ noch deutlich mehr Akteure, politische und kriegerische Geschehnisse). Im ersten Hauptteil der Arbeit werden daher nur die für Vizelins psychologische Entwicklung prägenden Ereignisse herausgegriffen. Im Zweiten Hauptteil (sein Leben und Wirken in Schleswig-Holstein) ist sein Lebensziel bereits klar: im und für den Glauben existieren. Vizelin war Teil einer hochmittelalterlichen Gesellschaftsschicht, die nur für den Glauben lebte und auch für ihn starb.

 

 

 

 

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Internetquellen:

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http://docplayer.org/57001244-Die-grabgewaender-des-abtes-berno-von-reichenau-1048-untersuchungen-der-abegg-stiftung-riggisberg.html (Stand Juli 2020).

 

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https://www.gruendungsviertel.de/archaeologie.html (Stand Juli 2020).

 

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http://www.regesta-imperii.de/startseite.html (Stand Juli 2020).

 



[1] Lengyel/Toulouse 2011, 182ff.

[2] Lengyel/Toulouse 2011, 184f.

[3] Dinzelbacher 2003, 185.

[4] Im Mittelalter waren über weite Räume und durch alle gesellschaftlichen Schichten die Sitten und Unsitten gleich: Elias 1981, 106. Oder siehe auch: Freuds Arbeit zur Massenpsychologie, bei der Individualpsychologie auch immer Sozialpsychologie ist (diese Arbeit bezieht sich auch auf vorangehende Werke des Autors): Freud 1925, 6ff. In Freuds Arbeiten finden sich häufig Parallelen zu primitiven Völkern, die eine Vorstufe zu unserer Kultur zeigen und deswegen als Vergleichsmodell für das Mittelalter dienen können, so z.B. in Anmerkungen: Freud 1913, 34, 84f.; entsprechend für das Mittelalter: Gurjewitsch 1992, 57, 132.

[5] Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den historischen und archäologischen Zeugnissen seiner Zeit. Aber auch die mittelalterliche Psyche fließt ein in die Betrachtung.

[6] Sigmund Freud sah den Kulturprozess als charakterbildend an. In seinen Worten: „Das Kultur-Über-Ich hat seine Ideale ausgebildet und erhebt seine Forderungen.“ Freud 1930, 86. Ergänzend dazu die Ausarbeitungen Freuds zum Thema „individuelle Entwicklung trifft auf Prägung durch die Gemeinschaft“: Freud 1930, 83-88, aber auch Freud 1925, 6-7, Freud 1913, 188; über Freud siehe Gay 1994, 96.

[7] Freud 1913, 188f.; Gay 1994, 157f.

[8] Jung 1964, 82. Für Jung ist das kollektive Unbewusste der Teil der Psyche, der das gemeinsame psychische Erbe der Menschheit enthält und weitergibt: Henderson 1964, 107; aber siehe auch Jung 1990b: 22, 31, 38 und Jung 1992, 21. Mit Archetypen meint er Formen oder Bilder kollektiver Natur. Laut Jung treten sie in Träumen, der Mythologie und der Folklore auf: Jung 1992, 57. Archetypen kämen in der menschlichen Psyche – leicht abgewandelt, aber von der Grundtendenz gleich – seit 2000 Jahren in ähnlicher Weise immer wieder vor. Die Bilder seien dabei nicht immer die gleichen, aber es läge eine gleiche geistige Eigenschaft/Bedingung vor: Jung 1992, 105, 191. Die romanische Kunst erbrachte dabei auch archetypische Figuren: Dinzelbacher 1996, 83, 86.

[9] C.G. Jung sprach von „dem Primitiven“, dessen Psyche im Wesentlichen noch kollektiv sei. Er habe noch die kollektiven Tugenden und Laster: Jung 1990b, 34; Jung 1992, 21. Das Mittelalter kann seiner Ansicht nach noch einer primitiveren Bewusstseinsstufe zugerechnet werden, was die gesamte Lebensgeschichte Vizelins und seiner Umgebung anschaulich bestätigt (siehe z.B. Exkurs 10/Besessenheit).

[10] Allgemein: Gay 1994, 162ff. Nur ein paar Rebellen brechen aus (Gay 1994, 170), zu denen – so viel kann hier gesagt werden – Vizelin nicht gehört.

[11] Parin 1977, 484, 490f. Das Ich bekommt durch die Anpassung an die jeweilige gesellschaftliche Einrichtung Stabilität, muss sich aber auch einschränken: Parin 1977, 486ff.; kurz zusammengefasst bei: König 2003, 125.

[12] Das formulierte Peter Gay sehr zutreffend: „Die Psychoanalyse […] ist weder eine Wunderdroge noch eine Zauberformel; sie ist fundierte Forschungsarbeit und führt zu Antworten, die niemand für möglich gehalten hat, oder – was noch wichtiger ist – zu Fragen, die niemand zu stellen gewagt hätte.“ Gay 1994, 48, 56. „Mit seinem Individualisieren aber befindet er [der Historiker] sich ständig in der Defensive; muß er doch allenthalben verallgemeinern, ein größeres Ganzes – Familie, Beruf, Klasse – voraussetzen und nachweisen“. „Selbst der vergleichende Historiker […] muß sich ebensosehr um das den eigentlich disparaten Vergleichsgrößen Gemeinsame wie um das sie Unterscheidende kümmern. Allgemeinbegriffe sind für den Historiker ohne Frage bequem […]. Sollen sie aber mehr sein als rhetorische Tricks, dann müssen sie auf der Überzeugung beruhen, daß sie Wesensverwandtes, vielleicht gar Identisches, und zugleich das zwischen den einzelnen Mitgliedern des Kollektivs und diesem selbst beständig – und nachvollziehbar – Vermittelnde fassen“. Gay 1994, 189ff.

[13] Gurjewitsch 1992, 355f. Kritisch sieht Peter Gay das Wort „Mentalität“, da es seiner Meinung nicht tief genug geht: Gay 1994, 132f., 190.

[14] Jung 1990b, 22.

[15] Gurjewitsch 1992, 318f.

[16] Weiterführend über charakterliche Gemeinsamkeiten siehe Gurjewitsch 1992, 319ff. und Dinzelbacher 2003, 110. Hierbei ist z.B. die Neurose herauszuheben, die von der Gegenwart bis zur Vergangenheit beobachtbar ist und damit zeigt, wie wenig sich die menschlichen Psyche verändert hat (bei Gay über Freud): Gay 1994, 96; siehe dazu Exkurs 10/Besessenheit.

[17] Drewermann 1989, 104. Auch z.B. in der Sozialstruktur der katholischen Kirche: Drewermann 1989, 750, aber auch allgemein in Institutionen, die den Einzelnen prägen: Freud 1925, 7.

[18] Siehe Drewermann 1989, 37, 46ff. C. G. Jung fielen auch Parallelen zu historischen Zeiten auf, wenn er Menschen analysierte und in ein „dunkles, analphabetisches Mittelalter“ eintauchte: Jung 1990a, 29.

[19] Freud 1925, 11.

[20] Helmold von Bosau, 42, 171, im Folgenden abgekürzt mit Hel., zitiert nach der Hauptquelle siehe Anm. 22; vorher zusammengefasst nach Hoppe 1999, 36ff.

[21] Hoppe 1999, 33, 89ff. Die Vizelin-Urkunde von 1150 ist das einzige Schriftstück, das Vizelin persönlich verfasst hat.

[22] Grundlage ist die neue Übertragung der Slawenchronik von Stoob. Alle Seitenzahlen richten sich nach dieser Arbeit, auch werden zum Teil Erläuterungen dieser Arbeit zitiert: Stoob 2002, Slawenchronik. Vorarbeit leistete die Edition von Bernhard Schmeidler. Ins Deutsche übersetzt wurde die Slawenchronik schon ab 1894. Die Chronica Slavorum ist die Hauptquelle zum Leben Vizelins. Sie wurde von Helmold von Bosau geschrieben, befasst sich aber nicht nur mit Vizelin, sondern umspannt einen weiten Zeitraum der Geschichte der Slawen.

[23] Rausch 2004, 14.

[24] Diese und die weiteren Lebensdaten sind entnommen aus: Hoppe 1999, 38-40.

[25] Hel., 42, 171.

[26] Ehlers 1986, 112.

[27] Shahar 1991, 221ff.

[28] Hel. 42, 171. Gerade das Hochmittelalter kannte noch keinen differenzierten Gesellschaftsaufbau. Die Einteilung war recht grob mit einer Führungsschicht aus Kriegern und Klerikern und einer Schicht darunter, zu der alles gehörte vom Bauern bis zum Handwerker: Le Goff 1970, 430f. Man weiß jedoch sicher, dass im frühen Mittelalter in den fränkischen Führungsschichten eine schulische Ausbildung möglich war: Illmer 1979, 184.

[29] Ehlers 1986, 112.

[30] Hel. 42, 171.

[31] Arnold 1980, 20. Auf den Knaben wartete schwere Feldarbeit oder die militärische Lehre: Le Goff 1970, 479; Winter 1984, 49; Köhn 1986, 223.

[32] Shahar 1991, 32, 217; Winter 1984, 78f.

[33] Arnold 1980, 27; Illmer 1979, 160; Winter 1984, 82, 83f.

[34] Im Mittelalter galt die Ansicht, dass ein Kind erst ab dem siebten Lebensjahr richtig sprechen und eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse treffen kann: Shahar 1991, 31f., 117f. Dies wird im Werk „Tristan“ von Gottfried von Straßburg (gest. 1215) sichtbar, bei der die Erziehung des Helden mit sieben Jahren beginnt, weil er ab dann geistig dazu imstande war. Der Vater übergab dabei seinen Sohn einem Lehrer und schickt beide ins Ausland, um Fremdsprachen zu lernen: Winter 1984, 124. 

[35] Illmer 1979,160f.; Shahar 1991, 33.

[36] Auch begann das Jahr in den verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten: Le Goff 1970, 296.

[37] Dinzelbacher 2003, 182f.

[38] Selbst aus den späteren Inquisitionsprotokollen der Katharer lassen sich Altersangaben nur mit einer Schwankung von ein bis zwei Jahren angeben: Winter 1984, 49. Erschwerend kommt hinzu, dass im Hochmittelalter auch für den Einschulungsbeginn wohl eine regionale Zeitmessung ausschlaggebend war: Köhn 1986, 223. 

[39] Köhn 1986, 223.

[40] Dollhopf 2001, 133.

[41] In den letzten 150 Jahren werden die Menschen schon vorgeburtlich immer größer. Dies hat unter anderem mit den Ernährungsverhältnissen zu tun: Flügel/Greil/Sommer 1986, 40-44. Moderne Messungen können somit nicht voll auf mittelalterliche Körpergrößen übertragen werden. Die säkulare Akzeleration (Entwicklungsbeschleunigung) verläuft korrespondierend dazu.

[42] Dollhopf 2001, 135.

[43] Flügel/Greil/Sommer 1986, 40f.

[44] Herrmann/Grupe/Hummel/Piepenbrink/Schutkowski 1990, 55f.

[45] Die Werte in der Literatur beziehen sich auf altslawische Skelettserien des 7.-9. Jahrhunderts: Herrmann/Grupe/Hummel/Piepenbrink/Schutkowski 1990, 56.

 

[46] Winter 1984, 173.

[47] Kania 2010, 113,116. Bruche ist eine Art Unterhose, die Standard-Unterbekleidung des Mannes im Mittelalter: Kania 2010, 119ff.

[48] Gurjewitsch 1989, 345. Sogar noch in der Renaissance war der Unterschied der Kleidung von Erwachsenen und Kindern minimal: Elias 1981, 240; Ariès 2007, 92f., 112.

[49] Scott 2009, 67.

[50] Kania 2010, 386f.

[51] Kania 2010, 392ff.

[52] Anatomia, Guy de Vigeganot, von 1345, Untersuchung eines Kranken: Kania 2010, Farbtafel Nr. 42.

[53] Scott 2009, 45; Kania 2010, 391-397.

[54] Kania 2010, 119f.

[55] Scott 2009, 52.

[56] Kania 2010, 121f.

[57] Kania 2010, 123.

[58] Kania 2010, 133.

[59] Kania 2010, 130.

[60] Kania 2010, 134.

[61] Kania 2010, 278f.

[62] Kania 2010, 139.

[63] Kania 2010, 279f.

[64] Brather 2008, 276.

[65] Kania 2010, 116.

[66] Schnack 1992, 101.

[67] Schnack 1992, 20, 99f., 110.

[68] Der Schlupfschuh konnte in Haithabu, Oslo, britische Inseln, Alt Lübeck und Polen nachgewiesen werden. Diese Form wurde auch im slawischen Gebiet gefunden, jedoch mit mehr Verzierungen: Schnack 1992, 138ff.

[69] Landkreis Holzminden, Weserbergland, Niedersachsen.

[70] Hel. 42, 171. Konrad I. wird in den Urkunden erst ab 1126 Graf genannt; Erwerb des Grafenamtes wahrscheinlich erst ab 1123-1126. Helmold irrt sich hier wahrscheinlich in der Ansprache als Graf zu diesem Zeitpunkt. Erwähnung findet Konrad I. aber schon in einer Urkunde ab 1116. Bestätigt ist die Anwesenheit derer von Everstein in der „Jugend“ Vizelins: Meyer 1954, 142f.

[71] Hel. 43, 173. Fuhlen, Kreis Rinteln, Niedersachsen. Erst später wurden Professoren und Pfarrer als die Repräsentanten der Mittelschicht angesehen, dies vor allem im Umfeld der Universität: Elias 1981, 28f.

[72] Hoppe 1999, 41.

[73] Hel. 42, 171.

[74] Im Hochmittelalter bestimmten die Eltern, was für die Zukunft des Kindes geplant war, z.B. im Rahmen einer klösterlichen, ritterlichen oder sonstigen Ausbildung. Nicht immer wurde dies dann später auch so realisiert. In der Kindheit existierte jedoch ein elterliches Erziehungskonzept. Siehe dafür unterschiedliche Lebensläufe bei McLaughlin 1992, 147ff.

[75] Shahar 1991, 200f., 238.

[76] Leider sind archäologische Nachweise für den Schreibunterricht im Hochmittelalter sehr selten, erst aus dem Spätmittelalter häufen sich die Funde von Wachstafeln: Köhn 1986, 212, 220.

[77] Ariès 2007, 222f.

[78] All dies waren Grundkenntnisse für den Gottesdienst. Deswegen gehörte zu dieser ersten Stufe des Elementarunterrichts auch das Singen: Köhn 1986, 226; Ariès 2007, 222f. Nach diesem Unterricht im Auswendiglernen christlichen Grundstoffes folgte der Lese- und Schreibunterricht: Köhn 1986, 228.

[79] Publius Papinius Statius (um 40 bis um 96), römischer Dichter, schrieb ein Epos über Achill.

[80] Maaz 1985, 60. Gerade der frühmittelalterliche Mensch konnte noch Texte ohne Sinnzusammenhang lesen, sonst wäre ihm der nichtchristliche Inhalt des antiken Stoffs aufgefallen. Der Leser sah noch „Texte ohne Kontext, Wörter ohne Rede“: LeGoff 1984, 59f. Sogar in der Stiftsbibliothek von Klosterrath (ehemaliges Regularkanonikerstift Klosterrath im Süden der niederländischen Provinz Limburg) befand sich viermal die Achilleis: Deutz 1990, 217, 222, 229ff. Man musste auf die antiken Klassiker zurückgreifen, da für den Lateinunterricht kein anderes Material zur Verfügung stand und heidnisch-/christlich überlappende Themen (z.B. die Kardinaltugenden des Stoizismus) auch für die christliche Erziehung von Bedeutung waren, z.B. die immer wieder durchdringende „Mâze“ (das Maßhalten): siehe Flasch 2000, 127f., 165f., 224f. und Dinzelbacher 2003, 70. Auch Guibert von Nogent erhielt schon früh moralische Unterweisungen: Winter 1984, 79. Zur Vermittlung von Sachwissen gehörte die moralische Erziehung der Kinder und dazu wurde sogar heidnisch-mythologischer Stoff wie die Achilleis benutzt: Köhn 1986, 224, 228f.

[81] Dinzelbacher 2003, 155f.

[82] Shahar 1991, 32.

[83] Le Goff 1970, 540.

[84] Shahar 1991, 208. Als artes liberales bezeichnet man die sieben freie Künste. Grammatik, Rhetorik und Dialektik bilden zusammen das Trivium und Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie kommen später als Quadrivium noch hinzu: Flasch 2000, 152. Die Elementarausbildung beinhaltete bereits die Fächer Grammatik, Rhetorik und Logik (=Dialektik), wobei es vorwiegend um Lateinunterricht ging: Köhn 1986, 224ff., 248ff. 

[85] Köhn 1986, 231ff.; Ariès 2007, 232.

[86] Ariès 2007, 240f., 254.

[87] Hel. 42, 171.

[88] Hoppe 1999, 42.

[89] Hel. 42, 171.

[90] Hoppe 1999, 42. Ganz nachvollziehbar ist sein Entschluss nicht, denn seine Wahl hätte auch auf die Hildesheimer Domschule fallen können. Die Domschule zu Hildesheim hatte im Reich einen überragenden Ruf als Ausbildungsstätte und war im 11. und 12. Jahrhundert weithin bekannt. Zudem verfügte sie über ausgezeichnete Verbindungen zu den Universitäten in Frankreich: Kruppa 2012, 48, 56f.

[91] Hel. 42, 118.

[92] Hel. 42, 118. Für diesen inneren Kampf und den „neuen“ Vizelin siehe weiter im Text bis zum Lebensjahr 1118.

[93] Auch Privatunterricht war möglich, den, wie weiter oben ausgeführt, die Führungsschicht für ihre Kinder organisierte und den Vizelin schon früh erhalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte er also schon recht gut lesen und schreiben. Siehe Illmer 1979, 77 ff., 96ff. Er hätte anderenfalls die Achilleis auch nicht verstehen können.

[94] Illmer 1979, 90.

[95] Illmer 1979, 117ff.

[96] Die Latenzperiode (6.-12. Lebensjahr) wird hier weiter gefasst, da die Datierungen der Lebensabschnitte Vizelins nur äußerst grob sind. In der Spätlatenz/Vorpubertät/Pubertät war Vizelin wohl in Paderborn, eine Zeit, in der sich das Über-Ich aufbaut. Dabei sind im Über-Ich Instanzen wie das Gewissen und Schuldgefühle, die sich durch die Identifizierung mit der Erziehungsperson und deren Grundsätzen aufbauen: Freud A. 1975, 141f.

[97] Erikson 1975, 147.

[98] König 2003, 24, 25.

[99] Drewermann 1989, 57.

[100] Die Erzieher im Kloster wurden häufig als willkommener Vater- und Mutterersatz genommen: McLaughlin 1992, 191. Im Fall von Vizelin wurde dies Hartmann, der Magister der Domschule zu Paderborn.

[101] Gay 1994, 177f.; Freud 1927, 49.

[102] Gay 1994, 177.

[103] Drewermann 1989, 206.

[104] Freud A. 1975, 151.

[105] Spätere/andere Lebenswege bestätigen die Bereitschaft des Jugendlichen zur Askese mit einem selbstgewollten Verzicht für den Gewinn einer Struktur im Leben: Erikson 1975, 147.

[106] Freud A. 1975, 154.

[107] Hel. 42, 118.

[108] Die psychische Abwehr kann in diesem Lebensabschnitt das ganze restliche Leben beeinflussen, da die Abwehr von Trieben die Ausbildung des Ichs nachhaltig bestimmt. „Ich-Instanzen, die dem Pubertätsansturm standgehalten haben, ohne nachzugeben, bleiben gewöhnlich auch im ganzen späteren Leben unnachgiebig, unangreifbar und für Revisionen, die die veränderliche Realität verlangen würde, unzugänglich.“: Freud A. 1975, 146f. In Laon wird dieser Charakterzug sichtbar (siehe das Jahr 1122/23), aber der Grundstein wurde in Paderborn gelegt.

[109] Die Fragen der Jugendlichen werden komplexer. Es kommen Themen wie Ehe, Familiengründung, Beruf, Religion etc. auf: Freud A. 1975,155f. Die entstehende Intellektualität ist eine Triebabwehr, die aber auch gleichzeitig schlau macht, d.h. sie spornt „den Menschen zu intellektuellen Leistungen und Leistungsversuchen an[…]“: Freud A. 1975, 159f., vergleiche auch König 2003, 60ff.

[110] Illmer 1979, 118.

[111] Der Jugendliche ist von sich aus bereit, die doktrinäre Beeinflussung einzugehen: Erikson 1975, 147.

[112] Es muss dazu auch gesagt werden, dass alle mittelalterlichen Schichten der Gesellschaft von der Richtigkeit der christlichen Doktrinen felsenfest überzeugt waren: Dinzelbacher 1996, 280.

[113] In der Biografie von Klerikern taucht häufig die eine Person auf, die als einzige so etwas wie ein Zuhause bieten konnte, das vorher im familiären Kreis nicht existierte. Diese Prägung durch die Person kann brachliegende Energien aufwecken: Drewermann 1989, 336f. Das bestätigt sich im bisherigen Leben Vizelins, der ja auch keine Familie im eigentlichen Sinne hatte. Für die Erwählung/Berufung zum Kleriker reicht dies aber noch nicht aus. Da braucht es noch weitere Faktoren, z.B. wesentliche, frühkindliche Lebensbeobachtungen mit einem positiven kirchlichen Bezug: Drewermann 1989, 337ff. 

[114] Bzw. einer brüderlichen Gemeinschaft, die durch Beziehungspersonen gewisse Bedürfnisse abdecken kann. Diese Beziehungspersonen können Gefühle/Befriedigungen hervorrufen (vor allem mütterlich/pflegende Verhaltensweisen gewähren), für die der Einzelne empfänglich ist. Das ist die Identifikation mit einem Gruppen-Ich, die in der Kindheit/Jugend vonstattengeht: Parin 1977, 491ff. Für Vizelin wird hier das Bedürfnis Familienersatz postuliert (siehe mütterlicher Bezug), doch ist die christliche Gemeinschaft auch gesellschaftlich reizbar, was ebenfalls ausschlaggebend sein kann, gerade im jugendlichen Alter Vizelins.

[115] Gurjewitsch 1989, 337. Erst später entwickelte sich das Individuum. Obwohl der Mensch schon in der Antike anfing, über sich selbst nachzudenken, kam der Durchbruch erst nach dem Mittelalter. Es ist ein Kennzeichen der Neuzeit: Elias 1981, LII ff., 283.

[116] Individualismus bringt Stolz und war eine Untugend: Le Goff 1970, 436, 468f., 483. Das Mittelalter war schon in der kulturellen Entwicklungsstufe der „Macht der Gemeinschaft“, wobei der Einzelne sich unterordnet. Dies galt aber nur für die unteren Schichten, die oberen Schichten konnten sich über geltendes Recht hinwegsetzen, wodurch die nächst höhere Stufe der Kulturbildung, d.h. die Gerechtigkeit und die Zusicherung zu einmal gegeben Recht, noch nicht erreicht war: vgl. dazu Freud 1930, 39.

[117] Auch wurden Abweichungen geahndet, worin die häufig postulierte Hemmung der Individualität und Stagnation der Gesellschaft im Mittelalter begründet ist: Gurjewitsch 1989, 222f., 337. Auch kann hier der noch heute gültige Wert der Gruppenzugehörigkeit beobachtet werden. Allgemein bilden sich Gruppen bei gegenseitiger Abhängigkeit voneinander, bei der der Einzelne niemals völlige Autonomie genießt: Elias 1981, LXVII. Auch im Mittelalter ging der Einzelne in der Gruppe unter: Le Goff 1970, 469f., 527. 

[118] Gurjewitsch 1992, 94.

[119] Jung 1990a, 14.

[120] Jung 1990a, 15, 24.

[121] „An Stelle der Stimme des Inneren tritt die Stimme der sozialen Gruppe und ihrer Konventionen und an Stelle der Bestimmung die kollektiven Bedürfnisse“: Jung 1990a, 16.

[122] Für Individuation: Jung 1990b, 56ff.

[123] Dinzelbacher 2003, 121.

[124] Auf den Punkt gebracht bei McLaughlin: „Oft fanden sie [Kinder/Jugendliche] im Kloster eine neue „Familie“, der sie sich mit großer Hingabe anschlossen. In den Lehrern, Magistern und Äbten erkannten sie Stellvertreter ihrer abwesenden Eltern, und besonders in den frühen Jahrhunderten diesen Zeitraumes [9.-13. Jahrhundert] sahen sie in den Möglichkeiten, die sich ihrer Erziehung boten, einen Weg zu Freude und Vollendung.“: McLaughlin 1992, 191. Siehe dazu auch Anm. 196 und 197 bei McLaughlin 1992, 251f.

[125] Drewermann 1989, 195. „Nicht ohne tiefen Grund wird die Gleichartigkeit der christlichen Gemeinde mit einer Familie heraufbeschworen und nennen sich die Gläubigen Brüder in Christo“: Freud 1925, 35.

[126] Die Kultur hält Abwehrmittel zur Bewältigung der Trennungsangst bereit, z.B. von der Mutter: Heinemann 2003, 246f. Für das Mittelalter ist das die Institution der Kirche, die als Gruppeninstitution die Übernahme der Vorschriften erbringt.

[127] Werte und Normen werden zum Über-Ich: König 2003, 125f.

[128] „Die Identifikation mit der Rolle bewirkt also, daß sich ein Individuum nicht nur gemäß der Rolle verhält, sondern auch innerlich mit ihr übereinstimmt“: König 2003, 126; Parin 1977, 499ff.

[129] Drewermann 1989, 164, 226; „Totalidentifikation des Ichs mit den Weisungen des Über-Ichs (bzw. der entsprechenden Behörde)“: Drewermann 1989, 311, „ohne innerlich gegen sie [die Rolle] zu protestieren“: König 2003, 126. Dabei spielt die Entwicklung eines Clangewissens eine Rolle, wobei Institutionen, wie die Kirche, lenkend sein können: Parin, 1977, 495ff. Die Bestimmungen des jeweiligen Clans kommen dann zur Geltung, wenn die Eltern zurücktreten, was ja bei Vizelin gegeben ist: Parin 1977, 497.

[130] Parin 1977, 497f. Dies trifft wohl auf den jungen Vizelin zu.

[131] Illmer 1979, 146.

[132] Hel. 42, 118.

[133] Illmer 1979, 155ff.

[134] Illmer 1979, 168ff.

[135] Gunkel 1985, 382.

[136] Gunkel 1985, 383ff.

[137] Illmer 1979, 171f.

[138] Illmer 1979, 174ff.

[139] Gurjewitsch führt hier das Werk „Elucidarium“ (Lichtbringer) an, das um 1100 von dem Benediktinermönch Honorius von Autun geschrieben worden sein soll. Es war ein Werk für die Massen, das dogmatisch die kirchlichen Grundzüge darstellt: Gurjewitsch 1992, 61f.

[140] Die vier niederen Weihegrade waren Türhüter oder Hausmeister (ostiarius), Schriftleser (lector), Teufelsaustreiber(exorcista) und Messgehilfe (acolythus), die alle erst nach Abschluss der Lateinschule ausgeübt werden durften. Für diese vier Ämter mussten Prüfungen abgelegt werden: Shahar 1991, 218f.

[141] Hoppe 1999, 43.

[142] Hel. 42, 173.

[143] „[…] daß zu einem Leben als Kleriker nur ‚berufen‘ sein wird, wer bereits in der frühen Kindheit, im Umkreis der eigenen Familie, gelernt hat, das Gefühl der ontologischen Unsicherheit und der prinzipiellen Unberechtigtheit im Dasein durch Wiedergutmachungstendenzen aller Art zu kompensieren“: Drewermann 1989, 340f.

[144] Freud A. 1975, 149ff.

[145] Es sind bisher nur allgemeine (auch heute noch gültige) psychologische Rahmenbedingungen geschaffen worden: Drewermann 1989, 341f.

[146] Drewermann 1989, 83.

[147] Hel. 44, 175.

[148] Lat. Schola; das mittelalterliche „Scholastica“ bezeichnete u.a. eine Zeit, die dem Lernen und der Wissenschaft gewidmet war. Besonders philosophische Themen sollten dabei im Mittelpunkt stehen: Gurjewitsch 1989, 248.

[149] Hel. 44, 177.

[150] Hel. 44, 177.

[151] Hoppe 1999, 44.

[152] Hel. 44, 177.

[153] Insgesamt war im Mittelalter die Prügelstrafe im Schulbetrieb üblich und fand in allen gesellschaftlichen Klassen Anwendung: deMause 2000, 91-94.

[154] Die Erziehung von Petrus Damiani (ca. 1006-1072) und Guibert de Nogent (ca. 1055-ca.1125): McLaughlin 1992, 147ff.

[155] Bei Helmold wird die Entscheidung über den Weggang von Bremen und der Aufbruch nach Frankreich von Vizelin in einer Art Gewissenskonflikt verklärt. Eine andere Person, von Gott gelenkt, habe ihm das Freizeichen zum Aufbruch gegeben: Hel. 44-45, 177, 179. Übersetzt bedeutet das: Vizelin musste seine Stellung als Lehrer aufgeben, um nach Frankreich zu gehen. Er wollte es natürlich selbst, aber erst eine andere „Person“ befreite ihn von dem Entscheidungskonflikt. Dies zeigt, dass die Frage, ob der Glauben noch größeren Raum in seinem Leben einnehmen sollte, sein Gewissen belastete, weil er gleichzeitig ein großes Pflichtbewusstsein für sein Amt in Bremen empfand, sodass ihn erst eine andere Person oder höherstehende Instanz von dieser Pflicht freisprechen musste.  

[156] Leinsle OPraem 210, 91f. Helmold (Hel. 45,179) nennt Anselm von Laon und seinen Bruder Radolf: siehe Hoppe 1999, 45f.  

[157] Hel. 45, 179.

[158] In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts werden die ersten Bemühungen bekannt, die Theologie mit der Philosophie, d.h. mit einer wissenschaftlichen Fragestellung zu verbinden. Hierbei kann vom Entstehen der Metaphysik gesprochen werden, wobei die Theologie noch dominant ist: Fidora und Niederberger(Hrsg.) 2002, 37f.; Gurjewitsch 1989, 59; Flasch 2011, 66ff. Die Scholastik wollte dabei aber nicht den Glauben anzweifeln, sondern besser erklären, ihn quasi intellektuell untermauern: Le Goff 1970, 573. Noch im 13. Jahrhundert sagte Bonaventura (1221 – 1274): „Dabei betrachtet […] die Metaphysik die Erkenntnis alles Seienden. Alles Seiende nun führt sie zurück auf den einen Urgrund, von dem es, seinen idealen Gründen nach, ausgegangen ist, also auf Gott, sofern der Ursprung, Ziel und Vorbild ist – mag es auch unter den Philosophen über diese idealen Gründe einige Meinungsverschiedenheiten geben.“ (aus Bonaventura, De reductione artium ad theologiam, Übersetzung siehe Kaup 1961, 245).

[159] Der Aufbruch der Frühscholastik kann hier aus Platzgründen nicht ausreichend beschrieben werden. Dasselbe gilt für die Lehrer der Frühscholastik. Namen wie Hugo von St. Viktor (um 1097-1141, Regularkanoniker: Flasch 2000, 282, 360ff.) und Petrus Abaelard (1079-1142, siehe Flasch 2000, 236ff.) stehen für die Verbindung Christentum und Dialektik. Jeder für sich müsste hier separat behandelt werden, was aus Platzgründen nicht möglich ist. Entscheidend ist, dass der Geist dieser „Aufklärung“ schon in der Luft lag, was z.B. das Konzil von Soissons im Jahr 1121 beweist (Beschäftigung mit der Trinitätslehre von Abaelard, siehe z.B. Abaelards Schrift „Sic et non“). Allgemein ist ab 1100 ein Aufkommen der Ratio in allen Bereichen zu beobachten und selbst Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153, erklärter Feind von Abaelard) beklagte sich darüber, wie schnell sich die Bücher von Abaelard verbreiteten: Flasch 2000, 132, 160, 234. Für den Beginn weiter Flasch 2000, 201ff. Es lässt sich dabei schwer sagen, ab wann die Auseinandersetzung und das Infragestellen der christlichen Autoritäten ineinander übergingen. Durch die logische Beweisführung war es aber nur eine Frage der Zeit: Le Goff 1970, 573ff. Die literarische Überlieferung zeigt hierbei kein klares Bild von dem, was im Umfeld der Schule zirkulierte und bei den Schülern/Studenten schon Gesprächsthema war: Johanek 1986, 55.  

[160] Köhn 1986, 258f., auch Dinzelbacher 2003, 113ff.

[161] Hel. 45, 179

[162] Hel. 45, 179.

[163] Bosl 1979, 17. Aber auch in Laon kamen neue Methoden der Wissenschaft mit der scholastischen Bibelauslegung auf, so wie sich bald alle französischen Lehreinrichtungen (die besten ihrer Zeit) mit den aufrührerischen Gedanken auseinandersetzen mussten, wodurch „Die Schule von Chartres“ bald eine überregionale Geistesströmung darstellte: Flasch 2000, 226f., 252ff. Allgemein konnten im frühen und hohen Mittelalter aber Neuerungen, egal ob auf technischer oder geistiger Seite, noch sehr einfach als sündhaft verteufelt werden, was zumindest anfänglich jeglichen Fortschritt ausbremste: Le Goff 1970, 528. Zudem galt im 12. Jahrhundert gerade die deutsche geistige Elite als konservativ, auch wenn eine gewisse Offenheit/Eigenständigkeit schon spürbar wird: Johanek 1986, 47ff. Diese Impulse müssen auch bei Vizelin angekommen sein. Aber seine Erziehung durch den Magister Hartmann hatte sein Lebensbild unverrückbar geprägt.

[164] Im 12. Jahrhundert gab es noch keine theologische Fakultät auf Universitätsniveau, eher Kathedral- oder Klosterschulen: Leinsle OPraem 2010, 91.

[165] Ehlers 1986, 112.

[166] Augustinus, Selbstgespräche: bei Gurjewitsch 1989, 338. Auch forderte Augustin die Unterordnung der sieben freien Künste unter die Bibelauslegung: Flasch 2000, 154f.

[167] Weitere Gegner der hinterfragenden theologischen Auslegung/Wissenschaft ließen sich anführen: Leinsle OPraem 2010, 92ff. Zu Anselm von Laon: Flasch 2000, 226f.

[168] Drewermann 1989, 96f.

[169] Gurjewitsch 1992, 29f.

[170] Dinzelbacher 2003, 114.

[171] Hel. 45, 179.

[172] Drewermann 1989, 280, 282.

[173] Freud 1913, 183f., Dinzelbacher 2003, 153.

[174] Drewermann 1989, 287; „[…] und der Lebensmaxime der „Kleriker“ zu allen Zeiten Folge leisten: Man wird nur akzeptiert, wenn, weil und solange man opfert, und zwar nicht etwas, sondern sich selbst“: Drewermann 1989, 302.

[175] Ursprung und Ausbreitung der evangelischen Räte seit dem 4. Jahrhundert: Drewermann 1989, 347ff. Für die Forderungen der Enthaltung, die sich von Augustinus ableiten lassen, siehe: Drewermann 1989, 497.

[176] Drewermann 1989, 342; „In der heutigen Form bereits repräsentiert sie [die katholische Kirche] einen Typ von Religiosität, der in seiner Sozialstruktur eher dem Mittelalter als der Neuzeit angehört und der seiner asketischen Opfermentalität nach eher archaisch als christlich anmutet“: Drewermann 1989, 750.

[177] Das Selbst verlangt Opfer: Jung 1992, 165f.

[178] Hel. 45, nach Stoob, 179. Akoluth: höchste der vier niederen Weihen.

[179] Hel. 45, 179.

[180] Hel. 46, 181. Sein Weg führte von Laon gleich nach Magdeburg, was auffallend ist. Ein Grund könnte sein, dass Vizelin Norbert von Xanten in Frankreich (Prémonté) kennengelernt hatte, der wiederum fast zeitgleich das Bischofsamt in Magdeburg annahm.

[181] Vizelin wurde reformierter Regularkanoniker (siehe weiter unten im Text), die sich in Deutschland erst im 12. Jahrhundert richtig durchsetzen konnten. In Magdeburg kamen sie erst 1116 an: Weinfurter 1975, 7, 14f. Vizelin kannte sie wahrscheinlich schon aus Frankreich. Seine oben genannten „möglichen Vorbilder“ entstammten alle aus dem Kreis der Regularkanoniker und waren in Frankreich ansässig.

[182] Melville 2012, 115f.; Gurjewitsch 1989, 297f.

[183] „Neue Ordnung“ oder Ordo novus; es gab zwei unterschiedliche Schulen der Ordensregeln bei den Kanonikern: Ordo antiquus und Ordo novus. Letztere schrieb eine sehr viel strengere Lebensführung vor nach dem Vorbild des Ordo monasterii. Der Ordo monasterii war Teil der Regeln des Augustinus, wobei Augustinus als deren Autor bis heute angezweifelt wird. Für genauere Beschreibung siehe: Melville 2012, 119 und Weinfurter 1975, 238ff.; zusätzlich und speziell für Vizelin: Hoppe 1999, 58; Hel. 47, 185. Insgesamt sollte bei den Regularkanonikern eine Rückbesinnung zu alten christlichen, sehr strengen Werten stattfinden, was sich in der Lebensführung der Kanoniker widerspiegelte. Diese Lebensführung wurde u.a. durch den Ordo monasterii bzw. den Ordo novus geregelt.  

[184] Weinfurter 1975, 177, 240; Weinfurter 1984, 159ff.

[185] Für die Unterscheidung der geistigen Orden und genauere Beschreibung der Augustiner-Chorherren: siehe Bosl 1979. Unbekannt ist der genaue Zeitpunkt, an dem Vizelin zum Augustiner-Chorherren geweiht wurde: siehe Hoppe 1999, 50ff.

[186] Bosl 1979, 23; Melville 2012, 114ff.

[187] „Urchristentum, Wüstenväter, Artuswelt – sind jedoch typisch für das hohe Mittelalter“: Dinzelbacher 2003, 110.

[188] Melville 2012, 21, 114. Die Regeln des Augustinus waren anfangs weniger von Belang, sondern eher sein Vorbild für die vita apostolica. Ab dem zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts finden die Regeln des Augustinus immer mehr Beachtung, da sie, nach damaliger Überzeugung, die beste Grundlage für ein apostolisches Leben boten: Weinfurter 1975, 236f., 244; siehe allgemein: Weinfurter 2010, 164ff.

[189] Aus dem Jahr 1119, aus Annales Rodenses, 50 (siehe Nr.3) und Weinfurter 1975, 243, 257: http://www.dbnl.org/tekst/_ann006anna01_01/_ann006anna01_01_0017.php; Annales Rodenses = Chronik des Regularkanonikerstifts Klosterrath aus dem 12. Jahrhundert. Für Datierung und Dokumentenbeschreibung siehe Deutz 1990, 11ff.

[190] Schreiner 2002, 11ff.

[191] Hoppe 1999, 102.

[192] Weinfurter 1975, 182.

[193] Da die Lebenseinstellung der Regularkanoniker unmittelbar auf das Leben Vizelins wirkt und nicht kurz erklärt werden kann, wird hier zur näheren Erläuterung ein Exkurs eingefügt. Ohne die Lebensform der Regularkanoniker zu betrachten, ist das Wirken Vizelins unverständlich. 

[194] Melville 2012, 21-23, Kruppa 2012, 61.

[195] Drewermann 1989, 58.

[196] Drewermann 1989, 111.

[197] Bosl 1979, 10, 12.

[198] Weinfurter 1975, 180f., 200; Weinfurter 1984, 162.

[199] Nur sehr selten übernahmen einfache Mönche seelsorgerische Tätigkeiten, dafür wurden in erster Linie Regularkanoniker eingesetzt: Weinfurter 1975, 183f.

[200] Melville 2012, 115.

[201] Der Orden existiert noch.

[202] Kruppa 2012, 40.

[203] Bosl 1979, 20.

[204] Bosl 1979, 25.

[205] Bosl 1979, 29. Im ausgehenden 11. und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts kam es flächendeckend zu Stiftsneugründungen in Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und angrenzenden Gebieten: Weinfurter 1984, 159.

[206] Bosl 1979, 31, 52.

[207] Bosl 1979, 52f.

[208] Bosl 1979, 31, 43.

[209] Bosl 1979, 49, 52.

[210] Bosl 1979, 77.

[211] Bosl 1979, 77; Weinfurter 1975, 171; Pauly 2007, 74, 91ff. 

[212] Weinfurter 1975, 197f.; Deutz 1990, 86, 122.

[213] Pauly 2007, 11, 223, 288.  

[214] Das Mittelalter vereinigte im Begriff Armut viele Ausprägungen der gesellschaftlichen Schwäche wie Kranke, Verwundete, Waisenkinder, alleinstehende Frauen, Pilger etc.: Pauly 2007, 15; Le Goff 1970, 523.

[215] Bosl 1979, 95.

[216] Dollhopf 2001,135f. Für die Körpergrößenschätzung und die Kriterien zur Abgrenzung zum Kindergrab siehe: Dollhopf 2001,133ff.

[217] Auch Umweltfaktoren wie Arbeitsbelastung, Krankheit etc. beeinflussen die spätere Körpergröße, wobei die Ernährung in der frühen Kindheit entscheidend ist: Wurm 1989, 101f., 106. Wie bisher gezeigt, gab es auch ohne gesicherte Kenntnisse über die Schichtzugehörigkeit seiner Eltern keine Hinweise auf eine eingeschränkte physiologische Entwicklung.

[218] Wurm 1989, 102f.

[219] Wurm 1989, 103f.

[220] Berechnung aus Flügel/Greil/Sommer 1986 (nach Opitz und Schmid): 120 cm/78,4 x 100 = 153, 061 ± 2,5 cm: Flügel/Greil/Sommer 1986, 318.

[221] Flügel/Greil/Sommer 1986, 316.

[222] Schirren 1878, 315; Hoppe 1999, 26, 99. Das Grab gilt heute als verschollen. Es wurde 1327-1332 von Neumünster nach Bordesholm verlegt. Dort kam es 1614 wieder zur Öffnung des Grabes mit einer kurzen Beschreibung des Inventars. Das ist der letzte Nachweis des Grabes, da es in einer darauf geplanten Translation verloren ging. Auch archäologische Grabungen in der Bordesholmer Klosterkirche in den 1960er Jahren konnten keines der gefundenen Gräber Vizelin zuordnen.

[223] Vizelin war zum Zeitpunkt seines Todes schon Bischof und hätte auch anders ausgestattet werden können.

[224] Grabungen/Untersuchungen: http://docplayer.org/57001244-Die-grabgewaender-des-abtes-berno-von-reichenau-1048-untersuchungen-der-abegg-stiftung-riggisberg.html. Auch das Grab des Ordensgründers der Prämonstratenser Norbert von Xanten war laut überliefertem Augenzeugenbericht von 1626 reichlich ausgestattet mit golddurchwirkter Pluviale (liturgischer Mantel), Alba, hölzernem Bischofsstab, Saphirring etc.: Hornemann 2010, 67. 

[225] Auch wenn die mittelalterlichen Wunder – Vizelin erschien den Menschen nach seinem Tod im Traum – nicht inhaltlich gewertet oder beurteilt werden sollen, ist doch davon auszugehen, dass die bei diesen Ereignissen beschriebene Kleidung dem entspricht, was die Menschen aus seinen Lebzeiten in Erinnerung hatten. Diese Menschen stammten alle aus seiner unmittelbaren Umgebung. Auch die archäologische Überlieferung zeigt eine Verbindung von weißem Leinen und der christlichen Liturgie, siehe Hemd des Heiligen Thomas Beckett, Albe aus dem bayerischen Museum in München: Kania 2010, 248, 252.

[226] Vizelin hatte in Laon wahrscheinlich Kontakt zu Norbert von Xanten, dem Gründer der Prämonstratenser. Norbert von Xanten versuchte im Sinne der Besitzlosigkeit, die raue Wolltunika bei den Regularkanonikern einzuführen, stieß dabei aber auf erheblichen Widerstand: Fuchs 2002, 223ff. Später, in Magdeburg, gab er diesen Versuch daher auf und ließ das Leinenkleid wieder zu: Weinfurter 1984, 172, 174.

[227] Hel. 45, 179.

[228] Fuchs 2002, 223.

[229] Fuchs 2002, 226.

[230] Fuchs 2002, 231.

[231] Fuchs 2002, 233.

[232] Fuchs 2002, 235: Norbert von Xanten kehrte später in Magdeburg zum Leinen zurück. Gerhoch von Reichersberg: 1092/1093-1169, Regularkanoniker. 

[233] Superpelliz ist ein weißes apostolisches Leinenobergewand: Weinfurter 1975, 277; Siegwart 1962, 151, 281.   Arno von Reichersberg folgte seinem Bruder als Abt des Stifts Reichersberg, ca. 1100-1175.

[234] Fuchs 2002, 229.

[235] Der Regularkanonikerpapst lebte von 1100/1120-1159, ab 1154 war er Papst: Fuchs 2002, 234.

[236] Annales Rodenses, im Jahr 1141, 94, siehe Nr. 11; Weinfurter 1975, 258 http://www.dbnl.org/tekst/_ann006anna01_01/_ann006anna01_01_0039.php.

[237] Siegwart 1962, 279ff.

[239] Schnack 1992, 20, 75f.

[240] Und gerade im Frühmittelalter praktizierten sogar die Intellektuellen ein Festhalten an alten Statuten.  Neuschöpfungen/Weiterentwicklungen waren auf allen Gebieten unerwünscht: LeGoff 1984, 58.

[241] Noch vor den weltlichen Autoritäten hatte der mittelalterliche Mensch der Bibel zu gehorchen. Danach kamen als nächste Autoritätsinstanz die Kirchenväter der Spätantike wie Augustinus: LeGoff 2004, 44; Le Goff 1970, 527.

[242] Kania 2010, 31, 38.

[243] Duby 1984, 236ff. Im Hochmittelalter gab es eine klimatische Wärmeperiode, was gesteigerte Ernteerträge und ein Anwachsen der Bevölkerung zur Folge hatte: Freund 2010, 179. Alle Bevölkerungsschichten vermehrten sich rapide, sodass auch ein Bevölkerungsüberschuss in der Oberschicht entstand. Also wurde nicht nur der Boden für die Bauern knapp, sondern auch Aufgaben und Land für die Kriegerschicht: Elias 1979, 51f.; Le Goff 1970, 411.  

[244] Bosl 1979, 41.

[245] Elias 1979, 45, 50 ; Le Goff 1970, 121.

[246] Le Goff 1970, 162.

[247] Auch wenn das Mittelalter Neuheiten verteufelte – alles, was mit Forschen und Fortschritt zu tun hatte, wurde als eitel angesehen –, wurden auf technischem Gebiet vereinzelt Erfindungen gemacht, die die Landwirtschaft revolutionierten. Dazu gehörten der Räderpflug, die Egge, das Kummet etc.: Le Goff 1970, 339ff. Weiter war der Feldertrag der deutschen Siedler höher als bei den Slawen, da sie schon die fortschrittlichere Drei- und Vierfelderwirtschaft kannten: Fiege 1979, 117f. 

[248] Duby 1984, 269.

[249] Walther von der Vogelweide (um 1170-1230) musste lange kämpfen, um sein Lehen zu bekommen: Elias 1979,91, 105 205.

[250] Le Goff 1970, 351, 369f.

[251] Le Goff 1970, 347; Fiege 1979, 119.

[252] Fiege 1979, 118. Der slawische Hakenpflug samt Pflugspuren konnte im norddeutschen und polnischen Gebiet archäologisch nachgewiesen werden, so u.a. im polnischen Ostrów Lednicki: Kola/Wilke 2000, 85f.

[253] Freund 2010, 178.

[254] In allen Gebieten der mittelalterlichen Zeit wurden die Bauern früher oder später durch Abgaben auf ein Existenzminimum gedrückt. Toleriert wurde das, weil der mittelalterliche Mensch sich ohnehin immer in Abhängigkeit von anderen verstand. Vor Gott und innerhalb seiner Gruppe musste er da bleiben, wo er war, und Freiheit bedeutete hier nur, dass seine Rechte in diesem kleinen Rahmen respektiert wurden. Bedeutender war in Wagrien zu dieser Zeit ein mächtiger Beschützer, der für Sicherheit sorgen konnte, was die Hierarchie festigte: Le Goff 1970ff., 470.

[255] Duby 1984, 270f.

[256] Der Überschuss an der Ritterbevölkerung trug auch zu den Ausdehnungsbestrebungen bei, da Schleswig-Holstein erst kämpfend erworben werden musste, bevor Bauern das Land bestellen konnten: Elias 1979, 52f.

[257] Fiege 1979, 81. Es gab aber auch slawische Lokatoren: Fiege 1979, 117.

[258] Elias 1979, 50.

[259] Hoppe 1999, 62. Der gesamte Komplex der Hintergründe kann hier nicht vollständig behandelt werden, aber bei den Kreuzzügen kamen immer christliche, politische und ökonomische Gründe zusammen: Le Goff 1970, 121f. Für Schleswig-Holstein hätten sich sonst wohl auch kaum Lokatoren gefunden.

[260] Hel. 46, 181.

[261] Hoppe 1999, 56.

[262] Hel. 46, 181.

[263] Gurjewitsch 1989, 116, 153, 159. Dies gilt erst recht bei den Geistlichen (bis heute): Drewermann 1989, 341 und allgemein Freud 1927, 24ff., 42.

[264] Z.B. die Abbildung des Glücksrads im Hortus Deliciarum aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts: Le Goff 1970, 282. Der eigene Wille spielte keine Rolle: Gurjewitsch 1992, 256, 276.

[265] Der Glaube an das Schicksal kommt meist besonders in unbeständigen Zeiten auf und war in weiten Kreisen der mittelalterlichen Bevölkerung verbreitet. Dass die Idee des Schicksals heidnisch/vorchristlich war, erleichterte die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung, die Vorstellung wurde einfach vom Christentum assimiliert: Gurjewitsch 1989, 170, 193, 362f. Auch befasst sich die Schrift „Trost der Philosophie“ des Boethius mit diesem Thema, die im Mittelalter weitverbreitet war. Zudem ist hierfür der Kommentar des Calcidius zu Platons „Timaios“ zu nennen, der ebenfalls weite Kreise traf: Flasch 2000, 70, 80ff., 222f.; Le Goff 1970, 282; Köhn 1986, 238.

[266] Hier kann ebenfalls ein Grund für die häufig postulierte Nichtentwicklung des Individuums im Mittelalter gesehen werden: Gurjewitsch 1989, 160f.

[267] Drewermann 1989, 51f.

[268] Drewermann 1989, 114.

[269] Hel. 46, 181.

[270] Hoppe 1999, 60f.

[271] Dazu kann noch zusätzlich gesagt werden, dass es sich bei den Slawen um Fremde handelte, die in der mittelalterlichen Gesellschaft ohnehin geächtet waren, da sie keiner bekannten Gruppe angehörten: Le Goff 1970, 523.

[272] Gurjewitsch 1989,75f.

[273] Bosl 1979, 91. Duby spricht vom Kreuzzugsgedanken als „außerordentlich heilbringend“: Duby 1984, 213.

[274] Unklare Herkunft, gestorben nach 1116.

[275] Geschrieben vor 1115/1116, Seleucia, im Land der Lutizen: nach Le Goff 1970, 259f. Die Lutizen war ein Bund nordwestslawischer Stämme mit dem Kerngebiet in Mecklenburg-Vorpommern und im nördlichen Brandenburg. Erst 1147 (siehe Wendenkreuzzug unten) wurden sie endgültig besiegt. Wie die Wagrier gehörten sie zu den Elb- und Ostseeslawen. 

[276] Gurjewitsch 1992, 254.

[277] Drewermann 1989, 114f., 139f.

[278] Vizelin hatte diese Lebenseinstellung bereits in Laon (siehe oben im Jahr 1122/23).

[279] Hoppe 1999, 57. Schon im Jahr 997 erleidet der Heilige Adalbert in Preußen sein Martyrium und wurde von den heidnischen Prußen erschlagen: Le Goff 1970, 248.

[280] Hel. 46, 181.

[281] Hierbei handelt es sich um den Kirchenbau von Liubice oder Alt Lübeck, eine slawische Siedlung zwischen Schwartau und Trave gelegen. Nach Helmold sollten Vizelin und seine Begleiter die Kirche bekommen, damit sie „in Sicherheit bei ihm [Heinrich] bleiben und Gottes Werke betreiben könnten“ Hel. 46, 181.

[282] Hel. 46, 181.

[283] Kempke 1988, 14f.; Genauer, das Baujahr um 1089 bzw. Wall III: Andersen 1988a, 39.

[284] Letzter Wall (Wall III) für die Zeit Vizelins. „Wall III bestand […] hauptsächlich aus Erde; nur eine lehmige Sandschicht an der Oberfläche enthielt eine freilich total verkohlte Holzpackung aus armstarken Hölzern, verlegt in Streichrichtung des Walles […]“: Andersen 1988b, 97, 101, Taf. 8.

[285] Kempke 1999,46, 78f.

[286] Kempke 1988, 14; Andersen 1988a, 39.

[287] Grabowski 2002, 49.

[288] Andersen 1988a, 41. Der Abschnittswall kappte auch die Südsiedlung vom Festland, die südlich vom Burgplatz lag: Kempke 1988, 14. Siehe dafür auch weiter unten = Südsiedlung. 

[289] Die stratifizierten Versturzschichten des Walls III zeigte auffällig viel Holzkohle, die vermutlich von den verbrannten Holzaufbauten stammte: Andersen 1988a, 36, 39.

[290] Z.B. Behren-Lübchin oder Groß Raden. Die Wehrgänge waren sehr unterschiedlich breit mit Breiten von 0,7 - 2,5 m: Schuldt 1988, 70ff., 93.

[291] Holzkastenformationen, die in verschieden ausgeführten Konstruktionen möglich sind, so in Blockbau, Pfostenbau, Palisadenbau etc., und die mit Erde und Steinen verfüllt sind. Übergangsformen zur Rostkonstruktion sind möglich: nach Petri 2009, 100f.

[292] Andersen 1988a, 39; Grabowski 2002, 49; Petri 2009, 94f., 98.

[293] Schuldt 1988, 95.

[294] Siehe hierfür: Schuldt 1988, 96.

[295] Schuldt 1988, 97.

[296] Grabowski 2002, 49.

[297] In Behren-Lübchin sollte ein Unterspülen durch den See verhindert werden, siehe auch Groß Raden und Sicherung des Wallfußes: Schuldt 1988, 88, 97.

[298] Andersen 1988a, 39; Meier 1993, 10.

[299] Fehring 1988, 41.

[300] Zusammenfassung bei: Meier 1993, 7ff.

[301] Siehe u.a. im Ausstellungskatalog mit Beitrag über Alt Lübeck: Grabowski 2002, 47f.

[302] Z.B. für den Neigungswinkel des Walls siehe: Petri 2009, 83ff., aber auch Schuldt 1988, 78ff.

[303] Z.B. durfte der Böschungswinkel nicht zu flach ausfallen: Petri 2009, 95. Siehe auch Groß Raden, wo bei 12 m Basisbreite des Walls eine Höhe von ca. 10 m über der Umgebung geschaffen wurde: Schuldt 1988, 87-90.

[304] Im nördlichen Burgbereich wurden Planierschichten des ehemaligen Walls festgestellt. Diese überlagern die jungslawische Besiedlung mit einer erheblichen Mächtigkeit: Meier 1993, 16.

[305] Siehe: Andersen 1984, 28ff.

[306] Andersen 1984, 28f.

[307] Andersen 1984, 28f.

[308] Andersen 1988a, 40.

[309] Wie am Wall, der ebenfalls mehrere Bauphasen hatte und bei der Ankunft Vizelins seinen letzten und endgültigen Ausbau erreichte, Andersen 1988a, 40.

[310] Andersen 1988a, 40.

[311] Vergl. älteres Tor: Andersen 1985, 82f.

[312] Kempke 1985, 70.

[313] Andersen 1988a, 41; Kempke 1985, Beilage 2.

[314] Kempke 1999, 59, 79.

[315] Schuldt 1985, 74ff.

[316] Andersen 1984, Abb. 22.

[317] Kempke 1999, 48.

[318] Zusammengefasst nach Grabowski 2010, 79.

[319] Grabowski 2010, 80.

[320] Grabowski 2010, 80.

[321] Grabowski 2010, 81.

[322] Koch 2003, 48f.; Sas-Zaloziecky 1963, 45.

[323] Koch 2003, 470f.

[324] Sas-Zaloziecky 1963, 38.

[325] Für die Dächer wurden Holzschindeln rekonstruiert, die bei den Slawen an ausgewählten/besonderen Gebäuden Verwendung fanden: Schuldt 1988, 54.

[326] Z.B. die Kirche von Olderup, Kreis Nordfriesland, aus dem frühen 12. Jahrhundert: Jonkanski/Wilde 2000, 14, 18f. Kennzeichnend für die Romanik waren kleine, rundbogige Fenster: Dinzelbacher 2003, 66.

[327] Zusammenfassend siehe Meier 1993, 15f. und Kempke 1985, 61f. Bei zwei Häusern wird von 4 x 4 m und 4 x 5 m ausgegangen.

[328] Meier 1993, 16; Schuldt 1988, 60ff.

[329] Siehe Schuldt 1988, 60ff.

[330] Schuldt 1988, 61.

[331] Kempke 1985, 61f.

[332] Meier 1993, 24; Grabowski 2010, 77.

[333] Zusammenfassend Meier 1993, 24, auch Andersen 1988b, 97.

[334] Andersen 1988b, 98, 101.

[335] Andersen 1988b, 91.

[336] Andersen 1988b, 91.

[337] Andersen 1988b, 92.

[338] Andersen 1988b, 92f.

[339] Für die genaue Bestimmung des Typs Vipperow siehe u.a. Kempke 2001, 219, 221, 234, 242.

[340] Tod Heinrichs und Erbfolgekrieg der Söhne.

[341] Hel. 47, 183; Faldera, das spätere Neumünster.

[342] Westlich des Limes Saxoniae, dem Grenzsaum bzw. Waldgebiet zum Slawenland, Hel. 47, 183.

[343] Hel. 47, 183.

[344] Hel. 47, 185. Hoppe 1999, 64.

[345] Hel. 47, 183.

[346] Hoppe 1999, 81, 95; LeGoff 2004, 37f. Hinweise auf das reale Jenseits erbringen auch kartografische Darstellungen mit der Kombination von Erdteilen und paradiesischen Motiven als geografisches Faktum der Zeit: Gurjewitsch 1989, 68. Siehe z.B. die Ebstorfer Weltkarte, auch bei Le Goff 1970, Abb. 52, 247.

[347] Le Goff 1970, 267, 281. Man konnte von der Erde in die Hölle hinabsteigen, das Jenseits lag im mittelalterlichen Glauben direkt vor der Tür: Gurjewitsch 1989, 85.

[348] Elias 1981, 288.

[349] Hel. 47, 183f. Die Lebensführung der geistlichen Oberschicht richtete sich vor allem auf das, was nach dem Tode kam, der Blick ging immer ins Jenseits: Elias 1981, 271.

[350] Die Visionsberichte gehören zur literarischen Gattung der Gesichte, die neben den Heiligenleben im Mittelalter sehr beliebt waren: Gurjewitsch 1992, 174f.

[351] Visio Godeschalci: Dinzelbacher 1985, 23f.

[352] Der Mensch des Mittelalters vollbrachte erstaunliche Gedächtnisleistungen. In einer Welt des Wortes ohne Bücher (es waren sowieso fast alle Analphabeten) kam dem Merken von Informationen besondere Bedeutung zu, was daher auch regelrecht eingeübt wurde: LeGoff 2004, 39. Hugo von St. Viktor schrieb Abhandlungen über Merktechniken, z.B. zum Merken der Psalmen: Kemp 1990, 71. Weiter zum Ursprung und der Entstehung der mittelalterlichen Jenseitsvorstellungen in den Köpfen der Menschen siehe: Gurjewitsch 1992, 199f. 

[353] Als Teil des Unbewussten bzw. des Über-Ich, das von anderen erlernt wurde: Freud 1938, 11; Freud 1923, 36f.

[354] Die mittelalterlichen Visionen und Berichte zeigen eine Dominanz des Bösen mit den Höllenqualen als Folge des sündigen Lebens. Im Vordergrund steht nicht der gütige (wie heute), sondern der strafende Gott, und dieser wird stets präsent gehalten in Form seines drohenden Strafgerichts. Die christliche Endabrechnung thront über allen Schichten, was die oft beschriebene, wörtlich zu nehmende „Gottesfurcht“ in allen Teilen der Bevölkerung bewirkte: Dinzelbacher 1985, 37.

[355] Dinzelbacher 2003, 74f.

[356] Gurjewitsch 1989, 58f. Nach dem Tod entbrennt ein Streit zwischen Gott und Teufel um die Seele des Menschen: Le Goff 1970, 278. Das Über-Ich ist fest definiert.

[357] Le Goff 1970, 529.

[358] Der Weg führte von Platons Timaeus zu Plotin bis zu den christlichen Urvätern, wie z.B. Augustin. Die Theorie der Seele wurde immer weiterentwickelt: siehe Kemp 1990, 15ff., 32. 

[359] Oder anders gesagt: das Schwarz-Weiß-Denken des Mittelalters ohne Schattierungen. Diese Geisteshaltung findet sich immer wieder in allen Schichten: Le Goff 1970, 558.

[360] Dinzelbacher 1996, 29; Gurjewitsch 1992, 100, 252.

[361] Gurjewitsch 1992, 257.

[362] Gurjewitsch 1992, 175, 180f.

[363] Gurjewitsch 1989, 82; LeGoff 2004, 37.

[364] Dinzelbacher 2003, 76.

[365] Ein Eingreifen der jenseitigen Welt ist typisch für prämoderne Kulturen: Dinzelbacher 2003, 177f.

[366] Dinzelbacher 2003, 77.

[367] Dinzelbacher 1996, 117.

[368] Gurjewitsch 1992, 176f.

[369] Es wurden regelrechte „Reiserouten“ beschrieben: Gurjewitsch 1992, 207.

[370] Le Goff 1970, 276, 281.

[371] Dinzelbacher 1996, 74; Gurjewitsch 1992, 246, 277.

[372] Le Goff 1970, 529; Dinzelbacher 1996, 94.

[373] Aus Grandke 1985, 341, 347; allgemein Elias 1981, 173, 191; Elias 1979, 447. Für das Spätmittelalter: Huizinga 1975, 268; Dinzelbacher 1996, 280.

[374] Gurjewitsch 1992, 313; Dinzelbacher 2003, 161.

[375] Huizinga 1975, 5, 342; LeGoff 2004, 39f.; Le Goff 1970, 329; Freud 1925, 18.

[376] „Die Furcht war ein wesentlicher Teil dieses Bewusstseinsgefüges“: Gurjewitsch 1992, 161.

[377] Gurjewitsch 1992, 376.

[378] Dinzelbacher 2003, 104ff.; siehe Exkurs 10.

[379] Gurjewitsch 1992, 167; Dinzelbacher 1996, 19ff. Allerdings war die Hoffnung unterrepräsentiert und das Negative stach qualitativ und quantitativ hervor: Dinzelbacher 1996, 264ff., 276.

[380] Dinzelbacher 1985, 42; Dinzelbacher 2003, 88; Huizinga 1975, 29. Auch teilt der Lichtbringer hart aus, wobei aber gewisse Stände besonders betroffen sind (deutlich wird hier wieder das ständische, mittelalterliche Gesellschaftssystem): Gurjewitsch 1992, 230ff., 249, 279. Die auf mittelalterlichen Abbildungen gezeigte Hand Gottes erscheint meist befehlend bis drohend, immer aber „ehrfurchtgebietend“ bis „schreckerregend“: Le Goff 1970, 270ff. Dazu lauern die Teufel überall: Le Goff 1970, 279ff., 527, 578.

[381] Gurjewitsch 1992, 253.

[382] Die Angst zog sich wie ein roter Faden durch das Leben des mittelalterlichen Menschen. Die Höllenängste hatten hierbei einen beträchtlichen Anteil, da der Ausgang des Lebens durchweg Gefahr lief, bei den teuflischen Mächten sein Endziel zu finden. Diese Angst wurde durch Erzählungen immer wachgehalten. Unterstützend wirkte dabei die Kirchenmalerei mit Jenseitsszenarien, entscheidend war jedoch das gesprochene Wort des Priesters, da es im Alltag ständig präsent war (Predigt, Seelsorge, Buße etc.). Auch der Gegenpart, das Paradies, konnte ermahnend eingesetzt werden, da es ständig drohte, als Aufenthaltsort der eigenen Seele nach dem Tod verloren zu gehen. Priester, wie Vizelin, konnten diese Angst adressieren, indem sie mündlich Wege der Prävention anboten: Maaz 1985, 53, 58, 69; Huizinga 1975, 33. Die Furcht vor Christus galt im Übrigen zudem als Tugend, ein gewisses Maß an empfundener Angst als erstrebenswert: Dinzelbacher 1996, 16ff.   

[383] Dinzelbacher 1996, 269.

[384] Aus der Familie der Ammoniden, grundherrschaftliches Geschlecht, die den Overboden stellte, der Aufgebotsführer und Gerichtsvorsitzer bei den Holsten war: Stoob 2002; Hel. 47, 183.

[385] Hel. 47, 183.

[386] Hoppe 1999, 80.

[387] Hoppe 1999, 58ff.

[388] Hel. 55, 205.

[389] Elias 1979, 322.

[390] Elias 1979, 327. Das gilt laut Freud für alle Massen/Gemeinschaften, sie sind zu allen Extremen fähig: Freud 1925, 17.

[391] Drewermann 1989, 111f., 175. Zu Massenpsychologie siehe Freud 1925, 34ff.

[392] Die Paradoxie gehörte zum mittelalterlichen Geist: Gurjewitsch 1992, 261, 352.

[393] Freud 1913, 84f.

[394] Naturell als Lebensäußerung gemeint, die, egal ob affektbeladen oder nicht, zur menschlichen Natur gehört. Freud sieht ab einer gewissen Kulturstufe eine Bereitschaft zur Gefühlsambivalenz, „also das Zusammentreffen von Liebe und Hass gegen dasselbe Objekt“. Er bindet diese Ambivalenz an den Vaterkomplex: Freud 1913, 187, der ja im Christentum gegeben ist, siehe Freud 1913, 176.

[395] Hel. 47, 185.

[396] Z.B. kurze Nennung von Vizelin in Faldera um ca. 1130 bei Hel. 49, 191.

[397] Hel. 48, 185.

[398] Hel. 48, 187.

[399] Wilke 2009, 130f.

[400] Bleile 2011, 68.

[401] Wilke 2009, 136f.

[402] Wilke 2009, 132f.

[403] Kola/Wilke 2000, 35ff.

[404] Wilke 2009, 133.

[405] Bleile 1999, 135ff., 145ff.

[406] Bleile 1999, 149.

[407] Kola/Wilke 2000, 39ff.

[408] Wilke 2009, 138.

[409] Im Jahr 1074/1075 wurde die Burg Plön jedoch kampflos übergeben: Wilke 2009, 139.

[410] Wilke 2009, 138ff.

[411] Kempke 1991, 15ff.

[412] Wilke 2009, 139. Die Slawen hatten weitreichenden Kontakt und pflegten den Güter-/Waffenaustausch bis nach Skandinavien, ins Baltikum, ins Deutsche Reich bis zu der Kiewer Rus, wodurch überall ähnliche Waffen benutzt wurden: Kola/Wilke 2000, 57ff.

[413] Kola/Wilke 2000, 48, 5f.

[414] Kola/Wilke 2000, 57, 60ff.

[415] Kola/Wilke 2000, 82ff.

[416] Anders 2013, 47ff.

[417] Kola/Wilke 2000, 57, 68.

[418] Kempke 1991, 19ff.

[419] Anders 2013, 42ff.

[420] Andere Axtformen können auch als Werkzeug dienen bzw. zwischen Werkzeug und Waffe kann nicht immer klar unterschieden werden: Kola/Wilke 2000, 57, 69.

[421] Kempke 1991, 21; Anders 2013, 44f.

[422] Wilke 2009, 138.

[423] Friedland 2007, 378.

[424] Wurm 1989, 102ff. Auch bei den Gräbern in der Oldenburg war ein robuster Körperbau gegeben, der gerade in der Oberschicht vorherrschte: Teegen/Schultz 2017, 47f.

[425] Siehe hierfür auch die Untersuchung der menschlichen Skelettreste von der Oldenburg mit einem Mittelwert der erwachsenen Männer von 173,6 ± 5 cm: Teegen/Schultz 2017, 42f.

[426] Brather 2008, 272.

[427] Brather 2008, 276.

[428] Roskoschinski Online Ausgabe, Stand November 2019, 24ff. Auch Wieczorek/Hinz (Hrsg.) 2000, Katalog, 392.

[429] Warzecha 2014, 153ff.

[430] Hel. 48, 187.

[431] Hel. 48, 187.

[432] Hel. 52, 197.

[433] Hel. 52, 197.

[434] Hel. 52, 199.

[435] Nach Saxo Grammaticus: Váňa 1992, 90, 167.

[436] Váňa 1992, 91.

[437] Herrmann 1993, 136ff.

[438] Herrmann 1993, 140f.

[439] Herrmann 1993, 141f.

[440] Herrmann 1993, 136.

[441] Hel. 53, 199.

[442] Das bezieht sich auf alle Andersgläubigen: Drewermann 1989, 128.

[443] Festung Segeberg, auf dem Kalkfelsen.

[444] Hel. 53, 201. Das ist die einzige vorhandene  Größenangabe zum erwachsenen Vizelin als Erwachsener: siehe Exkurs 3.

[445] Auch hier ist Vizelin natürlich eingebunden in politische/ökonomische Interessen: Hoppe 1999, 65; Le Goff 1970, 121.

[446] Hel. 53, 201.

[447] Hel. 55, 205.

[448] Hel. 55, 205.

[449] Siehe Exkurs 2: eine der Beschäftigungen der Regularkanoniker war die Tätigkeit in ihren Hospizen. In Krisengebieten, wie an der slawischen Grenze, war dies eine wichtige Aufgabe, weil es dabei vorrangig um die Unterbringung u.a. der Armen ging und nicht, wie im heutigen Sinne, nur um die Krankenversorgung. Dies ist auch belegt für das Regularkanonikerstift Klosterrath: Deutz 1990, 122f. Zudem beschützte die Kirche im 11. und 12. Jahrhundert die Bevölkerung vor der Kriegerschicht, indem sie Asylrecht gewährt: Le Goff 1970, 452.

[450] Jankrift 2005, 37.

[451] Pauly 2007, 348.

[452] In vielen Fällen mentaler Erkrankung wurde eine Anwesenheit des Teufels diagnostiziert: Kemp 1990, 112.

[453] Hel. 55, 205.

[454] Hier folgt ein sehr ausführlicher Exkurs, der nötig ist, da das Thema wichtige Fragen aufwirft.

[455] Vizelin selbst studierte nicht Medizin in Laon. Insgesamt gab es in der frühmittelalterlichen Medizin zwar Heilkundige, laut den Quellen dürften es aber nicht allzu viele gewesen sein: Jankrift 2005, 38f.

[456] Le Goff 1970, 279; Kemp 1990, 135f.

[457] Le Goff 1970, 312, Abb. 74.

[458] Heute werden neuerdings wieder Exorzismen in Polen durchgeführt. Die Patientinnen und Patienten im Besessenheitszustand zeigen die gleichen Symptome wie ihre Leidensgenossen im Mittelalter. Weiter unten wird ausgeführt, dass dabei das christliche Umfeld eine entscheidende Rolle spielt, was in Polen zum Teil noch sehr stark ausgeprägt ist.

[459] Die Untersuchung von Traugott Konstantin Oesterreich über die Besessenheit fand zu einer Zeit statt, als das Christentum noch Lebensleitbild der Gesellschaft war. Er verglich seine Zeit mit vorherigen, die damals noch nicht lange zurücklagen: Oesterreich 1921.

[460] Oesterreich 1921, 9, 16ff., 26ff., 38, 52, 59, 63, 92, 129ff., 171, 185f., 190, 224, 362ff, 371; Gurjewitsch 1992, 280ff. 

[461] Oesterreich 1921, 8, 19ff., 32f.,48ff., 107ff., 181, 199, 206ff., 217ff., 366ff.; Gurjewitsch 1992, 306.  

[462] Gurjewitsch 1992, 282.

[463] Kemp 1990, 120, 142.

[464] Ernst 2011, 98ff., 114. Exorzismus gleich Dämonenaustreibungen: Hoppe 1999, 82; Le Goff 1970, 406, 520.

[465] Für die Aufzählung aller Krankheiten siehe: Ernst 2011, 211ff.; Kemp 1990, 137.

[466] Für die Riten des Exorzismus siehe: Ernst 2011, 213ff. Auch ausführlicher: Dinzelbacher 1996, 54ff. Dafür bildlich die Heilung einer Prinzessin durch den Hl. Zeno auf der Bronzetür von San Zeno in Verona aus dem 12. Jahrhundert: Ein Teufel verlässt den Körper aus dem Mund der Prinzessin nach Exorzismus des Heiligen Zeno. Auch sind konkrete Beispiele für Epilepsie in der Bibel vorhanden: Kemp 1990, 140. 

[467] Nach Le Goff 1970, 311. Auch die Gesichte (siehe Vision Gottschalk, Exkurs 7) beschreiben regelrechte Monstren: Gurjewitsch 1992, 221.

[468] Hel. 55, 207.

[469] Hoppe 1999, 82. Die Figur des Priesters ist entscheidend, da nur ihm ausreichend Kraft gegeben ist, gegen das Böse zu bestehen. Dies ist bei primitiven Gesellschaften kollektiv verankert: Jung 1990b, 116.                 

[470] Auch Hildegard von Bingen (1098-1179) widmete sich Exorzismen bzw. sah in der Teufelsbekämpfung eine ihrer Aufgaben: Fischer 2005, 32ff. Ab dem 11. Jahrhundert wurde die Gestalt des Teufels populärer, da er vom herrschenden System für dessen Zwecke eingesetzt werden konnte: Le Goff 1970, 275.

[471] Dinzelbacher 1996, 74.

[472] Le Goff 1970, 520; Oesterreich 1921, 11.

[473] Sicherlich kann Unterernährung psychische Symptome steigern und vermehrt Einbildungen hervorrufen: Le Goff 1970, 407. Doch sind die Schilderungen der Patientinnen und Patienten fast immer kollektiv christlich geprägt mit der Übernahme einer teuflischen Macht, was zeigt, dass vorhandene Vorstellungen abgerufen wurden. Lediglich aufgrund von Hunger kann ein solcher Wahn nicht aufgebaut werden: siehe weiter unten im Text.

[474] Siehe sämtliche moderne Kriegsgebiete und Zeiten wie im und nach dem Ersten Weltkrieg, etc.

[475] Kemp 1990, 136ff.

[476] Siehe Anm. 458.

[477] Kemp 1990, 137; „[…] die Besessenen erhielten in ihrem Abwehrkampf die massive Unterstützung durch die Kirche und Bevölkerung“: Heinemann 2003, 255.

[478] Nach Gurjewitsch 1992, 136.

[479] Auch Autosuggestion genannt.

[480] In einem geschilderten Fall aus dem Jahr 1890, der eben die „alte Zeit“ widerspiegelt, aber schon nach neueren psychologischen Standards dokumentiert ist, war der Teufel anwesend. Ursache waren aber Gewissensbisse, die zur Besessenheit geführt hatten: Oesterreich 1921, 112ff. Wenn man den mittelalterlichen Geist mit seinem ständigen Wunsch nach Buße (siehe das Jahr 1126, nach Exkurs 6) bedenkt, kann man die Besessenheit als Ausdruck von nicht verarbeiteten Lastern und Ängsten nachvollziehen. Siehe auch Oesterreich 1921, 65f., 88f., 92ff, 101, 105, 118, 209. 

[481] Gay 1994, 143, 146.

[482] Jung 1990b, 68f.

[483] Dinzelbacher 1996, 117.

[484] Kemp 1990, 138. Auch in nichtchristlichen Ländern ist der Frauenanteil unter den Betroffenen größer: Oesterreich 1921, 118, 131.

[485] Dinzelbacher 2003, 21f.

[486] Oesterreich 1921, 11, 92, 106ff., 118, 132, 143, 187f., 198. Gerade ungebildete Schichten und Kinder sind empfänglich für Autosuggestion, was durch ethnologische Untersuchungen auf der ganzen Welt gezeigt werden konnte: Oesterreich 1921, 231f., 235. Auch Neurotiker und Neurotikerinnen (siehe weiter unten) konnten noch so infantil sein, dass sie in der Psychoanalyse wie Kinder behandelt wurden: Freud 1938, 44.

[487] Gurjewitsch 1992, 252.

[488] Das kam nur selten vor: Dinzelbacher 2003, 21.

[489] „Das kollektive Bewusstsein verhielt sich gleichgültig gegenüber Gedanken und wurde ohne Schwierigkeit durch Gefühle erregt. […], nur allzugern bereit, sich dem Übernatürlichen in die Arme zu werfen“: Gurjewitsch 1992, 84. 

[490] Man kann auch von Verdrängung sprechen, die zu einseitiger Entwicklung und neurotischer Dissoziation führt: Jung 1990b, 191. Dazu mehr im weiteren Text.

[491] Gurjewitsch 1992, 87.

[492] Damit wohl eine Art von Projektion, die bei Primitiven noch gefunden wird, die aber mit fortschreitender Zivilisation abhandenkommt. In Tendenzen gibt es solche Projektionen aber auch heute noch, nämlich dort, „wo wirkliches Wissen fehlt“. Siehe dafür allgemein: Jung 1992, 85f. Für das Mittelalter und ausführlich: Dinzelbacher 1996, 118ff. 

[493] Siehe eben das heutige Polen: Anm. 458.

[494] Eine heutige Unterteilung findet mit mehr Differenzierung der Krankheiten statt. Oberbegriffe, die die mittelalterliche Besessenheit treffen, sind a) Zwangsstörungen, b) Dissoziative Störungen auch Konversionsstörungen oder Hysterie genannt und c) Persönlichkeitsstörungen. Interessant sind dabei die Dissoziativen Störungen, da diese auch die multiple Persönlichkeitsstörung als Krankheitsbild beinhalten, bei der der Betroffene, wie bei der Besessenheit, zwei oder mehr Persönlichkeiten in sich trägt. Auch ist hier keine organische Krankheitsursache gegeben und vorkommende körperliche Symptome, wie Lähmungen, Anfälle, Zittern, Empfindungsstörungen etc., decken sich mit denen der Besessenheit: Pflege Heute 2014, 1329-1333. 

[495] Freud 1913, 106. Oder: „Der Gedanke und die Wirklichkeit standen in einer besonderen Beziehung zueinander: […] Folglich galt das als tatsächlich Gegebenes, was eine allgemeine Vorstellung bekräftigte und bewies“: Gurjewitsch 1992, 93.

[496] Freud 1913, 107f. Auch das Mittelalter kannte (heidnische) Magie und den festen Glauben daran: Gurjewitsch 1992, 133f., 341. Gerade bei den Zwangsneurotikern gibt es magische Bußhandlungen im Rahmen der Abwehr, des Ungeschehenmachens. In einer Art Zauberritual sollen die Folgen einer Handlung beeinflusst werden: König 2003, 65.

[497] Freud 1938, 46. Auch hier kann das Mittelalter mit primitiven Gesellschaften vergleichen werden, denn „magisches Denken ist dadurch charakterisiert, daß es kausale Verknüpfungen annimmt, die das Realitätsprinzip mißachten und durch Realitätsprüfung als unzutreffend nachgewiesen werden könnten. Eine solche Nachprüfung ist nicht immer möglich – entweder, weil Methoden dazu nicht vorhanden sind, oder weil sich ihre Anwendung aus praktischen Gründen verbietet.“: König 2003, 66. 

[498] Jung 1990b, 108.

[499] Der Begriff „Neurose“ ist heute umstritten, wird aber hier noch „altertümlich“ von C.G. Jung und Sigmund Freud übernommen, die an der Thematik Besessenheit näher dran waren als heutige, psychologische/psychiatrische Fachbereiche. Sie waren näher an mittelalterähnlichen Lebensumständen. Aber auch neuere Forschungen nehmen Verdrängung als Ursache von Neurosen an: Dinzelbacher 1996, 9.

[500] Freund 1938, 42.

[501] Verdrängung als Fluchtversuche des Ichs, die sich im Laufe der Zeit als vergeblich herausstellen. Hierbei spielen Erziehung/Kultur und Triebe wesentliche Rollen: Freud 1938, 55ff.

[502] „Von diesem Ich gehen auch die Verdrängungen aus, durch welche gewisse seelische Strebungen nicht nur vom Bewußtsein, sondern auch von den anderen Arten der Geltung und Betätigung ausgeschlossen werden.“: Freud 1923, 12.

[503] Jung 1990b, 108.

[504] Freud 1923, 12f., 15ff., 53f. ; Freud A. 1975, 21ff.

[505] Ausführlicher: Freud 1938, 49, 51. Für den inneren psychischen Aufbau: Freud 1923, 21ff. Bei der Neurose ist dieser Aufbau entscheidend. Die psychischen Instanzen befinden sich dabei permanent in einer Art Kompromiss, den es aufrechtzuerhalten gilt: Gay 1994, 106. „Normal“ ist ein funktionierender Ausgleich, sonst ist ein psychischer Konflikt gegeben. Das Ich als Sitz der Vernunft schafft seine Aufgabe als Vermittler nicht mehr: Gay 1994, 146, 147, 152. Auch bei Freud A. 1975, 171. 

[506] Freud A. 1975, 17, 37ff., 49f.

[507] Freud A. 1975, 18, 42f.

[508] Das Über-Ich mit seinem Hang zur Überbestrafung spielt hier eine entscheidende Rolle. Es beinhaltet alle anerzogenen Traditionen und Glaubensvorstellungen, d.h. allgemein das Gewissen. Es bestraft alles, auch noch nicht begangene Taten oder Absichten: Freud 1938, 80ff. Das Über-Ich ist nah beim Es, wodurch es auch unbewusst ist. Dabei kann ein innerer Kampf ausgefochten werden, von dem der Patient oder die Patientin bewusst gar nichts bemerkt. Ein unbewusstes Schuldgefühl ist ein sehr gewichtiger Faktor bei der Entstehung einer Neurose: Freud 1923, 25. Für das Krankheitsbild ebenso ausschlaggebend ist, dass dieses Gewissen unabhängig vom Bewusstsein im Menschen verankert ist: Freud 1923, 26, 34, 37ff., 52.

[509] Bei Erikson zitiert nach der Weimarer Ausgabe: Erikson 1975, 284f.

[510] Über-Ich und Trieb können beide als Abkömmlinge des Teufels das Ich gefährden: Heinemann 2003, 253ff. Allgemein über die Abwehr des Triebes/Beschwichtigung des Über-Ichs: Freud A. 1975, 61f. Das Über-Ich speist sich zu einem großen Teil aus der Erziehung der Eltern: Freud A. 1975, 62.

[511] Besser und ausführlicher: Freud 1938, 49f.

[512] Im Verlauf überträgt Freud dies auch auf die Neurose: Freud 1938, 40f.

[513] Freud 1938, 51.

[514] Heinemann 2003, 253, 257.

[515] Heinemann 2003, 254f., 257. Auch allgemein bei Freud A. 1975, 61 und König 2003, 93f., 96f.

[516] König 2003, 103. Diese Zerrissenheit ist natürlich wieder Ausdruck der mittelalterlichen Unkenntnis von sich selbst und den inneren Vorgängen.

[517] Heinemann 2003, 256.

[518] Heinemann 2003, 257.

[519] Jung 1964, 234f.; Jung 1990b, 214, 216; König 2003, 91.

[520] Freud 1938, 76f. Es kommt im Rahmen der psychischen Abwehr zu einer regelrechten De-Personalisierung, in der ganze Körperteile als fremd wahrgenommen werden oder die Person neben ihrem eigen Körper steht: König 2003, 90ff. Oder genauer: „Verschiedene Wünsche werden in verschiedenen Teilen des Ich gehalten, wobei jeweils nur ein Ich-Bereich „in Betrieb“ ist. Von den anderen Ich-Bereichen weiß die Person, für das aktuelle Erleben sind sie aber nicht von Belang“: König 2003, 98.

[521] Oesterreich schilderte Fälle, bei denen Erkrankte bei der Befragung über zwei Stimmen im Körper sprachen: zum einen den Teufel/Dämon und zum anderen sich selbst mit ihrem realen Namen. Die Patientinnen und Patienten wussten von beiden, aber es war immer nur einer zurzeit anwesend.

[522] Freud 1938, 79.

[523] Freud 1938, 77.

[524] Destruktionstrieb oder Todestrieb: Freud 1923, 41ff.

[525] „Das auf Verinnerlichung beruhende Über-Ich führt auch zur Wendung von Aggression gegen die eigene Person, die, wiederum projiziert, erhebliche Aggression freisetzen kann.“: Heinemann 2003, 258.

[526] Freud 1923, 43. Auch werden die Handlungen der Besessenheit unter Zwang ausgeführt: siehe oben im Text. Weiter: Freud 1923, 55, 58f. Zur Eingrenzung der Zwangsneurose und ihrer speziellen Abwehrmechanismen: siehe Freud A. 1975, 50f., 54.

[527] Oder die quälenden Gewissensbisse: Freud 1923, 58ff.

[528] Freud 1923, 53.

[529] Erikson 1975, 162.

[530] Erikson 1975, 163.

[531] Freud 1938, 53f.

[532] Freud 1923, 56. Sie ist auch mit körperlichen Symptomen verbunden: Gay 1994, 133.

[533] Die Hysterie war zu Zeiten Oesterreichs, Freuds und Jungs noch stark präsent in der Gesellschaft, wodurch es ihnen möglich war, beide Phänomene miteinander zu vergleichen. Auch berichtet Oesterreich über Länder, z.B. Russland, in denen zu seiner Zeit Besessenheit noch häufig vorkam: Oesterreich 1921, 122ff., 184, 190, 196ff., 344ff. Er betont jedoch auch die Unterschiede zur Hysterie und legt einen Schwerpunkt auf die Autosuggestion: Oesterreich 1921, 235. Jung sieht dagegen in der Hysterie nur einen anderen Namen für Besessenheit: Jung 1964, 34f., 47. Neuere Forschungen gehen aber auch davon aus, dass es im Mittelalter beides und daher auch einen Unterschied gab zwischen Besessenheit und Hysterie (in Bezug auf die Angst, z.B. vor dem Jenseits): Dinzelbacher 1996, 18.

[534] Freud 1913, 107f. Krankheitsverursachend sind für Freud Erinnerungen an Vorkommnisse, die traumatisch sind. Sie werden verdrängt, da sie einer „Zensur“ der Gesellschaft unterliegen. Die Symptome sind dann der Ersatz für unterdrückte Wünsche: nach Jung 1990a, 263ff., über Freuds Verdrängungstheorie.

[535] „Das hysterische Ich erwehrt sich der peinlichen Wahrnehmung, die ihm von Seiten der Kritik seines Über-Ichs droht,[…]“: Freud 1923, 56.

[536] Freud 1923, 56; Freud A. 1975, 43.

[537] Heinemann 2003, 253.

[538] Heinemann 2003, 253.

[539] König 2003, 91f.

[540] Heinemann 2003, 254, 257.

[541] Jung 1990b, 118.

[542] D.h. aller Wert im Leben strömt zum außerweltlichen Gott hinüber, der Mensch hat kein eigenes spezifisches Gewicht: Jung 1990b, 118f.

[543] Jung 1990b, 119.

[544] Jung 1990b, 118. Minderwertigkeitsgefühle sind Neurotikern und Neurotikerinnen ebenfalls bekannt: Freud 1923, 55.

[545] Alles „Beweise für eine Auffassung von Religion, die auf die Vernichtung des Ichs hinzielt, jeden Selbstwert leugnet, um die Gottheit – das Über-Ich – zur einzigen wertbesetzten Instanz in Denken und Fühlen machen zu können.“ Dinzelbacher 1996, 278f. Siehe auch Freud 1923, 56ff.

[546] Der Konflikt beginnt, wenn der Mensch merkt, dass der Feind „im eigenen Busen“ sitzt: Jung 1990b, 157.

[547] Bzw. das Schuldbewusstsein wurde ganz konkret gefördert: Dinzelbacher 1996, 94.

[548] Siehe die Teufelsaustreibung auf der Bronzetür der Basilika s. Zeno in Verona: Le Goff 1970, Abb. 79.

[549] „Die Teufel und bösen Geister waren gewissermaßen die Viren des Mittelalters, mit denen die ganze irdische Sündenwelt verseucht war“: Gurjewitsch 1992, 277.

[550] Die nach Ausgleich strebenden unbewussten Inhalte: Jung 1990b, 154.

[551] Siehe z.B. die Autosuggestion/Selbstbeeinflussung und Dissoziation oben im Text; auch Jung 1990b, 156.

[552] Dialogi Gregor I., nach Gurjewitsch 1992, 281.

[553] Jung 1990b, 157, 214.

[554] Siehe die Untersuchungen Oestereichs: Oesterreich 1921.

[555] Bauern waren Analphabeten: Gurjewitsch 1992, 298. Wie schon erwähnt, war das Merkvermögen in der mittelalterlichen Gesellschaft jedoch erstaunlich gut ausgeprägt, da die Menschen in Ermangelung von Lesekenntnissen und Schriftquellen auf ihr Gedächtnis angewiesen waren. Diese Gedächtnisleistung kann eine Erklärung für solche Phänomene sein.

[556] Stand 2014: Krankheitsentstehung Dissoziative Störung, bei der ja auch die multiple Persönlichkeitsstörung möglich ist: „Nach psychoanalytischer Lehre wird ein ungelöster psychischer Konflikt auf körperliche Erscheinungen „verschoben“ und dadurch eine Scheinlösung erreicht. Sicherlich spielen bei der Entstehung daneben z.B. soziale Faktoren (etwa „Nachahmung“, sekundärer Krankheitsgewinn, Reaktion der Umwelt) eine Rolle.“: Pflege heute 2014, 1331.

[557] Oesterreich 1921, 375, 376f.

[558] Jedenfalls die multiple Persönlichkeitsstörung: Pflege Heute 2014, 1331.

[559] Die christliche Weltanschauung baut das Über-Ich auf. Es ist Teil (wenn nicht der größte Teil) der mittelalterlichen Kultur und kann auch ohne Konflikt verlaufen. Eine Anpassung/Ausgleichsbemühung der menschlichen Psyche ist es aber immer, wodurch Sigmund Freud den Konflikt/inneren Kampf als Normalzustand ansieht: Gay 1994, 185ff.

[560] Oesterreich 1921, 118.

[561] Heinemann 2003, 260.

[562] Hel. 55, 205.

[563] Hoppe 1999, 82.

[564] Hoppe 1999, 82, 95.

[565] „Psychoanalytisch gesprochen provoziert die Priestergestalt, diese Repräsentationsfigur des göttlichen Vaters im Himmel mitten unter den Menschen, zumindest bei den ‚Gläubigen‘ eine enorme Bereitschaft zu Vaterübertragungen aller Art“: Drewermann 1989, 248; siehe auch Freud 1913, 176ff. Hierzu: „Gott selbst ist jetzt so hoch über den Menschen erhaben, daß man mit ihm nur durch die Vermittlung des Priesters verkehren kann“: Freud 1913, 179.

[566] Hel. 55, 207.

[567] Hel. 56, 209.

[568] Hel. 56, 209.

[569] Drewermann 1989, 111f., 175, 221. 

[570] Hoppe 1999, 88f.

[571] Drewermann 1989, 87, 221.

[572] Hel. 56, 209.

[573] Hel. 56, 209.

[574] Siehe das „Mittelalterliche Hausbuch“ von Schloss Wolfegg mit der Abbildung „Mars und seine Kinder“. Auch wenn in das Spätmittelalter datiert, kann die hier gezeigte Kriegspraxis auch für Vizelins Zeit herangezogen werden: Elias 1981, 292ff. Ein Widerspruch des Mittelalters ist, dass die unterschiedlichen Schichten zwar ihre Abhängigkeit voneinander erkannten, jede Schicht aber doch isoliert für sich lebte. Ritter erkannten Bauern nicht als gleichwertig an. Bauern wurden in der „ritterlichen“ Literatur eher als (hässliches) Tier oder Ähnliches dargestellt, was sie gleichsam zu „Schlachtvieh“ machte: Elias 1979, 357ff., Le Goff 1970, 494, 495.

[575] Bezeichnend ist die Geschichte des jungen Helmbrecht aus dem 13. Jahrhundert, der sich als Bauernsohn mit aller Grausamkeit gegen seinen eigenen Stand wendet, um als Adliger zu erscheinen bzw. diesen Lebensstil zu imitieren: Le Goff 1970, 524f. Gleichheit vor dem Gesetz war im Mittelalter gänzlich unbekannt. Erst auf der nächst höheren kulturellen Stufe konnte dieses Ideal erreicht werden und die aggressive Triebauslebung „nach unten“ galt nicht mehr als legitim und normal: siehe dazu Freud 1930, 39-41, 59. Sicher muss man Freud im Kontext seiner Zeit verstehen (1. Weltkrieg), aber auch heute noch kann man den menschliche Aggressionstrieb beobachten, er gilt als angeborenen und wird nicht nur zur Verteidigung, sondern zum Großteil beim Angriff eingesetzt. Auch heute erleben wir vielfach die ungezügelte Auslebung des Aggressionstriebes, „indem sie dem Ich die Erfüllung seiner alten Allmachtswünsche zeigt.“: Freud, 1930, 65; Freud 1930, 55f., 62ff.

[576] Auch die Dichtung spiegelt die überwiegend kriegerische Einstellung der mittelalterlichen Ritter wider: Dinzelbacher 2003, 151f.

[577] Die heutige Gesellschaft duldet ein solch aggressives Verhalten nicht mehr bzw. legen wir uns Selbstzwänge auf, die das Ausleben der Affekte verhindern sollen (ob grausame oder andere, in der Kriegerschicht oder woanders). Im Laufe der Jahrhunderte gewann der Mensch an Selbstkontrolle, Rücksichtnahme und Empathie nahmen zu. Im Mittelalter war diese Affektkontrolle noch sehr schwach, was gerade im Kriegszustand zutage trat: Elias 1979, 96f., 318ff., Elias 1979, 355, 372f., 377. Gewaltbereitschaft galt im Mittelalter nicht als schlechter Charakterzug: Dinzelbacher 1996, 14f. Erst die Städtegründungen mit ihren Institutionen erzwangen eine Selbstkontrolle bzw. eine Selbstmäßigung des Einzelnen. Handel und Marktgeschehen wären sonst undenkbar gewesen. Im Hochmittelalter kam die Triebregelung aber erst langsam und zunächst auf bestimmte Gesellschaftsschichten beschränkt voran, nämlich eher im höfischen und monastischen Bereich: dazu Dinzelbacher 2003, 152, 159f. Heutzutage ist es vor allem die Angst vor der möglichen Entdeckung einer ausgeführten Aggression und der daraus erfolgenden Strafverfolgung, die die Tat von vornherein unterbindet: Freud 1930,68f., 71. Es gibt aber auch heutzutage noch Situationen, in denen die Affektentladung in der Gruppe zum Durchbruch kommt in einer Art Überspringen von einer Person zur nächsten, wodurch sie sich in der Masse ausbreiten kann – bei gleichzeitiger Aufhebung der Skrupel bei den einzelnen Gruppenmitgliedern. Dies kann impulsiv, leidenschaftlich und äußerst brutal ausgeführt werden: Freud 1925, 24f, 28.    

[578] Hube 2013, hier z.B. 368ff., aber die gesamte frühe Geschichte der Dänen ist blutdurchtränkt. Saxo schildert dabei nicht nur die mythische frühe Vergangenheit, sondern auch ein zeitgleiches Ideal. Allgemein: triebhaft-ungebremstes Verhalten war noch bis in die höchsten Kreise üblich, sichtbar z.B. am Phänomen der Blutrache: Dinzelbacher 2003, 160f.

[579] Gurjewitsch 1992, 56.

[580] Dinzelbacher 2003, 145f.

[581] Dinzelbacher 2003, 148.

[582] Hel. 56, 209.

[583] Hel. 57, 211.

[584] Hel. 57, 211.

[585] Graf Adolf II. (1128-1164), der das Land Wagrien ab 1143 wieder als Lehen bekam: Hoppe 1999, 68.

[586] Hel. 57, 211.

[587] Fiege 1979, 120.

[588] „Bornhöved mit dem Grimmelsberg, inmitten des hier umschriebenen Landes, ostwärts vom Falderagau“: Stoob 2002, 212.

[589] „Ostwärts Segeberg um Warder-Ahrensbök“: Stoob 2002, 213.

[590] „Zwei weitere wagrische Burgbezirke zwischen Plöner See und Lübecker Bucht“: Stoob 2002, 213; alles zusammengefasst: Hel. 57, 213.

[591] Drewermann 1989, 349.

[592] Hoppe 1999, 78. Schon im 9. Jahrhundert war den slawischen Herrschern die erdrückend große Zahl von deutschen Missionaren in ihrem Land aufgefallen: Le Goff 1970, 121. Dass aber auch eine komplette Übernahme des slawischen Gebiets geplant war, zeigt schon die Karte. Hierbei ist eine Ansiedlung der Neusiedler entlang einer West-Ost-Achse zu sehen, wie ein Keil ins ehemals slawische Gebiet unter Abtrennung der Wagrischen Halbinsel.

[593] Hube 2013, 275ff., nach Saxo Grammaticus. Auf beiden Seiten wurden die Grenzen zum Zwecke feindlicher Angriffe häufig überschritten, die Slawen bildeten da keine Ausnahme. Saxo Grammaticus schildert in seiner „Gesta Danorum“ frühere und hochmittelalterliche nordische Verhältnisse.

[594] Wiederholung von oben: Auf beiden Seiten unterstützend wirkte hierbei die mittelalterliche Psyche mit ihrer schnellen, affektgesteuerten Einteilung und Festlegung in Gut und Böse, wobei keine Schattierungen existierten. Im Mittelalter herrschte Schwarz-Weiß-Denken mit starren Abgrenzungen zwischen Freund und Feind, Gut und Böse vor: Elias 1981, 79f., 91. Auch ein schneller Wechsel von einem Extrem ins andere war möglich: Elias 1979, 231, 324, 373. Das sittliche Leben selbst war ein ständiger Kampf zwischen Gut und Böse, Seele und Leib: siehe auch Le Goff 1970, 528, 568f.

[595] Hel. 57, 213.

[596] Hel. 57, 213.

[597] Archäologische Ausgrabungen förderten im Gründerviertel von Lübeck Reste der ersten deuten Besiedlung zutage, die die Datierung 1143 stützen: http://www.gruendungsviertel.de/archaeologie.html.

Häufig entwickelte sich die mittelalterliche Stadt aus einer vorherigen, älteren Ansiedlung. Auch im Falle von Lübeck existierte eine slawische Vorgängersiedlung: Le Goff 1970, 131, 137.

[598] Innerhalb des ehemaligen Burggeländes ist nur Rasen zu sehen (siehe Foto in der Karte). Lediglich die Ausgrabungen zeigten das Bild der einstigen Burg. Für die Rekonstruktion der Burg wurde die Zeit Vizelins, also die spätslawische Periode, als Grundlage genommen.

[599] Im 9. und 10. Jahrhundert war Oldenburg/Starigard weit bedeutender, siehe dafür die Ausstellung im Wallmuseum Oldenburg.

[600] Gabriel 1991a, 76ff.

[601] Gabriel/Kempke 1991, 151.

[602] Struve 1985, 148.

[603] Siehe Kastenbauweise: Toločko 1991, 109ff. Für die verschiedenen Baukonstruktionen in Holz: siehe Alt Lübeck oben oder die Nachbauten im Wallmuseum Oldenburg.

[604] Toločko 1991, 111ff., Abb. 7, auch im Wallmuseum zu besichtigen.

[605] Struve 1985, 127, 148.

[606] Toločko 1991, 108. Für das Profil vom jüngeren Halbkreis siehe: Gabriel/Kempke 1991,152. Dazu auch die kolorierte Stratigrafie im Wallmuseum Oldenburg: Wallverstärkung nach Brandschicht vom 11. Jahrhundert

[607] Unverzagt/Schuldt 1963, 58ff., Beil 10.

[608] Donat 1984, 22.

[609] Unverzagt/Schuldt 1963, Beil 10, 14f.

[610] Unverzagt/Schuldt 1963, 60, Beil 10. Der Wall der Hauptburg ist ähnlich aufgebaut: Unverzagt/Schuldt 1963, 65f., Beil 14ff.

[611] „[…] nach dem Burginnern zu durch eine sich deutlich abhebende, senkrechte, dunkle Erdmasse begrenzt.“: Unverzagt/Schuldt 1963, 63f., Beil 13.

[612] Struve 1965, 284, Taf. 36, 2.

[613] Die Erosion begann schon während der Nutzung des Walls, war aber dem Baustoff und dem Untergrund geschuldet: Donat 1984, 24.

[614] Donat 1984, 24.

[615] Gabriel/Kempke 1991, 152. Z.B. Brandschicht 5. Dazu auch kolorierte Stratigrafie im Wallmuseum Oldenburg: Wallverstärkung nach Brandschicht vom 11. Jahrhundert, die abfällt.

[616] Toločko 1991, 111.

[617] Toločko 1991, 111ff. Auch Gabriel/Kempke 1991, 151ff. Auch ist, wie oben ausgeführt, ein innerer Mauerabschluss doch meist als Holzwerk aufgebaut.

[618] Toločko 1991, 115.

[619] Toločko 1991, 115.

[620] Siehe Toločko 1991, 115, Abb. 9.

[621] Peters 1992, 94.

[622] Z.B. Planum Fläche 11: Peters 1992, Beil 15B.

[623] Peters 1992, 51.

[624] Z. B. Planum Fläche 18: Peters 1992, 58f, Beil 24A und 24B.

[625] Auch hier verlief das Steinpflaster, wie in der Oldenburg, recht gradlinig: Struve 1974, 41, 43, Abb.12. Zu der „Apsisform“ des Steinpflasters: Struve 1974, 43f.

[626] Der Ausgräber verneint aufgrund des Steinmaterials und des Befundzusammenhangs ein aufgehendes Mauerwerk, dazu: Struve 1974, 43.

[627] Allerdings als Bohlenweg: Gabriel/Kempke 1991, 153.

[628] In Scharstorf erkannte Struve einen „gut fundamentierten“ hölzernen Trampelpfad entlang des inneren Walls: Struve 1975, 108.

[629] Innerhalb des Steinpflasters in Warder wurde der Fund eines Goldringes gemacht, der einem anderen Prunkring aus dem Kirchenfundament von Alt Lübeck ähnelt: Struve 1974, 42. Somit ist eine mögliche Datierung des Ringes bzw. des Steinpflasters ins 11. bis 12. Jahrhundert gegeben. An beiden Stellen wurden auch Steinpflaster entdeckt.

[630] Gabriel/Kempke 1991, 162, 178.

[631] Z.B. die Gräben: Toločko 1991, 117ff.

[632] Siehe z.B. Behren-Lübchin: Schuldt 1988, 93.

[633] Schuldt 1988, 97.

[634] Toločko 1991, 117.

[635] Toločko 1991, 118f.

[636] Toločko 1991, 117.

[637] Toločko 1991, 119.

[638] Toločko 1991, 120, Abb. 12. Auch Vergleichsrekonstruktionen, wie Warder: Struve 1974, 38, Abb. 10.

[639] Struve 1985, 164-166, Gabriel 1984, 29.

[640] Siehe oben, Exkurs 6.

[641] Siehe Exkurs 6/Die Südsiedlung.

[642] Nach Struve 1985, 164f.

[643] Helmold kannte aber wohl den Blockbau nicht, der definitiv slawentypisch war.

[644] Struve 1985, 179.

[645] Gabriel 1984, 29; Gabriel/Kempke 1991, 173.

[646] Für Oldenburg wird ab dem 11. Jahrhundert von „Standardhäusern“ gesprochen, die im 11./12. Jahrhundert nur ihren Bodenbelag veränderten: Gabriel/Kempke 1991, 173, 178. Für die ebenfalls spätslawische Siedlung Vipperow (namensgebend für spätslawische Keramik, siehe Exkurs 6/Alt Lübeck) konnten ebenfalls noch Flechtwerkbauten festgestellt werden: Hollnagel/Schoknecht 1954, 127-131.

[647] In Oldenburg wurden viele Münzen des 11. bis 12. Jahrhunderts aus Alt Lübeck gefunden: Struve 1985, 194.

[648] Gabriel/Kempke 1991, 178.

[649] Gabriel/Kempke 1991, 178. Über die im 11./12. Jahrhundert neu aufkommende Bauweise der Wege in Steinpflastertechnik siehe oben im Text.

[650] Gabriel 1991b, 230ff.

[651] Für die Rekonstruktion wird die typische einfache, zweiteilige Gürtelschnalle des Hoch- bis Spätmittelalters verwendet: Heindel 1990, 23, Taf. 7. Sie wurde schon mehrfach in Schichten des 12. Jahrhunderts nachgewiesen, so z.B. in Köpenick: Herrmann 1962, 40f.

[652] Kempke 1991, 41ff.

[653] Die Rekonstruktion richtet sich nach dem Katalog mit dem Ringbrünnengeflecht aus dem 11./12. Jahrhundert. Es ist ein Fragment mit vernieteten Ringen mit einem Durchmesser von 10 - 11 mm und einer Drahtdicke von 1 mm: Kempke 1991, 44, 77.

[654] Gabriel 1991, 191f.; Kempke 1991, 15; Starigard/Oldenburg, Grab 74, 10 Jh.: Roskoschinski Online Ausgabe, Stand November 2019, 7.

[655] Konstruktionstyp III nach Geibig: Geibig 1991, 91, Abb. 24, 95ff.; Petri 2014, 130f. Im 11.- 12. Jahrhundert konnten die Parierstangen über 20 cm lang sein: Geibig 1991, 158.

[656] Petri 2014, 132f.

[657] Die Klingenform ist zu dieser Zeit schon sehr vielfältig, ebenso wie die Kehlung: Petri 2014, 129; Geibig 1991, 84ff.

[658] Z.B. die Elitenbestattung von Stolpe mit einem Schwertfund mit Paranussknauf, einer Parierstange von 16 cm Länge und einer 82 cm langen Klinge: Biermann/Kersting/Roskoschinski/Storch 2012, 104f.

[659] Hier für Stolpe wird Oakeshott Typ XI vermutet, d.h. 1100 bis 1175: Biermann/Kersting/Roskoschinski/Storch 2012, 105; Oakeshott 1991, 53ff.

[660] Vergleich Oakeshott Typ XI mit noch langer aber schon schmalerer Kehlung: Oakeshott 1991, 54f. und z.B. Einzelfund von Schmarsow, Kr. Demmin: Schoknecht 1974, 283f.

[661] Der Fund von Schmarsow wurde bei der Burg Osten ausgebaggert: Posselt 2016, 161f., Abb. 14.

[662] Genaugenommen setzt sich die fränkische Form der Schwerter im 11. Jahrhundert durch, da sie an die Kampfweise mit dem neuen gewölbten Schild angepasst wurde: Petri 2014, 134. Dazu auch: Warzecha 2014, 153ff., 158f.

[663] Posselt 2016, 169f., Abb. 22.

[664] Nach Geibig 1991, 109f., Abb. 29, Nr. 23.

[665] Typ Frauenhofen: Gabriel 1991b, 200, 202; Gabriel 1988, 141.

[666] Zu sehen im Wallmuseum Starigard.

[667] Die Kupfersalzinfiltration beeinflusste wohl die Farbe: Gabriel 1988, 141.

[668] Für die genaue Beschreibung (lilienförmige Palmette mit zwei Rankenenden etc.) siehe: Gabriel 1991b, 227.

[669] Siehe ebenfalls Gabriel 1991b, 227: bogenförmige Randeinfassung mit Verbindungsknoten und unterer Leiste mit Rauten etc.

[670] „Sie macht einen unfertigen Eindruck, so als sei sie lediglich vorgezeichnet oder eher beiläufig angebracht.“: Gabriel 1991b, 227.

[671] Siehe auch: Gabriel 1988, 236ff.

[672] Gabriel 1991b, 227f. Ein Übersicht der Musikinstrumente, die mit dem Plektron gespielt werden konnten, zeigt eine Abbildung des 11. Jahrhunderts aus der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstifts Klosterneuburg, entstanden in Hildesheim: Bachmann 1964, 193, Abb. 89; oder auch für Skandinavien: Jaroschek 2012, 26.

[673] Auch dabei wird der Schwerpunkt auf das 11./12. Jahrhundert gelegt, da hier die Harfe häufig auftaucht, z.B. bei Steger 1971, ab Abb. 6ff.

[674] Bachmann 1964, 85f.

[675] Bachmann 1964, 86f., 93ff.

[676] Bachmann 1964, 189, Abb. 26.

[677] Bachmann 1964, 189, Abb. 35; Jaroschek 2012, 25, 43; Steger 1971, Abb. 7, 19.

[678] Für die Rekonstruktion/Saitenaufhängung/Wirbelkörper: siehe Munrow 1980, 37.

[679] Struve 1985, 191, Abb. 70.

[680] Heindel 1990, 17f.

[681] Heindel 1990, 22f., Taf. 7.

[682] Hel. 57, 213.

[683] Stoob 2002, Hel. 58, 213. Der exakte Grund für die Verlegung des Stifts ist unbekannt, Helmold erwähnt die Verlegung aufgrund „unruhigen Treibens auf dem Markt“. Vergl. Hoppe 1999, 70.

[684] Hel. 58, 215.

[685] Hoppe 1999, 70.

[686] Durch Bernhard von Clairvaux (um 1090 – 1153, Zisterziensermönch) vorangetrieben: Hel. 59, 215, 217, aber wohl auch politisch/ökonomisch gewünscht: Hoppe 1999, 70.

[687] „Den Urhebern des Unternehmens schien es jedoch zweckmäßig, einen Teil des Heeres nach dem Morgenlande, einen zweiten nach Spanien und den dritten zu den in unserer Nähe ansässigen Slawen zu entsenden“: Hel. 59, 217.

[688] Hoppe 1999, 70.

[689] Hel. 62, 223.

[690] Wiederholung von oben und Bestätigung des Kriegseifers im Mittelalter: Zusätzlich zum Kreuzzugsgedanken und zum politischen Raumgewinn muss auch die mittelalterliche Lust am Krieg erwähnt werden, die besonders bei der Oberschicht anzutreffen war. Dabei kann vom Ausleben eines regelrechten „Angriffstriebs“ gesprochen werden, der in Dichtung und Literatur durchklingt: Elias 1981, 264ff.

[691] Hel. 63, 225.

[692] Hel. 64, 227.

[693] Hel. 63, 225.

[694] Hel. 64, 227.

[695] Bei Dobin am See, Landkreis Ludwigslust-Parchim, Schweriner See.

[696] Hel. 65, 229.

[697] Siehe die These von Hoppe, der zuzustimmen ist: Hoppe 1999, 72, 73.

[698] In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass Besitzungen der Kirche im Mittelalter immer feindlichen Angriffen ausgesetzt waren und die Beschwerden darüber häufig überliefert sind: Elias 1979, 251. Vizelin hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon etwas zu verlieren, was eine eher negative oder passive Grundhaltung zum Krieg erklären könnte.

[699] Hel. 67, 233.

[700] Hel. 68, 239ff.

[701] Hel. 69, 241. Hierbei ist das Jahr 1066 von Belang, da dieses Jahr nicht nur die Rückkehr der heidnischen Slawen bedeutete, sondern auch einen über die Grenzen hinausgehenden Aufstand hervorbrachte – mit Einnahme Haithabus.

[702] Hel. 69, 241. Auch in der Vicelin-Urkunde von 1150 nennt sich Vizelin „durch Gottes Gnade Bischof von Oldenburg […]“: Hoppe 1999, 89.

[703] Heinrich der Löwe (um 1129/30 – 1195, Herzog von Sachsen), siehe Hoppe 1999, 73ff.

[704] Hel. 69, 243.

[705] Streit um das Recht, die Bischöfe einzusetzen. Erst im Jahr 1122 konnten sich Kaiser und Papst in Worms auf einen Kompromiss einigen: Le Goff 1970, 164. Das Thema war also zu Vizelins Zeiten noch aktuell und hätte von ihm bedacht werden müssen.  

[706] Die weltliche Macht, repräsentiert durch Graf, Herzog und König, wollte ein Mitspracherecht. Letztendlich muss aber die höchste Instanz (=König/Kaiser) die Wahl akzeptieren: Hoppe 1999, 74ff.

[707] Drewermann 1989, 428.

[708] Drewermann 1989, 227.

[709] Drewermann 1989, 355, 357. Innerhalb der kirchlichen Organisation werden 12 Stufen der Demut/Gehorsam definiert, wobei der Geistliche sich immer mehr zu unterwerfen hat, als der einfache Gläubige, auch unter die Leitung der Kirchenoberen: Drewermann 1989, 427ff.  

[710] Drewermann 1989, 238, 688f.

[711] Drewermann 1989, 706.

[712] Z.B. Psalm 89.

[713] Erikson 1975, 150 .

[714] Hel. 69, 243.

[715] „[…] unter der Bedingung, daß ihr die Belehnung mit dem Bistum von meiner Hand (Graf Adolf) empfangen wollt.“: Hel. 69, 243.

[716] Hel. 69, 243., siehe Anm. 706

[717] Hel. 69, 243.

[718] Le Goff 1970, 158, 532, 596, 608; Dinzelbacher 2003, 169.

[719] Hel. 69, 243.

[720] Hel. 69, 247.

[721] Hel. 69, 247.

[722] Siehe oben: erster Versuch der Christianisierung vor 1066 und anschließender Rückfall in heidnische Zustände.

[723] Hel. 69, 247. Die alte Burg war die Oldenburg/Starigard (Exkurs 11).

[724] Vicelin-Urkunde von 1150: Hoppe 1999, 89. Betont werden soll sein Arbeitseinsatz und nicht die Vernichtung des Heidentums, das ja auch nur im Kopf bekämpft und vernichtet werden kann.

[725] Vicelin-Urkunde von 1150: Hoppe 1999, 90.

[726] Vicelin-Urkunde von 1150: Hoppe 1999, 90.

[727] Hoppe 1999, 92.

[728] Gemeint ist der Sachsenherzog Heinrich der Löwe, dem wiederum Graf Adolf unterstand.

[729] Hel. 70, 249, dies ist ebenfalls noch keine vollständige Wahl, da wie oben gesagt (siehe Anm. 706 und 716), die Einwilligung des Königs fehlt. Der König tolerierte diese Wahl anscheinend, jedenfalls griff er nicht ein: Hoppe 1999, 74ff.

[730] Hel. 70, 249.

[731] Am Plöner See.

[732] Hel. 70, 249.

[733] Hel. 71, 253.

[734] Hel. 71, 253.

[735] Siehe auch Ratekau, Süsel, Neukirchen etc. in Ostholstein. Habich/Hartenstein 1983, 4. Bosau hat einen eckigen Turm, der aber erst im 30jährigen Krieg, nach der Zerstörung des Vorgängerturmes, errichtet wurde; Jonkanski/Wilde 2000, 21ff.

[736] Siehe Hinz 1977, 78ff.; Konerding 1977, 161ff.

[737] Konerding 1977, 162f.

[738] Konerding 1977, 163ff.; Habich 1983, 5-6; Jonkanski/Wilde 2000, 21.

[739] Brather 2008, 337f.

[740] Brather 2008, 342.

[741] Körber 1977, 151.

[742] Hinz 1977, 85; Konerding 1977, 163, 165; Habich/Hartenstein 1983, 6.

[743] Körber 1977, 151.

[744] Die Lage in Wagrien war noch immer nicht friedlich und dieser Bautyp bietet sich auch für die Verteidigung an: Konerding 1977, 165.

[745] Ellger 1969, 189ff.; Konerding 1977, 163. Zur Abhaltung einer Predigt sollte dieser Raum vollständig vorhanden sein (Vizelin hielt 1152 schon eine Predigt): Konerding 1977, 166.

[746] Leider beide schon im 19. Jahrhundert abgerissen und nicht wiederaufgebaut bzw. durch Neubau ersetzt: Vellev 1973, 6ff.

[747] Auch durfte das Innere der Rotunde nicht archäologisch untersucht werden: Hinz 1996, 31, 33.

[748] Es wäre „durchaus denkbar“: Hinz 1996, 33.

[749] Konerding 1977, 164; Kamphausen 1938, 154ff.

[750] Vellev 1973, 14f.

[751] Habich/Hartenstein 1983, 6.

[752] Binding/Untermann 2001, 282f. Siehe auch oben: der Name St. Petri. Eine weitere Funktion, vor allem der mehrgeschossigen Bauten, ist die Verteidigung: Hinz 1996, 33.

[753] Hinz 1996, 33.

[754] Der Gipskalk kam aus Segeberg: Jonkanski/Wilde 2000, 23.

[755] Datierung um 950: Habich/Hartenstein 1983, 11.

[756] Hel. 71, 253.

[757] Hel. 73, 257.

[759] Friedrich I., genannt Barbarossa, römisch-deutscher König ab 1152 (um 1122 – 1190). 

[760] Hel. 73, 257, Der König setzte den Hoftag zu Merseburg an, wozu viele Parteien eingeladen wurden. Der Erzbischof nutze die Gelegenheit, um Vizelin zum König zu schicken, um die endgültige/rechtsgültige Belehnung durchzusetzen (letztendliche Absicherung der Bischofswahl kann nur von der höchsten Instanz der weltlichen Seite, d.h. vom König/Kaiser, erfolgen, siehe Anm. 706, 716 und 729) . Der Erzbischof wollte damit aber den Herzog politisch/strategisch schwächen und nicht das Ansinnen Vizelins unterstützen. Hier können die politischen Verflechtungen/ehrgeizigen Bemühungen der einzelnen Parteien nicht vollständig aufgeschlüsselt werden. Siehe dafür u.a. Hel. 73, 255, 257 als beschreibendes Ereignis. Auch Erzbischöfe handelten im Mittelalter politisch. Vizelin sollte hier für andere Absichten ausgenutzt werden, worauf er (diesmal) nicht einging: siehe Hoppe 1999, 75f.      

[761] Hel. 75, 261.

[762] Hel. 75, 263.

[763] Hel. 75, 263.

[764] Hel. 75, 263.

[765] Hel. 75, 263. Der Schlaganfall oder Apoplex kann nicht nur eine Lähmung, meist mit Schwerpunkt auf einer kompletten Seite des Körpers, sondern, bei Befall des Sprachzentrums, auch eine Sprachbehinderung bis zum Wegfall der Sprache zur Folge haben. Diese Aphasie kann unterschiedlich stark ausfallen, wobei meist Sätze nicht gebildet werden können und einzelne Worte vom Sinn her unverständlich wiedergegeben werden. Eine normale Kommunikation ist oft nicht mehr möglich.

[766] Hel. 75, 263. Wie schon beim ersten Schlaganfall beschrieben, ist es im Mittelalter unmöglich, einen Schlaganfall medizinisch zu behandeln. Dafür werden erst Jahrhunderte später die medizinischen Voraussetzungen geschaffen.

[767] Hel. 75, 263, 265. Trotz Schlaganfall und Aphasie können viele Patientinnen und Patienten Zusammenhänge verstehen, sie können sich bloß nicht mehr ausdrücken.

[768] Hel. 78, 267.

[769] Hel. 79, 269.

[770] Das Bischofsornat trug Vizelin nur fünf Jahre und elf Wochen: Hel. 78, 267; Stoob 2002, 267.

[771] Hel. 79, 269. Bernhard von Clairvaux (um 1090 bis 1153) war Zisterzienser und lebte zu derselben Zeit wie Vizelin. Er hatte aber innerhalb der Kirche noch größere Macht und war ein strikter Befürworter des Kreuzzugs, für den er regelrecht warb.

[772] Hel. 79, 271.

[773] Siehe Turmhügelburg Lütjenburg.

[774] Ericsson 1983, 9.

[775] Hinz 1981, 11ff.,38f.; Müller-Wille 1966, 6, 10.

[776] Hinz 1981, 16. Es handelt es sich dann meist um Wachen zur Kontrolle von Straßen, Küsten, Brücken etc.: Hinz 1981, 50f. Oder der Wirtschaftshof ist heute nicht mehr nachweisbar: Hinz 1981, 23.

[777] Hinz 1981, 23.

[778] Le Goff 1970, 352.

[779] Nach Hinz 1981, 39f., der mehrere schriftliche Überlieferungen zitiert.

[780] Hinz 1981, 22f.

[781] Bescheidene Ansitze werden meist zu den Warten gerechnet: Hinz 1981, 52.

[782] Siehe der Teppich von Bayeux, aber auch die Befunde vom Rheinland: Müller-Wille 1966, 10f. Aufgrund der Keramikdatierung konnten manche Befunde auch schon früher datiert werden, doch kommt die eigentliche Hochmotte erst im 11./12. Jahrhundert auf: Müller-Wille 1966, 12.

[783] Hinz 1981, 16.

[784] Bock 2002, 50.

[785] Bock 2002, 52, 67f. Laut Hinz ab dem 12. Jahrhundert: Hinz 1981, 123, 126.

[786] Müller 2015, 58.

[787] Ericsson 1999, 11.

[788] Müller 2015, 62. Auch geht die schriftliche Überlieferung von Motten schon eindeutig früher los, so z.B. eine Beschreibung über den Mottenbau aus dem Jahr 1130: Dinzelbacher 2003, 35f.

[789] Ericsson 1999, 112.

[790] Müller 2015, 78.

[791] Für Beschreibung der Topografie siehe: Ericsson 1983, 107.

[792] Ericsson 1983, 108.

[793] Hinz 1981, 36.

[794] Für die Schrägung im Verteidigungsfall siehe Alt Lübeck: Exkurs 6.

[795] Ericsson 1983, 108.

[796] Hinz 1981, 42.

[797] Dinzelbacher 2003, 35.

[798] Hinz 1981, 33 .

[799] Hinz 1981, 36.

[800] Ericsson 1983, 108f.

[801] Ericsson 1983, 109.

[802] Hinz 1981, 105, 108; Schröder 1999, 220.

[803] Hinz 1981, 108f.

[804] Hinz 1981, 150.

[805] Hinz 1954, 182.

[806] Hinz 1981, 150 .

[807] Hr. Hinz in Kontakt zu Hr. Stiesdal: Andreaskreuze auf einer romanischen Grabplatte als Fachwerkkonstruktion bei einem Wehrturm mit Zinnen dargestellt: Hinz 1981, 108.

[808] Zeune 1999, 48, Abb. 8: Wandelturm bei Burgbelagerung, aus „Geschichte von Jerusalem“ von Wilhelm von Tyrus, um 1250.

[809] Schröder 1999, 220f.

[810] Hinz 1981, 40. Definition: Weinmann 1994, 24f.

[811] Hinz 1981, 41.

[812] Siehe Turmhügelburg Lütjenburg: Dort vor Ort können nicht nur der Turm und die Vorburg besichtigt werden, sondern es finden sich auch Informationen zu Erkenntnissen, die beim Turmbau miteinflossen.

[813] Hinz 1981, 44, 45.

[814] Ericsson 1983, 110.

[815] Die Rekonstruktion zeigte beim Modellieren eine Brücke von ca. 30 m Länge.

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